Im Wesentlichen ein "grünlich-blaues...rot-braungrau"!
So beschreibt man zwar am sichersten in einem Loriot-Sketch seine Lieblingsfarbe vor der Psychologin, aber nicht unbedingt seinen Lieblingsfilm.
Das Problem mit "I love you, Phillip Morris" ist jedoch, daß diese umschreibende Vorsichtsmaßnahme, ja nicht falsch verstanden zu werden, bei dieser Produktion leider Programm ist. Die erste Regie des "Bad Santa"-Autorenteams Requa und Ficarra schmeißt so viele Sachen in einen Topf, daß man darüber glatt vergessen könnte, daß es sich streckenweise um einen echt lustigen Film mit Jim Carrey handelt, was ja seit der ersten Hälfte von "Bruce Allmächtig" auch nicht vorgekommen ist.
Carrey wird bis zu seinem Abschied unter dem Problem leiden, daß Filme mit ihm immer "Jim-Carrey-Filme" bleiben, zumindest in Teilen der Summe und er sich von seinem Image als meisterhafter Grimassenslapsticker nie ganz wird lösen können, dafür ist ihm und dem Publikum sein typisiertes Mienenspiel schon viel zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen.
Regisseure sind mit ihm am erfolgreichsten, wenn sie ihn so weit unter Kontrolle kriegen, das sein Gesicht das Skript oder die Story nicht weiter negativ beeinflußt ("Truman Show", "Eternal Sunshine") oder die Story stark genug ist, sogar seine Präsenz zu überdecken.
Doch "Phillip Morris" ist kein spezielles Carrey-Projekt, sondern insbesondere (wie uns im Vorspann zweimal versichert wird) eine biographische Verfilmung eines (zufällig schwulen) Gauners und Trickbetrügers, der sich zum einfallsreichsten Ausbrecher der jüngeren US-Geschichte mausert.
Allein mag man das nicht glauben, wenn man den Film zufällig gerade sieht, denn er wirkt dann doch wie eine Carrey-Komödie mit leicht tragischen Untertönen (oder einem vermuteten moralischen Unterbau, der diesem Film als Kommentar dann zum Glück doch ganz fehlt), der stets und ständig bemüht ist, sein Publikum narrativ auf eine falsche Fährte zu locken oder hackenschlagend aus dem Takt zu bringen.
Was als "besondere" Lebensgeschichte anfängt (adoptiert, Familienmensch, Identitätssuche), nimmt dann plötzlich die Wendung zum schwulen Doppelleben, dann einen Kopfsprung in die Betrugskriminaliät, um dann in eine schwule Liebesgeschichte auszuweichen, die alle weiteren Vorgänge im Leben Steven Russells bestimmen soll.
Das Endprodukt ist oder will zumindest alles sein: eine Komödie, eine Tragödie, ein Drama, ein Liebesfilm, ein Bio-Pic, ein Gaunervergnügen und bei alledem auch immer noch ein Jim-Carrey-Film, in dem er noch dazu einen Schwulen spielt.
Denn wirklich zurücknehmen kann sich der Star hier nicht, es wirkt, als hätte er die verschiedenen Möglichkeiten (oder Varianten) seiner Filmpersönlichkeit erkannt und stürze sich wie übliche in voller Montur ins Geschehen, ohne Gefangene zu machen.
Das Publikum reagiert darauf mal mit Verblüffung, mal mit Vergnügen (falls man den Hauptdarsteller nicht ohnehin von Beginn an ablehnt), aber es kann über fast die komplette Laufzeit kein geeignetes Ziel ins Auge fassen, bis das Schlüsselwort "Identitätssuche" noch ein paarmal durch das Drehbuch huscht.
Derweil versucht sich ein gestandener Darsteller wie Ewan McGregor an einer - im Gegensatz zu Carreys komödiantischem Grobschnitt - fein ziselierten Darstellung als eingeknasteter, aber softer Modellschwuler und auserwählter Lebensgefährte und kommt darstellerisch sogar ausgesprochen gut durch damit, wenn seine weichegespülte Tucke auch nie zu seinem Spielpartner passen will.
Aber diese Gegensätze sind ein Dauerproblem, das ja das Leben eines realen Menschen nachspielen soll und die tragischen Aspekte nebenbei betonen muß, sowohl das Gefühlsleben, wie auch die innere Zerrissenheit, während gleichzeitig an recht graphischem Humor geschnitzt wird (übrigens dankbarerweise slapstickhaft, aber ohne eine einzige Grossout-Szene).
Das Highlight sind mit Sicherheit die zahlreichen Varianten, mit denen sich Russell immer wieder den Vollzugsbehörden entzieht - eine davon ist so aufwändig, das ich hier lieber der Überraschung wegen nicht ins Detail gehe - und sich mittels nicht unbeeindruckenden Intellekts immer wieder in finanziell einträchtige Positionen schwindelt.
Wäre das Gesamtkonstrukt mit seinen vielen Plotpoints nicht so fürchterlich brüchig, wäre ein faszinierendes Portrait daraus geworden, aber es erscheint natürlich in den Augen der Autoren und Vermarkter einträglicher, wenn es als Überraschungseffekt präsentiert wird, wie Carrey schwitzend einen Vollbärtigen anal penetriert, mit McGregor in der Zelle zärtlich schwoft oder ihm dann am Ende verzweifelt, aber überkitschig mit Überquerung der Fremdschämgrenze seine ewige Liebe gesteht.
Mag sein, daß Requa und Ficarra mit ihrem Skript dem Darsteller etwas bieten konnten, dem er nicht zu widerstehen imstande war, aber unter Kontrolle hatten sie ihn nie, um eine kohärente Vision von Film zu erstellen, herausgekommen ist nur eine wildwuchernde Stilpalette, die eben teilweise außerordentlich faszinierend und irgendwie sehr oft sehr komisch ist.
Da Russell wohl bis zum St.Nimmerleinstag im Knast sitzen wird, ist wohl nicht sehr wahrscheinlich, daß ihm diese Version seiner Lebensgeschichte groß schaden kann, aber einen Gefallen hat man ihn mit diesem überkandidelten Mix nicht getan (und Carrey kann es besser, wie sein meisterlicher "Man on the Moon" bewies). Ein Publikum wirklich anzusprechen wird jetzt die größte Herausforderung für den Verleih sein, der vermutlich die Talente und das Skandalpotential seines Darstellers in diesem Fall herausstellen wird, um wenigstens die Comedyfans einzufangen. Für ernsthafte Kinogänger, die bei einem unterhaltsamen Bio-Pic auch die schwule Komponente gern mitgenommen hätten, ist "I love you, Phillip Morris" deutlich zu dick und grell aufgetragen, um mehr als eine schräge, aber halbwahre Groteske darzustellen. (5/10)