Review

In Form eines Sozialdramas kommen einem die üblichen Geisterkinder eigentlich weniger unter und insofern ist es gut, den Originaltitel nicht eingedeutscht zu haben.
Denn als Übersetzung sind nicht nur „verschwunden“ oder „untergetaucht“ möglich, man könnte ja auch von mehreren Personen ausgehen, oder der sächlichen Form des „Verschwundenen“.
Die Spannung des Ungewissen kann der Streifen zwar nicht bis zum Ende aufrechterhalten, doch der Brite Johnny Kevorkian hinterlässt mit seinem Langzeitdebüt einen erstaunlich positiven Eindruck.

Angesiedelt ist das Geschehen im Südlondoner Bezirk, der sozial schwachen Gegend, in der Matthew (Harry Treadaway) und sein Vater Jake (Greg Wise) leben.
Seit dem spurlosen Verschwinden des achtjährigen Bruders Tom vom nahe gelegenen Spielplatz befand sich Matthew in Therapie, doch kaum daheim wieder angekommen, hört er Toms flehende Stimme auf Bändern einer TV-Aufzeichnung.
Doch niemandem kann sich Matt anvertrauen, selbst die schüchterne Nachbarin Amy will ihm nur bedingt helfen, bis ein weiteres Kind verschwindet…

Fehlende Figurenzeichnungen sind seit jeher ein Manko typischer Geisterfilmchen, nur dass dieser nicht als typisch präsentiert wird und die Sache mit der Charakterisierung der Protagonisten ausgezeichnet verläuft.
Matt ist ein Einzelgänger mit nur sehr wenigen Freunden, verschlossen, geplagt von Selbstzweifeln und einer brüchigen Verbindung zum Vater, der wiederum dem allabendlichen Alkohol verfällt und seinem Sohn gegenüber stark auf Distanz geht, gleichermaßen aber auch verunsichert ist, wie er auf ihn zugehen soll.
Als Matt sich die Nachrichten vom Verschwinden seines Bruders noch einmal auf Video ansieht und an einer bestimmten Stelle Toms Stimme vernimmt, ruft er seinen Dad herbei, der daraufhin ein wenig ausrastet, - schließlich ist nun Toms Stimme nicht mehr zu hören.

Eine ganze Weile wird diese latent bedrückende Stimmung kontinuierlich gesteigert und mit kleinen übersinnlichen Erscheinungen am Rande angereichert, mal in Form eines Gesichtes hinter dem Fenster oder als Spiegelbild im Schaufenster.
Dabei kann man sich nie sicher sein, ob Matt das Trauma des Verschwindens immer noch nicht verarbeitet hat (zum dem Zeitpunkt kiffte er mit Freunden und ließ Tom unbeaufsichtigt auf dem Spielplatz) oder ob er einen Draht zur Zwischenwelt hat, der es ermöglicht, Signale aus jenem Reich wahrzunehmen.

Überaus gelungen ist bei alledem die Erzeugung einer tristen Stimmung, basierend auf einigen Blaufiltern und dem Setting der trostlosen Wohngegend, in der ein paar Jugendliche einfach mal so auf Matt einprügeln.
Eine Gegend, in der man nicht wohnen möchte, in der sich die Kälte der schlichten Architektur auf seine Figuren überträgt und kaum jemand nahbar erscheint.
Selbst Amy, die offensichtlich von ihrem Vater verprügelt wird, entzieht sich der etwas übereiligen Annäherung Matts und bleibt konsequent auf Distanz.

Schade, dass der Streifen diese Stimmung nicht über die volle Strecke halten kann und im letzten Drittel mit einer reichlich unglaubwürdigen Auflösung daherkommt, die gleichermaßen wie eine Entschuldigung ans Mainstream-Publikum anmutet.
Denn hier wird die Spannungsschraube zwar merklich angehoben und es kommt mehr Bewegung ins Spiel, doch der Showdown erinnert in seiner Form zu sehr an typische Hollywood-Produktionen und bietet folgerichtig auch keine Überraschungen mehr.

Die sehr guten Darsteller können hingegen durch die Bank überzeugen.
Allen voran ist Hauptdarsteller Harry Treadaway zu erwähnen, der die Rolle des Matt mit viel Charisma und feinen Nuancen ausstattet. Greg Wise als Vater hat zwar weniger zu tun, doch auch er weiß in bedeutenden Momenten sensibel zu agieren. In Nebenrollen sieht man noch Tom Felton, den man als Draco Malfoy in Harry Potter kennt und Ros Leeming, die in der Rolle der Amy ein beeindruckendes Langfilm-Debüt gibt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „The Disappeared“ stark auf seine Dramen-Anteile Rücksicht nimmt, seinen Figuren ein ordentliches Fundament verpasst und vor allem durch seine triste Stimmung punktet. Die wenigen Schreckmomente sind ordentlich integriert und auch wenn der Streifen im Kern eine wohl bekannte Prämisse ins Spiel bringt, so wird diese doch, bis auf das letzte Drittel, recht authentisch und ungeschönt in Szene gesetzt.
Zudem herrscht eine dichte Stimmung, der man sich von Beginn an kaum entziehen kann, - fern ab jedes Hochglanz-Produkts aus Hollywood eine wunderbare Abwechslung,
7,5 von 10

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