„Die Welt ist schlechter als Sie denken!“
In ihrem 13. Fall ist die Frankfurter Kommissarin Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki) auf sich allein gestellt: Ihr Partner Fritz Dellwo befindet sich auf einem Austausch in München. Und prompt gerät sie an ihre persönlichen Grenzen. Der spätere „Tatort“-Ausnahmeregisseur Florian Schwarz („Tatort: Im Schmerz geboren“) debütierte 2008 mit dieser Verfilmung eines Drehbuchs Michael Proehls innerhalb der TV-Krimireihe und schien bereits damals wenig Interesse an konventionellen Stoffen zu hegen.
Sänger wird unvermittelt Zeugin, wie eine offenbar psychisch derangierte junge Frau (Kim Schnitzer, „Lucy“) im Drogenrausch scheinbar wahllos auf offener Straße um sich schießt. Sie bedroht auch Sänger, die zu schießen zögert und sich damit selbst in Gefahr begibt. Aus dem Hintergrund feuert daher Streifenpolizist Martin Petzhold (Uwe Bohm, „Der Mann nebenan“) und gibt den tödlichen Schuss ab. Es stellt sich jedoch heraus, dass die Frau gar keine scharfe Waffe hatte, sondern mit Platzpatronen schoss. Nichtsdestotrotz zweifeln Sängers Vorgesetzte an ihrer Diensttauglichkeit, suspendieren sie und verdonnern sie zu Sitzungen beim Polizeipsychologen (Johann von Bülow, „Die Halbstarken“). Sänger ermittelt auf eigene Faust und gerät an eine Gruppe Frauen, die nicht nur fleißig am Schießstand trainiert, sondern sich auch regelmäßig konspirativ trifft, um historische Duelle in schusssicheren Westen und mit scharfer Munition nachzustellen. Deren Oberhaupt Jule Fischer (Nina Kronjäger, „Stellungswechsel“) schleust die inkognito agierende Sänger ein, welche Verbindungen zu einer Serie von Bankrauben feststellt, bei denen maskierte Täter schwerbewaffnet die Kassen leerräumen – und die jüngst ein Todesopfer forderten, als ein Wachmann (Fritz Roth, „Jeder stirbt für sich allein“) im Affekt erschossen wurde…
Bisher gelang es Kommissarin Sänger stets, ihre Waffe nicht abfeuern zu müssen. Dies wird sich im Rahmen dieses Falls ändern, der nicht nur eine Gruppe von Flintenweibern grob skizziert, sondern auch Sängers psychische Blockaden aufarbeitet. Proehl und/oder Schwarz orientierten sich dabei offenbar grob am US-Thriller „Gefährliche Brandung“, wo es an Keanu Reeves war, sich in eine Gruppe Krimineller einzuschleusen, mit denen er sich gefährlich anfreundete. Ähnlich ergeht es hier Sänger, die sich mit Lebensentwürfen konfrontiert sieht, die sich von ihrem gänzlich unterscheiden: Während sie unter dem Trauma ihrer ermordeten Eltern zu leiden scheint und im Leben wie im Beruf sehr zurückhaltend auftritt, scheinen die Waffennärrinnen vor Selbstbewusstsein und Mut nur so zu strotzen. Ihre Waffen abzufeuern ist für sie täglich Brot, die Lebensgefahr, in die sie sich ständig freiwillig begeben, bedeutet Nervenkitzel, gefeiert wird exzessiv. Und das imponiert Sänger durchaus, sie nimmt Jule und Co. als starke Frauen wahr, trinkt mit ihnen zusammen und gönnt sich sogar einen One-Night-Stand – Anlass für Schwarz, seinen „Tatort“ mit ein wenig Humor anzureichern.
Weit weniger witzig ist die Todessehnsucht, die ebenfalls Thema dieses „Tatorts“ ist und zu dessen Spielball Sänger gemacht wird. So wohnt der Überwindung ihrer Schussangst letztlich auch etwas sehr Ambivalentes, Tragisches inne. Dass Waffengewalt indes ganz bestimmt nicht alles ist, stellt die Handlung heraus, wenn sich Sänger und Polizeipsychologe Dr. Heisenberg vertragen und demonstrieren, wie gut Polizei und Psychologie zusammenarbeiten können. Ein krasses Finale mit vielen Toten kann aber auch dadurch nicht verhindert werden. „Waffenschwestern“ ist spannend, psychologisch interessant, durchaus fordernd, aber auch konstruiert und überzeichnet, hier und da in die Klischeefalle tappend. Seine Pro- und Antagonisten wissen dennoch zu überzeugen, pendeln zwischen Stärke und Schwäche und sind im Falle des titelgebenden Damenverbunds feministisch und kriminell zugleich. Da schaut man doch gern zu und freut sich über das Thriller-Verständnis der Kombination Proehl/Schwarz, die Sängers 13. Fall zu einem Glücksfall fürs Publikum machte.