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Die Front ist weit weg, die Karriere geht voran, und überhaupt können der deutschen Wehrmacht und dem Charme des attraktiven Offiziers nichts und niemand widerstehen: Das Leben des jungen Oberleutnants Wisse im Charkow dieses Spätherbstes 1942 ist angenehm. Die Versetzung nach Osten, als Verbindungsoffizier zu den rumänischen Unterstützungstruppen, könnte als Sprungbrett für den nächsten Karriereschritt fungieren – Dumm nur, dass in der Nacht nach Wisses Ankunft die russische Offensive beginnt und die deutschen Soldaten in den Kessel von Stalingrad treibt. Es beginnt das langsame und grauenhafte Sterben. Der Kampf gegen die Kälte und den Hunger. Das verzweifelte Ringen gegen wintergewohnte Russen und ignorante Vorgesetzte. Alle 7 Sekunden stirbt ein deutscher Soldat. Stalingrad – Massengrab …

Einem Film wie HUNDE, WOLLT IHR EWIG LEBEN? kann man sich von zwei Seiten nähern. Man kann ihn aus der heutigen Sicht sehen, mit dem Wissen um die historischen Vorgänge einerseits, und dem Kopf voller (US-amerikanischer) Kriegsfilme andererseits. In diesem Fall stellt man relativ schnell fest, dass eine tiefe und kritische Auseinandersetzung mit dem Thema ausfällt, dass die Zeichnung vor allem der Offiziere der mittleren Ränge oft sehr wohlwollend und freundlich ist, und dass dem Grauen und den Schlachten genauso viel Platz eingeräumt wird wie der zwischenmenschlichen Komponente. Physis und Psyche stehen sich gleich gegenüber. Das Ergebnis ist dann schnell ein Abwinken: Für einen Anti-Kriegsfilm zu brav, und für einen Hurra-Kriegsfilm zu kritisch und zu wenig Action. Bernhard Wickis DIE BRÜCKE aus dem gleichen Jahr ist wesentlich brutaler in der Darstellung und anklagender in seiner Aussage, was soll das also?

Aber kann man einen Kriegsfilm aus dem Jahr 1959 wirklich mit heutigen Augen beurteilen? Ich behaupte nein! Im Publikum saßen damals bestimmt einige, die das Gezeigte persönlich miterlebt haben, und denen man weder irgendein sinnloses Heldenzeugs noch eine düstere Anklage hätte vorsetzen können. Und gleichzeitig war, der gesamten Wiederbewaffnungskampage zum Trotz, die Mehrheit des Volkes definitiv der Überzeugung, dass die deutsche Wehrmacht so schlecht nicht war, und letzten Endes nur Befehle ausgeführt hat: Die Befehle waren böse, nicht die Ausführenden. An den Reaktionen zur Wehrmachtsausstellung kann man ablesen, dass sich diese Vorstellung mindestens bis in die zweite Hälfte der 90er-Jahre hinein weitgehend erhalten hat. Doch 1959 war diese Haltung Allgemeingut, schon aus Gründen des Selbstschutzes, und ein Film, der etwas anderes gezeigt hätte, wäre innert Tagen von der Bildfläche verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Das Schicksal von Wolfgang Staudtes KIRMES, der einen anderen Blick auf die sogenannten einfachen Menschen wagt, zeigt dies deutlich, und in dieser Diskussion darf  auch nie vergessen werden, warum Filme eigentlich gedreht werden: Um Geld zu verdienen …

HUNDE, WOLLT IHR EWIG LEBEN? ist nichts anderes als ein vorsichtiger Versuch, die Tragödie von Stalingrad aufzuarbeiten, ohne dabei Kitsch und falsches Pathos zu verbreiten, aber auch ohne Defätismus und etwas, was man damals Nestbeschmutzung genannt hätte. Und dieser Versuch ist in einen Film gebettet, der, mit Verlaub, verdammt gutes Kino darstellt. Klar, die Personenzeichnungen sind schlicht gehalten: Es gibt die Guten und es gibt die Bösen. Die Guten sind die Mannschaftsgrade und die Unteroffiziere, einfache und gradlinig-gute Menschen. Die Bösen sind der ganze Rest, vor allem die höheren Offiziersgrade und die Bürokraten, die “unsere Jungs damals feige im Stich gelassen haben“ (Zitat der gängigen Volksmeinung). Klar, es wurde eine minimale und vollkommen überflüssige Liebesgeschichte eingebaut, weil das damals der Stil der Zeit war, und weil der Name Sonja Ziemann zusätzlich ein paar Menschen ins Kino lockt. Klar hat es zu Herzen gehende Momente, wenn nämlich während einer Feuerpause ein Landser ein Klavier entdeckt und beginnt zu spielen, was gleich zu einer viel entspannteren Stimmung unter Russen und Deutschen sorgt. Verbrüderung liegt in der Luft. Aber gerade diese (historisch verbürgte) Szene zeigt, was der Krieg aus Menschen macht. Sie zeigt, was für eine gequirlte Scheiße so ein Krieg ist, und dass es viel schöner wäre gemeinsam Musik zu machen und zusammen zu lachen, anstatt sofort nach dem Ende der Waffenruhe wieder aufeinander zu ballern. Umso erschütternder ist dann auch später der Tod des Klavierspielers, der nicht einmal mehr realisiert dass er keine Hände mehr hat, aber davon phantasiert wieder Konzerte zu geben …

Der Film hat definitiv seine Schwächen, aber der betriebene Aufwand (2 Jahre Vorbereitung, die vor allem in die gelungenen, historisch oft abgesicherten Dialoge geflossen sind) und die schauspielerischen Leistungen wiegen diese Schwächen mehr als auf. HUNDE ist der Anfang vom Ende einer Zeit, in der die Schuld für den Krieg auf die Herrschenden geschoben wurde, und dafür ganz ganz vorsichtig begonnen wurde, die Schuld auch einmal an anderer Stelle zu suchen. Die Hauptfigur Wisse ist ein typischer Angehöriger dieser Generation, die nämlich mit den Versprechungen und Gaukeleien der Nazis groß geworden sind, und gar keine andere Chance hatten als daran zu glauben und begeistert mitzumachen. Wisse ist der archetypische Mitläufer, der gläubig ist und nichts hinterfragt, und der im Schlamm Stalingrads lernen muss, dass die Realität hinter dem schönen Schein anders aussieht als gedacht. So wie es 330.000 deutsche Soldaten mit ihm lernen mussten, und 50 bis 60 Millionen anderer Menschen ebenfalls. Das Bewusstsein Wisses, diesen Irrsinn unterstützt zu haben, ist in den letzten Bildern deutlich zu sehen. Und das ist es was ich damit meine, dass die Anklage hier, wenn auch noch ausgesprochen vorsichtig, fortgeht von der reinen Schuld der Elite, und die Ausführenden ebenfalls beginnt kritisch anzuschauen.
Trotzdem ist eine der Szenen mit dem höchsten Gänsehautfaktor diejenige Szene, die in einem Lazarett spielt, in dem fast nur noch an Leib und Seele beschädigte Menschen zu sehen sind, während eine fanatisch-begeisterte Ansprache Görings zum 10. Jahrestag der Machtergreifung Hitlers aus dem Radio kommt. Das hohle Gegeifere des Kriegstreibers in Zusammenhang mit den Bildern seiner Opfer, das ist eine grauenerregende Kombination, die wirklich unter die Haut geht.

Vor allem ist der Film aber auch ein Versuch, ein kollektives Trauma darzustellen, ohne im falschen Kitsch unterzugehen: Kein Vorspann, kein Abspann, kaum Musik, dafür eine große Menge Realismus, vor allem in Bezug auf den Dreck und den allgegenwärtigen Tod. In der Konsequenz gibt HUNDE somit keine Antwort auf das Warum des Krieges oder des Kämpfens, aber eine Antwort auf das Warum des Sterbens: Nämlich weil andere es so wollen.

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