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Dustin Hoffman wurde in der "Reifeprüfung" als nicht leicht unter zu kriegender Charakter berühmt, der auch in schwierigen Situationen noch Charme und Humor behielt. Lange konnte er - auch dank seines deutlich jüngeren Aussehens - dieses Image Aufrecht erhalten, aber seit den 90er Jahren war endgültig Schluß mit den Rollen als jugendlicher Liebhaber. Das er nun mit Anfang 70 genau diese Rolle wieder spielt, macht den Reiz von "Last Chance Harvey" aus (deutlich besser als der belanglose deutsche Titel).

Als sein Gegenüber agiert Emma Thompson, die von Beginn an ihrer Karriere originelle, sperrige Charaktere spielte, aber nie als jugendliche Liebhaberin besetzt wurde. Diese Konstellation nutzt auch der Film, indem er die 20 Jahre jüngere Kate Walker (Emma Thompson) als verängstigte, abweisende Single-Frau schildert, die von dem charmanten Harvey Shine (Dustin Hoffman) erobert wird. Doch bis es dazu kommt, werden Beide erst einmal in ihrer real existierenden Umgebung dargestellt.

Shine arbeitet zwar als Musiker, aber sein Job hat jeglichen Reiz verloren, seitdem er nur noch computerunterstützt Jingles für Werbespots entwirft. Dazu wird er von seinem Boss schon als zu alt für den Job erachtet, weswegen dieser froh ist, dass Harvey über das Wochenende nach London reist, wo seine Tochter Susan (Liane Balaban) heiratet. Was sich wie ein mondänes Ereignis anhört, verliert schnell seine Attraktivität, als Harvey in einem preiswerten Hotel unterkommt und feststellen muss, dass die übrige Hochzeitsgesellschaft in einer noblen Villa untergebracht wurde. Der Kontakt zu seiner Tochter hatte seit der Scheidung von seiner Frau (Kathy Baker) stark gelitten, weshalb Susan lieber ihren Stiefvater Brian (James Brolin) zum Brautvater wählt.

Die Hochzeitgesellschaft, besonders die jungen Männer, von denen Harveys Tochter Einen auswählte, strahlen eine Erfolgsgewissheit aus, die Harvey noch stärker zu einem Loser stempelt. In einem Nebensatz wird deutlich, dass die Männer ihr Geld mit Termingeschäften verdienen, was den Film angesichts der aktuellen Finanzkrise, die besonders in London zugeschlagen hat, als veraltet erscheinen lässt. Letztlich unterstützen diese realen Ereignisse aber nur die Wirkung des Films, die den sperrigen Charakter Harvey Shine deutlich gegenüber der glatten Erfolgsgesellschaft favorisiert.

Ähnliches lässt sich von Kate behaupten, die dank ihrer Kollegin (Maggie Walker), die ihr unbedingt einen Lover verpassen will, unfreiwillig in eine peinliche Situation gerät. Der etwas jüngere Mann, mit dem sie verkrampft am Tisch sitzt, trifft in dem Lokal zufällig noch ein paar Freunde, aus deren Unterhaltung Kate zunehmend ausgegrenzt wird, bis sie unbemerkt verschwindet. Ganz deutlich entwirft der Film eine auf Jugendlichkeit und Erfolg basierende Gesellschaft, aus der Menschen wie Kate und Harvey ausgestossen werden, da sie nicht mehr die dafür notwendigen Kriterien erfüllen.

Es erstaunt weder, dass Harvey noch vor Abschluss der Feierlichkeiten wieder London verlassen will, noch, dass sich Kate lieber allein mit einem Buch zurückzieht. Das erste echte Aufeinandertreffen der Beiden ist deshalb der Höhepunkt des Films, denn in diesem werden die schauspielerischen Fähigkeiten der beiden Mimen voll genutzt. Ihre Beziehung entwickelt sich in einer Nachvollziehbarkeit, wie sie selten zwischen Mann und Frau im Film umgesetzt wurde. So stürmen sie auch gemeinsam die Hochzeitsgesellschaft, die sich über die überraschenden Gäste wundert...

Leider kann der Film sein Potential nicht wirklich nutzen, weil er seiner selbst kreierten Konstellation nicht traut. Anstatt die Aussergewöhnlichkeit des Paares zu nutzen, beginnt der Film schnell in das Fahrwasser üblicher romantischer Komödien einzutauchen. Mit der Frau an seiner Seite gelingt Harvey plötzlich das, was im viele Jahre nicht gelang - anstatt weiter die peinliche Nummer abzugeben, lässt er eine zwar etwas verwirrte, aber letzlich souveräne Rede vom Stapel, die plötzlich alle miteinander versöhnt. Die leise Kritik an der Oberflächlichkeit dieser Gesellschaft wird von allgemeiner Harmonie abgelöst, indem der erfolgsverwöhnte junge Finanzjongleur seinen plötzlich entdeckten Schwiegervater umarmt. Harvey ist kein Aussenseiter mehr, obwohl man ihn doch gerade als solchen mochte.

Das "Harvey last Chance" nicht völlig in den Abgrund typischer RomComs abgleitet ist seinen beiden Hauptdarstellern zu verdanken. Obwohl das Drehbuch kein Fettnäpfchen mehr auslässt - natürlich wird Harvey plötzlich doch wieder in seinem Job gebraucht und auch das ewige sich Verpassen bei einer wichtigen Verabredung kann man nicht lassen - gibt es immer wieder Szenen, in denen die Qualität der Anfangskonstellation aufblitzt. Gerade Emma Thompson kann fühlbar werden lassen, welche Ängste eine Frau mittleren Alters zunehmend entwickelt, und welchen Mut es braucht, sich wieder auf einen Menschen einzulassen.

Vielleicht war es den Machern schon riskant genug, sich mit der Liebe über 50 zu beschäftigen, um das Ganze noch in ein realistischeres Szenario einzubetten. Dabei herausgekommen ist leider ein zwiespältiges Vergnügen aus sehr guten schauspielerischen Leistungen und einem leicht kritischen Blick auf unsere Leistungsgesellschaft, gepaart mit einer teilweise unerträglich soften Musik und einer Story, die ihren Mut zunehmend verliert (6/10).

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