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Die Menschen stehen offenbar wieder auf moderne Märchen im kunterbunten Gewand, mit einer leichten Prise Ironie und Nuancen von Sozialkritik, - das zumindest untermauern die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences und belohnten Danny Boyles Streifen mit gleich acht Oscars.
Tatsächlich vermag „Slumdog Millionär“ mit seinen dynamischen Kamerafahrten, dem gefälligen Score und der intelligenten Erzählweise phasenweise zu beeindrucken, was jedoch in keinem Verhältnis zur Story steht, die kaum Spannungsmomente zulässt.

Denn wir ahnen bereits früh, wie die Reise von Jamal auf dem Kandidatenstuhl der indischen Version von „Wer wird Millionär?“ enden wird.
Wie kann ein junger Mann, der im Call-Center Tee serviert und nie eine Schule besucht hat, so spezielle und knifflige Fragen beantworten? Dieses Geheimnis beantwortet Jamals Vergangenheit, die seine Erlebnisse in den Slums von Bombay, später Mumbai schildert und dabei eine Liebesgeschichte einbindet, die in ihrer Präsentation nicht von ungefähr an typische Bollywood-Filme erinnert.

Stark hingegen ist vor allem der Beginn, als Waisenjunge Jamal und sein Bruder das Mädchen Latika kennen lernen, sich durch die Slums schlagen und ergaunern, Touristen mit Führungen durch den Taj Mahal betuppen, Zeugen von Übergriffen fanatischer Hindus werden und nicht selten auf fahrende Züge aufspringen.
In dieser Phase entfalten die Bilder ihre volle Wucht, die Kamera bewegt sich mitreißend und man fühlt sich inmitten des Geschehens und ständig in Bewegung.

Erst später allerdings gestalten sich die verschiedenen Erzählebenen zu einer runden Sache, denn besonders die kurzen Sequenzen der Quizshow und ein zwischenzeitliches Polizeiverhör nehmen ein wenig Drive heraus. Problematisch ist zudem ein derber Zeitsprung, der Jamal zwar einige Zeit als Kind zeigt, dann aber viel zu kurz ins Jugendalter springt, um in der Jetztzeit zum Ende zu kommen. Da hätte man sich ein wenig mehr Tiefe gewünscht, um den Hauptakteur tatsächlich ins Herz zu schließen, was im Kindesalter aufgrund der schweren Bedingungen tadellos klappt, er als Erwachsener jedoch zu introvertiert rüberkommt.

Ein größeres Problem ergibt sich durch die Liebesgeschichte, die zu keiner Zeit eine mitreißende Gestalt annimmt, zumal die beiden Protagonisten erst gegen Ende gemeinsame Szenen haben. Die beidseitige Zuneigung setzt zwar bereits im Kindesalter ein, wird aber zunehmend oberflächlich abgehandelt und erfährt zu wenig emotionale Tiefe, was wiederum der bisweilen schwachen Charakterzeichnung zuzuschreiben ist.
Ferner wirken die Darsteller primär in der Endphase ein wenig hölzern, um ihre Gefühle adäquat zu transportieren.

Natürlich wirkt es auf den ersten Blick reichlich konstruiert, wenn Jamal gegenüber eines (reichlich arroganten) Quizmasters spezielle Fragen beantworten kann, weil sie Schlüsselmomente seiner eigenen Vergangenheit darstellen und er zwar weiß, welcher Präsident auf einem 100-Dollar-Schein abgebildet ist, jedoch nicht, auf welchem Gandhi zu sehen ist. Aber genau jene Konstruktion macht das Raffinierte der Erzählung aus, die Lebensstationen, die wie eine rasante Achterbahnfahrt wirken und die Erlebnisse eines Underdogs, der für die Zuschauer zum Held avanciert und als Vorbild dient.
So kommt es gegen Ende auf den Einsatz des Telefonjokers an und man hört an der Reaktion des Publikums und den Menschen auf der Straße, wie sehr der Weg Jamals die Bevölkerung mitreißt.

Ganz so mitreißend gestaltet sich „Slumdog Millionär“ im Endeffekt zwar nicht, doch er ist ein grundsolides Stück Hollywood mit unverkennbaren Stärken auf optischer und akustischer Ebene. Stark zu Beginn, spannend gegen Ende leidet er vor allem im Mittelteil unter redundanten Szenen, die ungünstige Schwerpunkte setzen und immer wieder Fahrt aus dem Geschehen nehmen.
Dass ausgerechnet ein typischer Tanz/Gesangs-Abspann im Bollywood-Stil nachgeliefert wird, mag für manchen Zuschauer wie ein Schlag ins Gesicht wirken, aber wenn man infolgedessen trotzdem noch mit einem leichten Lächeln zurückgelassen wird, hat der Film bereits seinen Auftrag erfüllt…
7 von 10

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