Bernard Schlinks „Der Vorleser“, hat es also tatsächlich noch auf die Leinwand gebracht. Und natürlich tritt es auch mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Erscheinen wieder eine (wenn auch kleine) Welle der politisch korrekten Entrüstung los. Eine Welle wie sie lächerlicher nicht sein könnte, und eine Diskussion wie sie nur von einer Generation geführt werden kann, die einer Zeit aufwächst, in der Differenzierung von Medien Alltag und deren freie Beschaffung über sämtliche Kanäle eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Man möchte fast kotzen, so wenig wie wir Gefahr laufen zu exekutiven Gehilfen einer fundamentalistischen Ideologie zu werden.
Das war es eigentlich, was den kleinen Roman des Juristen Schlink zu etwas Besonderem machte. Keine Diskussion, ob man das Böse darstellen könne, ob man ihm auch etwas menschliches zugestehen könne – böse Erinnerungen an den "Untergang" kommen einem dabei ins Gedächtnis. Nein, nur die Darstellung eines wirklichen Zustandes, nämlich einer Realität so wie sie nun mal war. Eine Geschichte eben über Erfüllungsgehilfen der angeblich so typisch deutschen Gewissenhaftigkeit. Und sei der Bürokratismus des Genozids. Und der ebenso typischen Weiterreichung der Schuld an den Nächsten. „Ich hab ja nur getan, was mir gesagt wurde.“
So wie Hanna von der gewissenhaften Selektiererin in Auschwitz zur gewissenhaften Fahrkartenkontrolleurin wurde, so sind die Richter, die sie später auf die Anklagebank zitieren doch alt genug selbst schon Teil dieses Systems gewesen zu sein (wir erinnern uns an den großen „Widerständler“ Filbinger). Aber natürlich hat niemand etwas gewusst, nicht alle waren Täter und die verlogenen Weiber auf der Anklagebank nur Beihelfer nicht Mörder.
Aber hier geht es auch nicht um die Differenzierung zwischen Gut und Böse, haben doch alle irgendwie Schuld auf sich geladen (und sei es das Verschweigen von entlastenden Aussagen) – der eine weniger, die andere mehr. Und dennoch geht es für alle um Vergangenheitsbewältigung, nur so richtig will es wohl niemandem gelingen.
Interessant ist die Auswahl der Schauspieler. Bruno Ganz als Juraprofessor dürfte jedem noch als keifender Hitler in „Der Untergang“ bekannt sein. Ralph Fiennes, als alternder Michael Berg, hat nicht nur 2. WK-Erfahrung als Graf Almasy in „Der englische Patient“ (in Wirklichkeit ja auch ein dt. Spion), sondern am dominantesten als Fratze des Bösen, Amon Göth, in „Schindlers Liste“. Da wirken die beiden Hauptdarsteller David Kross („Krabat“) und Kate Winslett (ja, das Pummelchen aus „Titanic“) fast schon wie Fremdkörper. Gerade aber Kross verkörpert den jungen Berg sehr vorlagengetreu um nicht zu sagen, er ist die perfekte Wahl für die Rolle. Bei Frau Winslett ist es etwas schwieriger, gerade wenn man ihre Oscarjagd noch im Hinterkopf hat. Man merkt nur zu gut, dass diese Rolle kalkuliert war, dass es um kaum etwas anderes als die (überschätzte) Trophäe ging. Das macht es hin und wieder schwer, ihrer Rolle unvoreingenommen zu begegnen. Dennoch ist sie, schon rein optisch eine gute Besetzung – dieses Gesicht, dass Alter und leichte Jugendlichkeit zugleich versprühen kann, sozusagen der Prototyp einer Milf, was höchstens die miserable Altersmaske zu zerstören vermag. Sie alle spielen gut, für eine deutsche Koproduktion fast zu gut, mag man meinen. Einzig Fiennes passt nicht so ganz, bzw. übertreibt bisweilen ein bisschen mit seinem ewig traurigen Hundeblick.
Die Inszenierung passt sich dem Stoff adäquat an. Nichts ausgefallen, keine Effekthascherei, aber dennoch kurzweilig und nie träge. Auch wenn man nun zu jung für die Nachkriegsepisode ist, kann man sich gut in diese Zeit einleben und bekommt ein – so scheint´s – treffendes Bild der Zeit vermittelt.
Für ein Drama sehr berührend, für eine Literaturverfilmung angemessen und für einen Film über Vergangenheitsbewältigung treffend realistisch gelungen. Größter Vorteil jedoch ist, dass er sich die große Moralkeule spart, ebenso wenig wie psychologisierende Erklärungen oder Schuldzuweisungen. Nicht mal der überaus gelungene „Schindlers Liste“ konnte Spielberg davon abhalten am Ende nochmal voll auf die Tränendrüse zu drücken (mit gegenteiligem Erfolg). Stephen Daldrys Film mag einen oft schwer schlucken lassen, und eine klitzekleine Träne mag dem ein oder anderen sicher über die Wange laufen, wirklich übertrieben sentimental wird´s nie.
Für soviel Ehrlichkeit weit ab von Hollywood und das auch noch bei diesem schwierigen und polarisierenden Thema: 8/10 Punkte.