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Henry Selick ist ein Visionär mit unverkennbarem Stil. Sein „Nightmare Before Christmas“ trug diese ganz eigene Note bereits deutlich, was sich nun mit dieser Mischung aus Puppenfilm und 3D-Animation erfolgreich fortsetzt: Mitreißend und zugleich abgründig erzählt er ein schauerliches Märchen, welches mit kreativen Einfällen und originellen Gimmicks das Thema der Parallelwelt aufgreift und damit nicht nur die jüngeren Zuschauer so manches Mal gruseln lassen könnte.

Es ist fast wie beim „Zauberer von Oz“, denn die scheinbar so traumhafte Phantasiewelt entpuppt sich letztlich als ein wahrer Alptraum. Coraline, die just mit ihren Eltern in ein neues Haus gezogen ist, ihre Freunde vermisst und bei Mom und Dad nur auf halboffene Ohren stößt, findet alsbald eine kleine Tür im Haus, durch die sie nachts per Tunnel in eine Parallelwelt gelangt. Hier befinden sich Ebenbilder ihrer Eltern, nur dass diese Knopfaugen haben, sie aber nach Strich und Faden verwöhnen. Doch bald zeigt sich auch die dunkle Seite dieser Traumwelt…

Selick macht von Beginn an klar, dass es bei ihm zuweilen schaurig zugehen wird, da während des Intros Puppen mit Spinnengreifern deformiert und neu gestaltet werden, was bereits ungeahnte körperliche Dimensionen annimmt.
Coraline hingegen wirkt ganz schön Gothic mit ihren frechen blauen Kurzhaarschnitt, ihrer Beharrlichkeit und der ungezügelten Abenteuerlust, der häufig etwas lakonisch-sarkastisches mitschwingt.
Besonders bemerkbar macht sich das im Zusammenspiel mit einigen Nebenfiguren wie dem plappernden Nachbarsjungen, dem russischen Variete-Turner oder den alten Theater-Diven mit ihren vielen Hunden.
Der Erzählung gelingt es ohne Umschweife, seine Hauptfigur zu etablieren und die Sache voll und ganz aus ihrer Sicht zu verfolgen.

Und aus dieser kommt es zu einer Achterbahnfahrt, die gegen Ende zur reinen Geisterbahn-Odyssee gipfelt.
Die vielen niedlichen, aber auch skurrilen Einfälle scheinen grenzenlos zu sein, was beim Mäusezirkus beginnt, über die Gestaltung eines Gartens bis hin zu einer Theatervorstellung geht, bei der fast ausschließlich Hunde im Publikum sitzen, während es auf der Bühne beinahe freizügig und obszön vonstatten geht.
Viele liebevoll ausgearbeitete Details sind zu bestaunen, gerade im Kontrast zur trist erscheinenden Realwelt schillert und schimmert es in der Parallelwelt in allen Farben, da werden Käfer zur Sitzgelegenheit, eine Gottesanbeterin zum Reitgefährt und wie mit welchen Mechaniken am Essenstisch umgegangen wird ist grandios.

Mittendrin Coraline, die ab einem bestimmten Zeitpunkt ahnt, dass hinter der Fassade der Knopfaugen ihrer ach so liebevollen Zweitmutter etwas Düsteres stecken könnte und gegen Ende gar ihre wahren Eltern befreien muss.
Themen wie Einsamkeit, Selbstvertrauen und Wunsch/Wirklichkeit stehen im Vordergrund, werden teilweise zwar etwas simpel verarbeitet, doch auch wenn es zum Finale richtig düster und bedrohlich zugeht, stecken in vielen Aktionen der Hauptfigur eine Menge lobenswerter Wesensmerkmale, die den Zuschauer gerade im letzten Drittel mit viel Tatendrang begegnen.

Allein durch die Form der Figuren, mit kleinem Hang zum spinnenartigen hebt sich Selick von der Masse ab, besticht zudem durch variationsreiche Landschaften mit vielen Details und weiß bereits rein technisch Maßstäbe zu setzen, da die Mischung aus Stop-Motion-Verfahren und 3D recht einmalig erscheint. Dazu kommt eine wunderbar abgerundete musikalische Untermalung, die schon für sich stehend einen filigranen Genuss darstellt.

Dass die Geschichte nicht in allen Belangen überzeugt und kleinere Schwächen in der Figurenzeichnung einiger Nebenfiguren zu finden sind, ist daher verzeihlich.
Denn „Coraline“ ist für jeden ein Muss, der düstere Märchen ebenso schätzt, wie kreative Einfälle, eine starke Hauptfigur und das rundum zufriedene Gefühl danach.
8,5 von 10

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