In seiner erstaunlich langen Karriere hat der deutsche Trashfilm-Regisseur Uwe Boll mehrere Phasen von typischen Werken durchlaufen: Angefangen mit einer ganzen Reihe von Videospiel-Verfilmungen, über Fantasy-Streifen und politische Satiren bis hin zu psychologischen Dramen über bitterernste Themen der gesellschaftlichen Gegenwart und Vergangenheit hat er verschiedene Ansätze versucht, um als anspruchsvoller Filmemacher anerkannt zu werden. Der klaustrophobische Psycho-Schocker „Siegburg" aus dem Jahr 2009 bildet dabei den Auftakt zu einer Reihe von Werken, etwa „Darfur" oder „Auschwitz", die sich mit so ernsten wie verstörenden Themen befassen.
Nach einer wahren Begebenheit, die sich in einem Gefängnis in Siegburg ereignete, erzählt Boll hier die Geschichte von drei Häftlingen, die mehr oder weniger aus einer Laune heraus einen vierten Mitgefangenen über Stunden hinweg zu Tode quälen. Der erzählerische Ansatz ist dabei gar nicht so übel: Die geradlinige Story wird permanent durch Interviews mit den drei Tätern unterbrochen, die auf ihre Taten zurückschauen und im Verlauf des Films zu immer mehr Selbstreflexion gezwungen werden. Auch die Ereignisse selbst werden durchaus glaubwürdig dargestellt - vor allem die anfängliche Eskalation aus einer reinen Lapalie heraus zeigt die gefährliche Dynamik von toxischer Männlichkeit, bei der jeder der Insassen permanent seine eigene Härte beweisen muss, und gruppendynamischen Prozessen auf. Immer wieder übertrumpfen sich die drei Täter gegenseitig, wenn es darum geht, das Opfer zu demütigen und noch schlimmer zu erniedrigen.
Diese drastischen Sequenzen werden von den vier Hauptdarstellern tatsächlich ziemlich gut verkörpert. Allen nimmt man ihre manipulative und gewalttätige Art ab, wenn sie sich gegenseitig zureden oder ihr Opfer malträtieren. So schaffen sie es, einen Film, der zum allergrößten Teil zwischen vier Personen in einem sehr engen Raum abläuft, intensiv und ohne Durchhänger am Laufen zu halten. Für ein Werk von Uwe Boll sind das erstaunlich überzeugende Darstellerleistungen.
Auch die viel gerügten Gewalt- und Ekelszenen kommen durchaus stark inszeniert und vor allem inhaltlich notwendig daher. In Erbrochenes gedrückte Gesichter, mit Urin überschüttete Köpfe oder brutalst vergewaltigte Menschen sind natürlich reichlich harter Tobak und nur hartgesottenen Zuschauern vorbehaltlos zu empfehlen - aber ein Film, der die Hintergründe einer solch grausamen Tat untersuchen will, hat natürlich kaum Möglichkeiten, die Darstellung solcher Brutalitäten zu umgehen, wenn er den angestrebten Schockeffekt erreichen will, noch dazu in einem solch beengten Setting.
Leider fällt „Siegburg" qualitativ immer dann ab, wenn er wirklich versucht, dem Geschehen eine psychologische Tiefgründigkeit zu verleihen. Vor allem die Interviewszenen wirken dann doch wieder arg Boll-typisch platt und klischeehaft: So werden die psychologischen Erklärungsmuster allzu plakativ ausgestellt, wenn schon die Täter selbst Worte wie „Gruppenzwang" in den Mund nehmen. Auch irritieren hier einige unglaubwürdige und teils widersprüchliche Vorgehensweisen der eigenen Legitimation - so wechselt der brutale Anführer des Ganzen mehrfach zwischen Leugnen des Geschehens und weinerlichem Abschieben der Schuld auf die anderen. Überhaupt sind die Handlungsweisen der Täter bei den Interviews viel zu platt und klischeehaft, zu keinem Zeitpunkt überzeugend und können die ganze Tragik der ungeplanten Ereignisse nicht vermitteln. Insgesamt wirken die Interviews mit ihren eindringlich dreinschauenden Darstellern auch eher pathetisch als alles andere. Und am Ende zieht sich der Film dann doch ein wenig in die Länge, so gelungen und wichtig seine Detailgenauigkeit bis dahin auch war. So verspielt er leider seine guten Ansätze in aufkommender Langeweile und psychologischer Plattheit.
„Siegburg" dürfte zu den besten Filmen von Uwe Boll gehören. Mit seinem klaustrophobischen Setting, der tristen grau-braunen Farbgebung und dem düsteren Score erzeugt er eine beklemmende Atmosphäre, die sich in wirklich grausigen Gewaltszenarien ergeht. Von der Tiefgründigkeit, die er ganz offensichtlich anstrebt, ist allerdings aufgrund plumper Küchenpsychologie kaum etwas zu finden, sodass er sich vor allem am Ende ein wenig in die Länge zieht. Als Versuch eines ernstzunehmenden Films aber trotzdem durchaus respektabel.