"Ich bin der Größte" - diesen vielzitierten Ausspruch Muhammad Alis kennt man weltweit, doch Gewissheit darüber erlangt man nach Michael Manns Bio-Pic leider nicht. Obwohl der Aufwand beträchtlich, die Umsetzung interessant und die Kämpfe hinreissend sind, bleibt der Film ein zwiespältiges Vergnügen.
Biographien werden meistens daran gemessen, wie sehr sie dem Menschen, der hier portraitiert (und meist zum gewissen Teil auch verehrt) wird, gerecht werden, wie tiefe Einblicke sie in diesen Mann gewähren und seien es auch nur die Eindrücke des Autors oder Regisseurs. "Ali" gräbt leider nicht tief genug, es ist zwar nicht nur alles Oberfläche, aber Aufschlüsse liefert der Film nicht, lädt eher zum Rätselraten ein.
Natürlich ist es schwer, eine umfassende Bio abzuliefern, wenn man sich lediglich auf die interessanteste Lebensphase eines Menschen konzentriert, ein Jahrzehnt, 1964-1974, von der Erringung des Weltmeistertitels bis zum Comeback als Titelträger. Da muß links und rechts vom Weg zweifellos etwas wegfallen und so geschieht es dann auch.
Der Einstieg allein beweist: rein optisch macht Mann jetzt ernst. Er hat offenbar öfters mal Oliver Stone gesehen und daraus einen eigenen Stil entwickelt. Visuell fliegt einem der Film gleich um die Ohren, denn die Vorbereitungen zum Titelkampf Liston gegen Clay werden zu einer intensiven Montage zusammengeklebt: Trainingsbilder, Vorstellungen von Leuten aus Alis Umfeld, Eindrücke aus der Kindheit, zeitliche Einordnung, Weiß und Schwarz, dazu singt Sam Cooke in einem Club. Währenddessen sagt Clay/Ali kein Wort, sein erster Schwall ergießt sich über den Zuschauer, als er zur Pressekonferenz mit Liston kommt, aber dann bricht die Hölle los, eine Kaskade der wildesten Beschimpfungen, wie es zum Boxgeschäft nun mal gehört.
Will Smith gibt eine optisch eindrucksvolle Vorstellung, wenn es darum geht, Ali optisch zu präsentieren, seine Mimik, seine Bewegungen, seine Haltung, selbst der leicht abwesende Blick. Ein wortkarger Mann, nicht ohne Intelligenz, mit zeitweise bissigem Humor. Doch die Brillianz erweist sich meist nur in der Selbstinszenierung vor den Gegnern, der Presse oder bei Kämpfen. Ansonsten erstarrt der Gigant.
Und hier liegt auch der größte Kritikpunkt, der leider zutrifft: der Mensch Muhammad Ali bleibt für die gesamte Laufzeit ein Rätsel, ein bloßes Chiffre, nichts in was man eindringen möchte, nichts was man verstehen könnte. Sicherlich erfahren wir einiges von seinem Verhalten, seinen Handlungen, doch das ist wie die Lektüre von Presseberichten : es gibt keine (nicht mal fiktive) Authentizität.
Es ist, als gäbe es den Menschen Ali gar nicht, als hätte ihn niemand verstanden oder er sich selbst zu seiner Figur ausgeschwiegen. Der familiäre Hintergrund bleibt nur in vagen Umrissen, die Motivation unerwähnt, die psychologische Brillianz bei den Wortgefechten findet kein Echo in seinem restlichen Verhalten. Angesichts dreier Ehen (eine vierte wird in den Schlußtiteln angekündigt) wird zwar deutlich, daß wir es mit einem Womanizer zu tun haben, aber diese Info wird mehr in den Ring geworfen, als verdeutlicht oder untersucht.
So bleibt auch Smith leblos, kann den Giganten nicht zum Leben erwecken, wirkt, als würde er Episoden aus dem Leben nachstellen. Das ist zu wenig, gerade wenn die beschriebene Person noch lebt.
So bleibt trotz aller Eheprobleme, trotz politischer Verwicklungen und Skandale, nur das Boxen als Glanzpunkt. Und hier haben es Mann und Konsorten wirklich drauf. Schon der Liston-Kampf zu Beginn wirft den Zuschauer mitten in den Ring. Hier gibt es keine Rocky-Show, keine dicken Schwinger mit verstärktem Aufschlaggeräusch, Smith und Co. boxen reell und hart.
Die Kamera ist mit dabei, nah am Mann, noch näher am Schweiß, schwankt, wackelt, zittert, dreht sich im Kreis - ja, wir sind dabei.
Hier offenbart sich auch Mann semi-dokumentarischer Stil mit reichlich Handkamera und grobkörnigen Bildern als gelungen, nur entwertet er seine Bilder kurz darauf eigenhändig, indem die triumphale Musik immer dann anklingt, wenn sich das Blatt zu Alis Gunsten wendet. Ganz ohne Hollywood geht es eben doch nicht.
Leider verschwindet der Film nach 25 Minuten in politischen Kanälen, gerät für eine weitere halbe Stunde beinahe zu einer Neuverfilmung von Leben und Sterben des Bürgerrechtlers Malcolm X (Van Peebles stellt Washington im Original glatt in den Schatten). Anschließend hangelt sich der Plot durch eine Mischung aus historisch verbürgten Ereignissen, Beziehungsproblemen und der unverhohlenen Kritik an Alis Involvierung in die korrupte und zwielichtige Black Muslim Bewegung "Nation of Islam". Sein Abstieg zum Verbannten nach der Kriegsdienstverweigerung, sein Tiefpunkt, kommt etwas gefühlvoller rüber, doch auch hier scheinen die Szenen abgehakt, ein flüchtiges Portrait. Erst gegen Ende, als das Boxen wieder wichtigster optischer Effekt wird, steigt die Klasse wieder mit der Niederlage gegen Frasier und dem finalen Sieg über Foreman.
Der finale "Rumble in the Jungle" nimmt eine Dreiviertelstunde in diesem 159-Minüter ein, mitsamt Vorbereitungen, Training, Verschiebung, politischer Einordnung, Zerbrechen der zweiten Ehe, Gefühl für ein ausgebeutetes Afrika und dem Kampf selbst.
Leider bannt die Oberflächlichkeit des Gezeigten das Interesse nicht über mehr als zwei Stunden und so ist man herzlich ermüdet, wenn der Champ den Titel zurückgewinnt.
Längst hat sich Mann verzettelt zwischen heißen Kämpfen und emotionalen Einschüben mit Frauen und persönlichen Erkenntnissen, die musikalisch zwar intensiv untermalt sind, aber grundsätzlich zu lang und breit ausgewalzt werden.
Wenn Ali gegen Ende seine Wirkung anhand von afrikanischen Wandmalereien sieht, springt die Kamera wankend ewig lang zwischen Smith und den Bildern hin und her, während im Hintergrund ein zu befreiendes Afrika durch die wabernde Musik vertont wird. Da muß man sich schon mal in Geduld üben und betet trotzdem so manches Mal, der Cutter würde mal eingreifen.
Vielleicht ist das auch nur der mißglückte (und vielkolportierte) Versuch eines Weißen, einen schwarzen Film zu inszenieren. Versucht es Mann zu verzweifelt? Nichts da! Wo nur an der Oberfläche gekratzt wird, kann nichts Intensives herausgefiltert werden, Ali bietet einfach nicht mehr, zumindest nicht in diesem Film.
Als am Ende Kassensturz gemacht wurde, hatte der Film mühevoll in den USA die Hälfte seiner enormen Kosten wieder drin. Wäre es anders gelaufen, hätte man sich auf eine konventionellere Inszenierung eingelassen? Pure Spekulation, denn gerade die Machart hat ihren Reiz, visuelle Intensität auf höchstem Niveau. Nur inhaltlich, da platzt die Blase, da gerät das überlange Werk zur historisch zu verbürgenden Luftblase, deren grundsätzliche Daten in jedem Boxbuch nachzulesen sind.
Das ist kein Flop und kein Hit geworden, sondern ein diskutables Werk, das man keinesfalls mit ein paar Worten als "brilliant" oder "mißlungen" abtun kann. Trotzdem werden es viele versuchen und zu dem Schluß kommen, er sei "zu lang" gewesen. (6/10)