„…der Herr Veigl hat mir die wichtigsten Stellen ins Deutsche übersetzt.“
Der Münchner Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) ermittelt in seiner neunten Episode unter der Regie des Österreichers Helmuth Ashley („Kriminalmuseum“), der ein Drehbuch Willy Puruckers adaptierte. Der am 17.07.1977 erstausgestrahlte, 77. „Tatort“ (mehr Siebenen gehen kaum) blieb Ashleys einzige Inszenierung innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe.
„Ich glaube Ihnen gar nichts, Herr Mader!“
Die Anhalterin Vroni (Viola Böhmelt, „Liebe unter 17“) wird eines morgens erschossen aufgefunden, eingewickelt in einen Schlafsack im Wald abgelegt. Zugleich treiben Wilderer und ein Autoknacker ihr Unwesen. Viel zu tun für Kriminalhauptkommissar Veigl, Kriminalhauptmeister Ludwig Lenz (Helmut Fischer) und Kriminalmeister Brettschneider (Willy Harlander), obwohl Veigl seine Zeit eigentlich lieber mit seiner Besucherin Frau Hansen (Ingrid Capelle, „Im bayerischen Stil“) verbringen würde. Veigls Intuition – und die Nähe der Gaststätte „Jägerstüberl“ – sagen ihm, dass alle drei Verbrechen miteinander zusammenhängen…
Zwei Junge Männer, Biwi (Werner Asam, „Planübung“) und Dscho (Martin Semmelrogge, „Vorstadtkrokodile“), schießen verbotenerweise während der Schonzeit Rotwild im Wald und verkaufen es ans „Jägerstüberl“, während Veigl sich gerade zusammen mit seiner Bekannten Frau Hansen eine Theateraufführung ansieht, in der es ebenfalls um Jäger geht. Einem Publikum nördlich des Weißwurstäquators wird damit vermutlich ungewollt das Bild vermittelt, männliche Bayern liefen stets und in grün bewaffnet herum, weil sie entweder Jäger respektive Wilderer oder Bullen seien. Jene Zuschauerschaft dürfte auch wieder Probleme mit dem starken bayrischen Akzent haben, der gerade im ersten Abschnitt dieser Episode omnipräsent ist und das Verständnis erschwert.
Aus der Wilderei während der Schonzeit resultiert ein Stiefvater-Sohn-Konflikt zwischen Hannes Mader (Siegfried Rauch, „Peter und Sabine“) und Biwi, dessen Komplize und Kumpel Dscho wenig vertrauenserweckend dazu neigt, mit einer Pistole vorm Spiegel zu posieren. Veigl wiederum hat frei und genießt die Zeit mit Frau Hansen, weshalb er im weiteren Verlauf viele Aufgaben an Lenz und Brettschneider delegieren wird. Vroni, eine fesche Zahnarzthelferin aus Selb, fährt per Anhalter bei Herrn Mader mit, während Dscho Autos knackt. Am nächsten Morgen wird Vronis Leiche gefunden; die Gewalttat wird ebenso wenig gezeigt wie das, was ihr unmittelbar vorausgegangen sein muss. Den Zuschauerinnen und Zuschauern gegenüber macht sich zunächst Dscho verdächtig – oder war es doch Herr Mader…?
Diese Frage beschäftigt fortan das Publikum ebenso wie die Polizei. Zwar weiß man als Zuschauer(in) mehr als Veigl & Co., jedoch nicht, mit wem Vroni vor ihrem Tod pikanterweise einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte, den der Leichenbeschauer ihr attestiert. Eine Vergewaltigung mit anschließendem Mord, um das Opfer für immer zum Schweigen zu bringen, kann somit ausgeschlossen werden. Lenz und Brettschneider sind überaus präsent, aber auch Veigl schaltet sich in die Ermittlungen ein und befragt erst Biwi, um anschließend auf dessen Stiefvater aufmerksam zu werden. Als Biwis Mutter und Herrn Maders Ehefrau ist übrigens wieder die aparte Veronika Fitz („O, diese Bayern“) dabei, und Werner Asam zählte bereits im vorausgegangenen „Tatort: Das Mädchen am Klavier“) zur Besetzung.
Herr Mader überholt schließlich Dscho in Sachen Verdächtigkeit, dessen kleinkriminelle Ader möglicherweise lediglich als roter Hering diente. Ungefähr zu Beginn des letzten Drittels offenbart sich der Täter gegenüber dem Publikum. Veigl beweist den richtigen Riecher, bevor das Finale etwas überraschend mit Actioneinlagen und Stunts aufwartet. „Schüsse in der Schonzeit“ erweist sich als gut erzählter Fall, der trotz eines steten Wissensvorsprungs seines Publikums nie zu viel verrät und dadurch über die volle Distanz interessant bleibt. Irritierend ist es jedoch, Semmelrogge bayrisch synchronisiert statt mit seiner üblichen Kodderschnauze zu hören…