Man freut sich ja doch.
Zwar hat Richard Kelly vermutlich ganze Heerscharen im Umfang der US-Armee der letzten 100 Jahre mittels seines letzten Films "Southland Tales" nach dem "Donnie Darko"-Triumph vergrätzt, aber bei aller globalen Ablehnung war der fertige Film ein dermaßen wirres Faszinosum, daß allein der Reiz, von ihm etwas Neues sehen zu können, nicht gänzlich abgetötet werden konnte.
Das Glück ist ihm auch weiterhin nicht treu, denn "The Box" konnte nicht mal sein moderates Budget in den Staaten an der Kinokasse wieder hereinholen, aber letztendlich waren die knapp 15 Millionen immer noch viermal so viel, wie "Donnie" jemals im Kino machte. Bei uns läßt man sich patent gar nicht erst auf Risikospielchen ein und verramscht den Film gleich auf DVD - was angesichts des ganzen Dreiakters gar nicht mal so unverständlich ist.
Kelly ist sich nämlich, obwohl nicht mehr mit so großer Bandbreite, überraschend treu geblieben und inszeniert seine Verfilmung von Richard Mathesons Kurzgeschichte "Button, Button" wieder als eine Mischung aus Mystery-Thriller, SF-Elementen und philosophisch-moralischem Unterbau.
Für so etwas gibts natürlich keine besonders geeignete Zielgruppe, denn obwohl Rätselspannung groß geschrieben wird, ist der rote Faden, der das Werk durchzieht, im Grunde recht niederschmetternd - kein Gute-Laune-Film, kein Plüschsaal mit Popcorn.
Mathesons Vorlage, die schon einmal für eine Episode der TV-Anthologie "The Twilight Zone" verfilmt wurde, bietet hier nur den Stoff für den ersten der drei Akte: die scheinbar glückliche Familie, die während bestehender Geld- und Karriereprobleme (nichts davon existenzbedrohend) von einem Fremden eine seltsame Box mit einem Knopf präsentiert bekommen, mit deren Hilfe sie in den Besitz einer Million kommen könnten, wenn sie den Knopf nur drücken würden. Das hätte allerdings den Haken, daß ein ihnen völlig Fremder sterben würde.
Kelly konzentriert die ersten dreißig Minuten auf eben dieses Tableau, etabliert die Charaktere und erforscht die treibende Dynamik in dieser Familie, die gar nicht mal unglücklich ist. Nur eben sind die Astronautenpläne des Vaters zerschossen worden und das Geld für die teure Privatschule könnte demnächst nicht mehr reichen - da sollte man dann schon intensiver diskutieren, ob man einfach so einen Fremden um die Ecke bringt oder das ganze für einen ausufernden Scherz halten sollte.
Mit der originalen Pointe - natürlich wird der Knopf gedrückt - endet dann der erste Akt: die Box wird abgeholt und zu jemandem gebracht, "der die Familie Lewis garantiert nicht kennt".
Kelly geht bis dahin nicht zu sehr in die Tiefe, sondern baut seine Charaktere erst langsam aus, stellt sie auf, zeigt ihre Tagesabläufe, zeigt ihre Bindungen. Norma arbeitet als Lehrerin, leidet aber unter einem verkrüppelten Fuß, Arthur sieht seine NASA-Forschung eher als Sprungbrett für etwas Größeres, dazu der aufgeweckte Sohn im nahenden Teenageralter.
Doch sobald der Knopf gedrückt ist (mit der Formulierung wird im Dialog übrigens noch geschickt herumgespielt), muß Kelly seine Geschichte in eine neue Richtung entwickeln und wendet sich den Hintergründen zu, denn wo im TV bei 25 Minuten die moralische Frage samt fieser Pointe genügte, verlangt man im Langfilm nach Antworten und Motiven.
Schon zuvor setzt Kellys eigenes Skript gewisse Fingerzeige auf seltsame Vorgänge in Langley (der Ort vereinigt also verschiedene Geheimdienste und die NASA, noch dazu in der Weihnachtszeit und angesichts einer bevorstehenden Familienhochzeit, bietet also Raum für ein angespanntes Gefühlsleben), doch jetzt biegt der Film in Richtung "mind fuck" ab und gerät in einen Strudel aus mysteriösen Bildern und schrägen Ereignissen, die bizarr und teilweise "lynchesk" noch zahm beschrieben sind.
Das Talent des Jungregisseurs (Kelly ist gerade mal Mitte 30) für seltsame, verstörende Bilder ist intakt geblieben und hat sich noch verfeinert, einige Sequenzen, u.a. in einer großen Bibliothek, in der alle Anwesenden Arthur und Norma getrennt voneinander beobachten und verfolgen, ist verstörend abgründig.
Die größte Schwäche ist jedoch gleichzeitig, daß Kelly so etwas wie eine Erklärung für die Vorgänge bieten muß und je mehr Spezialeffekte ins Spiel kommen, desto oberflächlicher wirkt der Film plötzlich. Die unheimliche Figur des Boxüberbringers Arlington Steward (dargestellt von einem cgi-entstellten Frank Langella in Höchstform) wird mehr und mehr erhellt und damit leider auch immer konventioneller, mit jeder Schicht an Informationen, die er preisgibt. Wenn er nach knapp 80 Minuten endlich in einer simplen Dialogszene die Hintergründe aufdeckt, wirkt die Erklärung geradezu enttäuschend abgedroschen - da kann man aber noch nicht ahnen, daß Kelly eine "noch nie dagewesene" Erklärung vermutlich gar nicht interessiert hat. Just als alles nach einer beliebigen Akte-X-Folge zu stinken beginnt, kippt der Film im finalen Akt wieder in ein Gedankenspielchen mit Gewissensaspekt - die Eheleute werden in eine neue Entscheidungssituation gedrängt, die plötzlich wesentlich persönlicher daherkommt.
"The Box" ist Kellys bisher intensivster Film, was die Auseinandersetzung mit den Charakteren betrifft. Zwar wird "Donnie Darko" erfolgreicher bleiben, jedoch bleiben die Figuren im Erstling auch immer befremdlicher, andersweltlicher und distanzierter. Hier fährt Kelly näher ran und präsentiert mit James Marsden eine relativ beliebige, aber recht intensive Projektionsfläche und mit Cameron Diaz eine enorm zurückgenommene Komödiendarstellerin, die sich zunehmend selbst zerfleischen.
Daß das mittlere Drittel ihren Figuren nicht entgegen kommt - so werden wie in Mystery-Serien gern die entscheidenden Fragen immer ausgelassen, statt sie durchzudiskutieren - ist störend, aber der Faden kann zum Schluß wieder aufgenommen werden.
Die philosophischen Bezüge über Moral und Verantwortung werden mit Sartres Stück "No Exit" (in Deutschland bekannt als "Geschlossene Gesellschaft") gekreuzt, über drei Personen, die in der Hölle gelandet sind - sie müssen für die Ewigkeit miteinander auskommen und den jeweils anderen sowohl kennen als auch erkennen und ertragen. "Die Hölle, das sind die Anderen" und diese Situation spielt Kelly zu Anfang und zum Ende hin durch, ohne eine erkennbare Lösung oder einen Ausweg zu finden, beweist dabei aber einen fachkundigen, wenn auch zynischen Blick in die menschliche Natur und ihre Verhaltensweisen. Am Ende gibt es Entscheidungen, aber keinen Ausweg und mit so einer Konsequenz kommen nicht mehr viele auf Unterhaltung getrimmte Filme dem Publikum vor Augen.
Ein Genuß ist wie immer die komplette Inszenierung, die diesmal wieder (wie bei "Darko") in der Vergangenheit spielt, im Dezember 1976, als die Welt noch nicht so technisiert und überschaubar war. Sowohl die Ausstattung wie auch die Kameraführung sind ein Erlebnis und steigern die Atmosphäre deutlich, die Musik von "Arcade Fire" unterstreicht das Gefühl ständiger Verunsicherung noch.
Damit ist Kelly ein diskussionswürdiges Stück Film gelungen, auch wenn die meisten Zuschauer eher darüber streiten werden, ob sie das bekommen haben, was sie wollten, aber letztendlich dürfte der massenhafte Absatz von DVDs von "Donnie Darko", bzw. der Reiz des Films auch nicht konstruktiv erklärt werden können, zumindest nicht von einem Großteil der Besitzer. Verunsicherung, Verstörung, eingebettet in ein undefinierbares Gefühl der Nostalgie - das umweht auch "The Box" und beweist trotz gelegentlicher Schwächen: der Mann ist auf dem richtigen Weg. Und sollte bloß nicht anfangen, Actionfilme zu drehen. (7/10)