Der sechste Streich des Zauberschülers – und nach gut acht Jahren Beherrschung der Kinoleinwände ist das Abenteuer „Harry Potter“ längst nichts mehr für Puristen der Buchvorlage.
Die Zeiten, in denen man sklavisch vergleichen konnte, welche Lieblingsszene man wie gut oder detailgetreu umgesetzt hat, sind vorbei, die Anpassung an die Kinotauglichkeit ist in vollem Gange – und nachdem der britische Regisseur David Yates beim fünften Film sein Debut in aller gebotenen Unsicherheit bot, ist man inzwischen als Potter-Fan froh, wenn man eine geschlossene und annähernd passende Verfilmung geboten bekommt.
Die gute Nachricht zuerst: „Harry Potter und der Halbblutprinz“ ist deutlich besser als der Vorgänger „Orden des Phoenix“, der allerdings auch die Hypothek mit sich herum trug, daß man über 1000 Romanseiten in einen etwas mehr als zweistündigen Film hineinkondensieren mußte, was zu einer simplen Nummernrevue und vor allem zu monströsen Kürzungen führen mußte.
Das sechste Buch war mit 600 Seiten wesentlich kürzer und noch dazu hat man sich eine knappe Viertelstunde mehr Zeit gelassen, so daß wenigstens auf der erzählerischen Seite mehr Entspannung herrscht, allerdings ist das Buch inhaltlich auch ein Zeichen des Übergangs, eine Art Vorwärmen für das große Finale, bei dem man so einige neue Ideen streut und definitiv seinen Abschied von der Kindheit nimmt, schließlich spielen die Hormone in diesem letzten Buch, daß sich mit einem echten Schuljahr in Hogwarts beschäftigt (das letzte Buch spielt bis auf das Finale fast ausschließlich überall sonst, nur nicht auf der Schule) eine große Rolle.
Im Zeichen der Verfilmung erweist sich nun, daß David Yates offenbar eher dazu geschaffen ist, emotionale oder komische Szenen gut auf Film bannen zu können, jedoch noch immer gewisse Probleme hat, die Dramatik einer effektgefüllte Sequenz oder eines großangelegten Showdowns darzustellen. Seinen Rhythmus hat er aber allmählich gefunden, was insofern nötig ist, als daß andernfalls arg fraglich gewesen wäre, womit sein Dauereinsatz für die Filme 5-7 begründet ist.
Leicht gemacht wird es ihm jedoch auf keinen Fall, denn rein narrativ ist „Halbblutprinz“ eine undankbare Aufgabe, auch für Drehbuchautor Steve Kloves. Die Geschichte zerfällt sehr stark in einzelne, voneinander abgesetzte Erzählstränge. Da wäre der Handlungsstrang um den neuen Lehrer Slughorn, dann Dumbledores Erinnerungen zur Schulung Harrys in punkto Voldemort, die Horkruxe (wichtig für die nächsten beiden Filme), das Schicksal Draco Malfoys und natürlich auch die Gefühlswelt der Protagonisten, die hier entschieden durcheinandergewirbelt wird.
Allein bei der Lektüre setzen sich diese Storybestandteile stark voneinander ab, bis es zur Zusammenführung bzw. Auflösung selbiger am Schluß kommt, insofern kann man es nur begrüßen, daß Kloves das Kunststück gelingt, in der ersten Hälfte den Ton des Buches zu treffen und das alles miteinander zu verbinden, ohne daß es sich beißt.
Yates arbeitet mit überraschend leichter Hand, recht gefühlvoll und hat den Vorteil, auf praktisch sämtliche Nebencharaktere der vergangenen Filme (Dobby mal ausgenommen) wenigstens für eine Szene zurückgreifen zu können. Fast jeder Lehrer, jeder Mitschüler, jeder Verwandter – sogar die bösen Handlanger haben ihre kleine oder größere Szene, die sich dann doch recht gut ins Erzählgefüge einpaßt – und visuell hat Yates deutlich dazu gelernt, „Halbblutprinz“ wirkt abwechslungsreich und frisch und ohne Druck inszeniert, gibt sowohl Harry wie auch Ron und Hermine eine Menge zu tun und – als erste Abkehr von der Vorlage, stellt Ginny wesentlich mehr als Aktivposten dar, als sie es im Buch tat.
Ungefähr ab der Mitte häufen sich dann die Änderungen, denn um die Struktur zu verbessern, wurde das Drehbuch regelrecht hingebogen: die entscheidenen Szenen sind alle vorhanden, doch die Anordnung oder Reihenfolge, die Gewichtung und Betonung haben sich enorm verschoben. Sogar ein paar ganz neue Ideen haben in den Film gefunden, was nicht das Schlechteste ist.
Da die Filmmitte die Liebesnöte der Teenager sehr stark betont, ist es dann aber auffällig, daß im letzten Drittel dieses Thema zunehmend nachlässig behandelt wird, da andere Dinge wichtiger sind. Hier werden die Fans sicher ein paarmal aufschreien, denn allein der erste Kuss zwischen Ginny und Harry fällt in der Filmversion zwar anrührender, aber definitiv unspektakulärer aus.
Auch andere Themen leiden, besonders das titelgebende Thema um den „Halbblutprinz“, der in Form seines Buches auftritt, aber später eher beiläufig und ohne inhaltliche Grundierung identifiziert wird – und da es in letzter Minute geschieht, auch ohne große dramatische Folge.
Daß Yates immer noch große inszenatorische Schwächen hat, kommt bei dieser Gelegenheit auch zum Tragen, denn die wichigste Szene, der Tod einer wichtigen Hauptfigur ist visuell eigentlich relativ reizlos und schnell umgesetzt worden – und nicht nur das, selbst die Tat selbst und der Täter sind so in Szene gesetzt, daß die Wirkung des Buches ein wenig verfliegt.
Auch fehlt dem Film definitiv ein großer Höhepunkt, das war schon Yates Schwäche bei dem mäßigen FX-Fight im Ministerium, denn die kleine finale Schlacht in Hogwarts, bei dem die Todesser Chaos anrichten und von den Schülern bekämpft werden, entfällt total, stattdessen gibt es eine simple Verfolgung durch Harry allein, die weder sehr erhellend noch sehr spannend ist. Vermutlich liegt das daran, daß man Wiederholungen vemeiden wollte, denn am Ende von Teil 8 würde sich das Szenario auf großer Skala wiederholen.
Daß allerdings die Beerdigung vollkommen ausgelassen wurde, ist praktisch schon kreative Fahrlässigkeit.
Die große dramatische Note fehlt Yates, die Flamboyanz und der letzte Kick, in so einer Augenblick die unvergeßliche Szene auszupressen, ein Unvermögen, daß in künftigen Filmen ein Problem werden könnte.
Immerhin bekommt man aber das erfrischende Zusammenspiel der Figuren über weite Strecken geboten und der Rummel um unaufmerksame Jungs und überemotionale Mädels macht lange Zeit wirklich Spaß – und tatsächlich löst Yates sein Versprechen ein, die überzeugensten Quidditchszenen überhaupt zu bieten.
Alles in allem ist Yates zweiter Streich noch kein Meisterwerk (obwohl der Film in seinen besten Momenten tatsächlich das Feeling von „Askaban“, dem bisher eindeutig besten Film, wieder einfängt), aber eine deutliche Steigerung und macht grundsätzlich Laune, vor allem weil er so unaufgeregt den Fans endlich das bietet, was sie an den hektischen beiden Vorfilmen vermutlich vermißt hat: Charaktertiefe, Humor, Gefühl und viel bunte Abwechslung und vor allem einfallsreiche Bilder.
Das sorgt für vergnügliche zweieinhalb Stunden für alle, die sich sowieso längst damit abgefunden haben sollten, daß die wahre Magie Harry Potters noch immer zwischen den Buchseiten steckt, etwas, was keine Hollywoodproduktion jemals richtig einfangen könnte. Gute 7/10!