Mit Dirty Harry auf der Veranda
Solche oder ähnliche Gedanken kommen einem beim Schauen von „Gran Torino“ ganz unwillkürlich in den Sinn. Zwar ist es eine Herabwürdigung dieses Filmes, da er auch ganz ohne diese Assoziation ganz hervorragend funktioniert, doch ohne Clint Eastwood hinter und vor der Kamera, der in seiner Filmlaufbahn so manche überlebensgroße Ikone des Filmes geschaffen hat, würde „Gran Torino“ eben auch etwas Essentielles fehlen.
Clint Eastwood gibt hier natürlich nicht den alternden, gnadenlosen Cop Harry Callahan, der seinen Lebensabend auf der Veranda verbringt, sondern einen anderen Veteranen, der sein Leben nicht damit verbracht hat, Schwerverbrecher zu bekämpfen, sondern im Koreakrieg „Schlitzaugen“ zu töten. Dass diese Konstellationen nicht so weit voneinander entfernt liegen, liegt an Eastwood, der es schafft der Figur Leben und Eigenständigkeit einzuhauchen, dabei aber eben auch immer Eastwood bleibt. So wirkt das zynische Verbittertsein, dass seine Figur zu Anfang des Filmes ausmacht, eben auch wie eine Abrechnung mit den Rollen, die seine Karriere eine lange Zeit bestimmt haben. Doch auch die abgebrühtesten tough guys werden mal alt und mit ihnen die ausgelatschten Klischees der klassischen one liner („Make my day“) oder zynischen Grundeinstellung. Und wenn wir mal ehrlich sind: die bösen Jungs in den „Dirty Harry“ (oder auch „Death Wish“) -filmen waren eben oft anderer Hautfarbe, eine Tatsache, die in der Zeit der Entstehung nicht nur akzeptiert wurde, sondern auch gang und gäbe war. Wenn man diesen Gedanken mal weiterspinnt und sich fragt, wie es einem Callahan jetzt gehen würde in unserer jetzigen durch Multikultur und political correctness geprägten Welt, dann wäre man nicht weit entfernt von Walt Kowalski (so Harrys... äh Clints Rollenname in „Gran Torino“), der sich entfremdet fühlt von den „Schlitzaugen“ in seiner Nachbarschaft und auch von seinen eigenen Kindern und Enkeln, die so gar nicht mehr den Werten entsprechen, mit denen er aufgewachsen ist.
Eastwood zeigt gerade zu Beginn des Filmes ein eher deprimierendes Bild vom ausrangierten, wie erzkonservativen Leben, das eigentlich nur noch auf den Tod wartet. Um so wunderbarer sind dann die Geschehnisse, die sich anschließen. Mehr aus Selbstschutz klärt der alte Grantler (mittels einer Waffe aus seiner Vergangenheit) einen Streit seiner asiatischen Nachbarn, für die er eigentlich nur Verachtung übrig hat. Nach diesem Zwischenfall kommen sich Kowalski und die Nachbarn näher. Kowalski kommt sogar der gesamten Nachbarschaft näher, weil sich „sein“ Viertel in ein koreanisches verwandelt hat und ihm auf einmal der Dank und der Respekt der asiatischen Gemeinschaft sicher sind. Vor allem diese Szenen sind es, die am meisten Spaß machen, am beeindruckendsten und am menschlichsten sind: Kowalski, dem alles nicht geheuer ist, dem der Dank regelrecht unangenehm ist, ist sich aber zumindest nicht zu schade, einen Blick über den Tellerrand zu riskieren.
Was er dabei erfährt, dürfte den alten Haudegen ziemlich erschüttern: er merkt ziemlich schnell, dass seine Nachbarn eigentlich viel mehr mit ihm gemein haben, als seine eigenen Kinder, die ihn eigentlich nur in ein Altenheim abschieben wollen, um sich das Erbe zu teilen. Nein, bei den koreanischen Nachbarn herrscht ein ausgeprägter Familiensinn und ein Zusammenhalt, Gefühle und Werte, die Kowalski so sehr vermisst. So kommt es, wie es kommen muss: er öffnet seinen Schutzschild aus Zynismus Stück für Stück und schließt Freundschaft vor allem mit Thao (Bee Vang), dem Sohn der Familie, den er unter seine Fittiche nimmt und sich tatsächlich so etwas wie ein Vater-Sohn-Verhältnis entwickelt.
Wie schon beschrieben, sind es vor allem diese Szenen der Wandlung, die „Gran Torino“ auszeichnen und zu etwas Besonderem machen. Was schnell ins kitschig-unglaubwürdige abdriften könnte, ist aber auch von Eastwood so gut und differenziert gespielt, dass so etwas wie Zweifel an der Wandlung gar nicht aufkommen können. Sein Kowalski ist über Nacht mitnichten zu einem Gutmenschen geworden. Nein, so alte Werte und Ansichten lassen sich nicht von einem Tag zum anderen wegzaubern, aber immerhin nach und nach erweichen. So wird das Wort „Schlitzauge“ wohl nie den Weg aus Kowalskis Sprachschatz finden und selbst sein Friseur wird von ihm (allerdings auf eine nette Art und Weise) als „Jude“ und „Itacker“ tituliert. Dass sein Charakter Kowalski überhaupt noch Jemanden an sich heran lässt, ist schon ein Wunder, dass es sich dabei auch noch um Asiaten handelt, ist ein noch größeres.
Der Zuschauer folgt dieser Handlung mit Spannung und Freude. Natürlich gibt es noch einen anderen Plot, der ziemliches Konfliktpotenzial hat und am Ende des Filmes zu einer Katastrophe führen wird, doch eigentlich benötigt man das gar nicht. Allein das Spiel Eastwoods und das Zusammenspiel mit den ebenfalls sehr überzeugenden koreanischen Darstellern fesselt den Zuschauer zur Gänze. Die meisten hätten sich wohl auch drei Stunden lang das langsame Annähern Kowalskis zu seinen Nachbarn angeschaut, ohne auch nur eine Minute Langeweile zu empfinden. On top kommt allerdings noch der Konflikt mit einer koreanischen Gang, die Kowalskis neuen Schützlich Thao auf die dunkle Seite des Lebens ziehen wollen. Dabei geraten sie mit Kowalski aneinander, der, ganz seiner „alten“ Werte entsprechend, den Konflikt mit eiserner Hand lösen will. Dass er nicht mit der Brutalität der heutigen Jugend gerechnet hat, wird ihm und der Familie neben ihm am Ende zum Verhängnis.
Wer bis hierher liest und sich fragt, warum der Film „Gran Torino“ heißt, der hat natürlich völlig recht. Ein „Gran Torino“ ist ein klassisches amerikanisches muscle car, das sich in Kowalskis Garage befindet und im Film symbolisch für seine konservativen und altmodischen Werte steht. So ist es auch kein Wunder, dass Kowalskis und Thaos erstes richtiges Zusammentreffen bei Thaos vergeblichem Versuch des Stehlens dieses amerikanischen Klassikers stattfindet. Auf dieses Fahrzeug haben es einige der Protagonisten abgesehen, doch am Ende wird es die Person bekommen, die Kowalski für würdig befindet, seinen so gehegten und gepflegten Wagen zu fahren. Wer dies ist, sei an dieser Stelle natürlich nicht verraten.
Alterswerk ist ein furchtbares Wort, da ich es in der Regel mit sperrigen Werken verbinde, die Autoren, Regisseure oder andere Künstler zu einem Zeitpunkt erschaffen, an dem sie nicht mehr kritisiert werden und dies auch wissen und so am Publikum vorbeiarbeiten. Dies ist bei Eastwood definitiv nicht der Fall. Im Gegenteil: man bekommt den Eindruck, dass er immer besser wird, sowohl als Regisseur, als auch als Darsteller. Wenn man sich die (zweifellos coolen) Rollen in seiner Vergangenheit anschaut, kommt man nicht umhin, diesen eine gewissen Flachheit attestieren zu müssen. Welchen Weg Dirty Harry nehmen sollte, hätten sich die meisten Kinobesucher in den 70'er Jahren wohl nicht träumen lassen, zeichnet sich doch Eastwoods Spätwerk mit der Menschlichkeit aus, die seine frühen Werke vermissen ließen. Dies gilt auch und inbesondere für „Gran Torino“, ein Film, der auf so vielen Ebenen funktioniert und in jeder dieser Ebenen ein mächtiges Plädoyer für Menschlichkeit und Toleranz ist. Dass er auch noch grandios zu unterhalten weiß, macht aus einem wichtigen Film einen großartigen!
Fazit:
10 / 10