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Es sitzt ein Mann in britischen Gefängnissen und psychiatrischen Kliniken, seit gut 34 Jahren, nur unterbrochen von einigen wenigen Tagen in Freiheit, ein brutaler Schläger, der sich in der Rolle des unberechenbaren Tieres mit eben diesem Ruf sowohl gefällt, als auch darin die einzige Möglichkeit sieht, seine Existenz der Nachwelt zu erhalten.
Da wird sich für so eine Lebensgeschichte doch ein Regisseur finden, der darüber einen Film machen will.

Schon geschehen.
Der Däne Nicolas Winding Refn, Genrefans bekannter als Regisseur der brutal-komischen "Pusher"-Trilogie hat sich der Lebensgeschichte des Michael Gordon Peterson, genannt Charles Bronson angenommen und einen Film daraus gemacht, der allen Biopic-Gesetzen von Anspruch, Sinn, Moral und Notwendig Hohn lacht.
Wie ist es zu bewerten, wenn man einen Film über einen Menschen dreht, der sich in der Rolle des brutalen Soziopathen gefällt und daraus auch noch ein komisches Semi-Bühnenspiel zu machen, das man nicht als "Personalisierung", "Dramatisierung" oder "Warnung" verstehen kann, sondern eher als vergnügte Verbeugung vor einer final verkrachten Existenz? Muß man so einen Film nicht gleich zwangsläufig ablehnen oder kann man die Bizarrerien auch einfach so genießen, weil der Filmemacher einen so abstrusen Stil wählt, daß man ihn praktisch schon dafür bewundern muß, das er es schafft, daß man mitlacht?

"Bronson" wird auf ewig zwischen den Stühlen landen, denn obwohl der Film die Abläufe von Bronsons Leben wiederspiegelt, so ist er doch eines ebensowenig wie seine Hauptfigur: normal.
In einer praktisch karrieredefinierenden Performance geht Tom Hardy als Bronson durch alle theatralischen Extreme und erweckt ein unberechenbares Monstrum und Muskelpaket zum Leben, dessen Schlagetotmentalität allein ihm den existenziellen Ruhm liefern muß - und das Publikum will dabei natürlich mitmachen, weil die Lebensgeschichte dieses Mannes allein zu mitmachen einlädt und man in Erwartung ausgedehnter Härten vor dem Bildschirm oder der Leinwand ausharrt.
Man macht diese Pervertierung von Leben mit, weil man diese Pervertierung von Unterhaltung stillschweigend akzeptiert, hier lebt sich jemand auf seine eigene Art und Weise aus und als Zuschauer fällt man dann doch gern drauf rein und sei es nur aus reiner Sensationslust.

So gesehen hat Winding Refn mit seinem Extremfilm eine Menge Spaß.
Hardys Bronson darf seine Lebensgeschichte in einem lynchesken Theatermarathon vor einer gesichtslosen Masse präsentieren und scheint sich über sich und das Publikum gleichzeitig lustig zu machen, während er droht und verschreckt.
Weil man dazu keinen wissenschaftlichen Kommentar abgeben könnte, der dem Wahnsinn noch etwas hinzufügen könnte, was der nicht schon selbst in sich rechtfertigt, tritt Hardy mit sich selbst in Dialog und versucht so, seine Figur verständlich zu machen. Als tadelloser Dandy, brutaler Clown oder als Januskopf, der sich selbst und die Behörden/Obrigkeit darstellt, bringt Hardy die Abstrusität der Situation immer wieder in den Vordergrund, kann aber niemals ausblenden, wie sinnlos und selbstgenügend diese Form der Existenz ist.

Vergleicht man den Film mit anderen Werken, so fällt vor allem die Nähe zu Vorbildern wie (bereits erwähnt) Lynch oder aber noch stärker zu Kubrick auf, dessen Set-Tableaus er hier praktisch auf einen neuen Nenner bringt: lange statische Einstellungen von kahlen Gefängniszellen, die erdrückende Enge des im Kreislaufes eines geschlossenen Raums oder lange Kamerafahrten entlang eines geradezu surreal gehaltenen Aufenthaltsraum einer Anstalt, der wie ein zerfallener Ballsaal aus einer untergegangenen Epoche wirkt, was durch den Einsatz von (sehr bekannten) klassischen Stücken und zeitgemäßer Popmusik noch unterstrichen, verstärkt oder konterkariert wirkt.

Was die Irren beschäftigen, beruhigen oder ablenken soll, wird zur existenziellen Symphonie für die fortwährende Gewaltbereitschaft des Protagonisten, der zerschlagen, verprügelt, unter Drogen gesetzt oder gefördert wird, doch Hardy macht mit seinem unbewegten, lauernden Gesicht oder seinem immer wieder aufblitzenden manischen Grinsen immer wieder deutlich, wie verachtenswert er die Realität draußen empfindet. Dazu paßt, daß alle Menschen, die ihm begegnen selbst nur Karikaturen zu sein scheinen: Gegner, die man zerstört; Irre, betont tuckige Homosexuelle; sich als Gutmenschen herausstellende Bürokraten.
Einen besonderen Haß, ein fokussiertes Ziel wird dabei nie formuliert, Bronsons Vorgehen ist niemals auf Abneigungen oder Vorurteile fokussiert, sondern im Film stets nur dazu angetan, für oder gegen seinen Ruhm zu arbeiten, der gefürchtetste Häftling Englands zu werden, wofür er viele Schläge in Kauf nimmt, aber immer der Mann bleibt, der seinen Traum notgedrungen niemals aufgibt.

Unter die Oberfläche schaut Winding Refn nur selten oder spartanisch: Bronson zeigt durchaus Einsicht, aber keine Reue; er läßt den Zuschauer die Müdigkeit spüren und zeitweise auch das nagende, brüllende Tier in seinem Inneren, daß er selbst nicht versteht, daß er aber für sich heulen läßt, weil ihm das eine Richtung vorgibt. So wohnt man einem trainierenden, im Kreis tigernden Etwas bei, das im Anschluß oft zu einem blutigen Klumpen Fleisch zerschlagen wird, was aber wiederum Teil seines Plans sein muß, Abgestoßensein und Faszination liegen so nah beieinander, Verständnis ist zwecklos.

Daß der Film so nirgendwo hin kommt, sondern sich im Kreis bewegt, ist klar - praktisch eine logische Folge ist, daß er eher erklärungsarm ausläuft, denn sein Protagonist steckt schlußendlich in sich selbst fest, wie eine bezaubernde wie antiklimatische Geiselnahme mit seinem Kunstlehrer im Gefängnis zeigt, in der er versucht, einen Teil von sich als Kunst darzustellen, was so befremdend wirkt, daß man es nicht mehr interpretieren kann.

"Bronson" glorifiziert nicht, aber er kritisiert auch kaum, so daß er einem individuellen Portrait ziemlich nahekommt, denn wozu etwas erklären, was nicht erklärt werden kann oder will - daß er damit jedoch nur seiner Figur einen Gefallen tut, ist ein Preis, den er als Filmemacher bezahlen muß, wobei die Rendite sein könnte, daß Winding der Einsatz als thematischer Hasardeur für spätere Aufgaben qualifiziert.
Weniger schockierend, eher beängstigend - aber so intensiv in Bilder gefaßt, daß man gerade dort lachen muß, wo man kotzen sollte. Kino, wie es sein kann. (7/10)

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