Seit dem unerklärlichen Verschwinden seines kleinen Bruders plagt sich Matt mit Schuldgefühlen herum. Die Polizei hat keine Spur, das Kind gilt offiziell als tot. Erschüttert hängt Matt seinen Erinnerungen nach bis er die Stimme des Bruders auf Tonbändern zu hören glaubt. Nur Nachbarstochter Amy glaubt ihm, die anderen halten ihn für einen Spinner. Eine Hellseherin, die Matt in seiner Verzweiflung aufsucht, hat ihre eigene Theorie. Und warum verschwinden in der Nähe immer wieder Kinder? Wie auch die Schwester seines besten Freundes Simon? Was als stilles Sozialdrama vor ungeschminktem Hintergrund seinen Anfang nimmt, entwickelt sich mit starken Soundeffekten und heftigen Horroreinschüben zum urbanen Geisterschocker. Denn hinter der ausgeblichenen Südlondoner Großstadtkulisse wuchern wahrhaft grauenvolle, okkulte Kräfte, die einen blutigen Tribut fordern.
Auch wenn dieser Film am Anfang viel eher wie ein Sozialdrama wirkt, sollte man sich davon nicht täuschen lassen, denn mit der Zeit entwickelt sich der eher unterschwellig aufkommende Horror, der sich ziemlich langsam und schleichend entfaltet, dabei aber vor allem zum Ende hin eine ungeheure Intensität ausstrahlt. Die größte Stärke des Films ist sicherlich die hier entstehende Atmosphäre, die eine ungeheure Tristesse ausstrahlt, die insbesondere durch die erstklassig ausgewählten Schauplätze zum Tragen kommt. Denn das Geschehen spielt sich hauptsächlich in einem sozialen Brennpunkt ab, man befindet sich an Wohnorten, die wohl jeder normale Mensch am liebsten meiden würde, da sich in ihnen so etwas wie Hoffnungslosigkeit wiederspiegelt. Diese Eindruck wird durch die kühle und trostlose Optik noch zusätzlich verstärkt, durch die man sich ganzzeitig seltsam befangen fühlt und ein Gefühl der starken Beklemmung nicht abstreifen kann.
In dieser brillant dargestellten Szenerie ist es Regisseur Johnny Kevorkian hervorragend gelungen, ein soziales Drama mit dem Geisterfilm zu kombinieren, in dem der junge Matt seinen verschwundenen Bruder sucht und dabei auf ein grauenvolles Geheimnis stösst, das erst kurz vor dem Ende seine Auflösung findet. Man bekommt hier keine großartigen Effekte oder andere spektakuläre Dinge geboten, der aufkommende Horror wird mit den einfachsten Mitteln erzeugt und kriecht dem Zuschauer mit zunehmender Laufzeit richtiggehend unter die Haut. Anfangs wird einem gar nicht so richtig bewust, das die hier erzählte Geschichte eine enorme Faszination ausstrahlt, die einen schon längst in ihren Bann gezogen hat, bevor es einem selbst bewust wird. Umso intensiver ist dann die Wirkung des Horrors, der sich gerade in der zweiten Hälfte des Films vollkommen entfalten kann und in einem fesselnden Schluß-Akkord endet, der einem die Haare zu Berge stehen lässt.
Obwohl "The Disappeared" sich eigentlich durch eine äusserst ruhige und langsamere Erzählweise auszeichnet, ist der Film in keiner Phase langatmig oder gar langweilig, eher ist hier das Gegenteil der Fall. Denn gerade durch die nicht gerade temporeiche Erzählweise entfaltet die Story erst ihre volle Intensität, die sich fast unweigerlich in den Kopf des Betrachters eingräbt und ihm keine Chance lässt, sich ihrer starken Faszination zu entziehen. Immer tiefer taucht man in das Geschehen ein und begleitet den jungen Matt auf der Suche nach der schrecklichen Wahrheit, die sich am Ende auf eine sehr schonungslose und erschreckende Art und Weise offenbart. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, das es wie ein Schlag in die Magengrube wirkt, wenn sich einem die Ausmaße der schockierenden Ereignisse präsentieren, die sich praktisch vor der Haustür der beteiligten abgespielt haben müssen, ohne das jemand etwas davon geahnt hätte.
Nun würde dieser Film nicht annähernd so gut sein, wenn er mit schlechten Schauspielern besetzt wäre. Doch in dieser Beziehung kann man vollkommen beruhigt sein, denn alle hier agierenden Darsteller liefern einen excellenten Job ab. Dabei sollte man allerdings den jungen Harry Treadaway besonders hervorheben, denn seine Darstellung des Hauptcharakters Matt hat mich ganz besonders beeindruckt. Einerseits wirkt der junge Mann sehr ruhig und auch sachlich, bringt aber auf der anderen Seite ganz ausgezeichnet die emotionalen Passagen brillant zum Ausdruck. Dabei wirkt sein Schauspiel zu keiner Zeit theatralisch oder übertrieben, alles wirkt sehr authentisch und hinterlässt einen sehr überzeugenden Eindruck. Egal, um welche Gemütsverfassung es sich handelt, in der Matt sich gerade befindet, die Ausdrucksstärke Treadaway's bringt sie brillant zum Ausdruck, was bei einem so jungen Schauspieler meiner meinung nach schon eine Besonderheit darstellt.
So ist hier ein aussergewöhnlicher und sehr guter Film entstanden, der durch seine Schlichtheit und die vorherrschende Atmosphäre vollkommen überzeugt, aber aufgrund seiner ruhigen Erzählweise auch nicht jeden Geschmack treffen wird. Auf jeden Fall aber offenbart sich hier ein intensives und eindringliches Filmerlebnis, das unter die Haut kriecht und seine Wirkung keinesfalls verfehlt.
Fazit:
"The Disappeared" bietet niveauvolle Gruselkost, die sich zwar langsam, aber sehr intensiv entfaltet und mit einfachsten Mitteln den maximalen Horror entfacht. Für mich ist diese britische Produktion ein echter Geheimtip für alle Freunde hochwertiger und spannender Geisterfilme. Die Mischung mit den Elementen eines Sozialdramas verleihen dem Film noch zusätzlich eine sehr passende Note und heben ihn so von den gewöhnlichen Vertretern dieser Filmart ab. Ein Film, denn man keinesfalls verpassen sollte.
8/10