Das Splitten des Films über das Leben des Schwerverbrechers Jacques Mesrine (Vincent Cassel) in zwei Teile, basiert allein auf der Idee einer besseren Vermarktung, da ein 4stündiger Film nur schwer dem Kinopublikum zu vermitteln gewesen wäre. Dadurch entsteht das Missverständnis, die Biografie könnte unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten entstanden sein, aber tatsächlich handelt es sich um einen sowohl gestalterisch als auch in seiner Erzählform gleichartigen Film, der künstlich unterbrochen wurde.
Deutlich wird das an der Klammer des Films, die „Public Enemy No. 1“ umfasst, denn das Gesamtwerk beginnt und endet mit einer identischen Szene. Während dem Betrachter die Brisanz dieser Szene zu Beginn nicht bewusst wird, verdeutlicht das Ende durch die Verzahnung mit einer zusätzlichen Ebene deren wahren Hintergrund. Trotzdem vermittelt auch ohne solches Wissen die erste Szene des Films ein Gefühl der unterschwelligen Spannung und damit die verborgene Gefahr hinter dem äußerlich alltäglichen Geschehen. Diese hier optisch auf den Punkt gebrachte Diskrepanz zwischen Bürgerlichkeit und extremster Kriminalität erzeugte erst eine der schillernden Figuren der französischen Nachkriegszeit, die nur im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Veränderungen der 60er und 70er Jahre zu verstehen ist.
Um es vorwegzunehmen - weder kann der Film die Figur des Jacques Mesrine charakterlich erklären, noch dessen Aufstieg zu einer der populärsten Figuren im Frankreich der 70er Jahre in einen gesellschaftlichen Zusammenhang bringen. Doch darin liegt auch die gleichzeitige Stärke des Films, denn er versucht es gar nicht erst. Er vertraut sich komplett dem Spiel Vincent Cassels an, dem es gelingt, den in der Realität etwas grober aussehenden Mesrine, als eine Mischung aus einem charmanten Menschenfreund und einem gefährlichen Gewalttäter zu zeichnen, die verständlich macht, warum ihn einerseits viele Menschen mochten und unterstützten, andererseits es auch möglich war, dass dieser Mann rücksichtslos mordete und raubte.
Einer solchen Figur, die selbst wenig reflektierend war und auch in der 1977 im Gefängnis geschriebenen Autobiografie vor allem an Popularität interessiert war, mit psychologischen und soziologischen Hintergründen auf die Spur kommen zu wollen, birgt immer die Gefahr des Spekulativen in sich, weshalb Cassels Spiel - trotz der darin verborgenen persönlichen Interpretation - der Wahrheit näher kommen dürfte als jede wissenschaftliche Erklärung. In dieser Hinsicht erweist sich auch das Konzept der ruhelosen Aneinanderreihung von Ereignissen und Personen als richtig, denn dadurch entsteht ein Kaleidoskop eines Lebens aus unterschiedlichen Puzzleteilen, das übertriebene Gewichtungen vermeidet. Womit sich der an den Anfang gestellte Satz, das man die Komplexität eines Menschen nicht erfassen kann, als schlüssig erweist. „Public Enemy No. 1“ will trotz aller inszenatorischen Beschränkungen keine vorgefertigten Antworten geben, sondern dem jeweiligen Betrachter die Möglichkeit lassen, sich seine eigene Meinung zu bilden.
Um so wichtiger wird die Voraussetzung, den Film als Ganzes zu betrachten, denn Mesrines „Karriere“ entwickelt sich natürlicherweise nicht gleichförmig. Der Film verweilt zum Beginn nur kurz in der Zeit vor den ersten kriminellen Taten. Er zeigt ihn während einer Folterszene im Algerienkrieg und kurz darauf, nach dem er aus dem Krieg heimgekehrt ist, im Haus seiner Eltern. Der Umgang mit diesen Szenen bleibt beispielhaft für den gesamten Film. Es wäre ein leichtes gewesen, die von seinem Vorgesetzten geforderte Tötung eines Mädchens und die sehr konservativ bürgerliche Einstellung seiner Eltern, die im Krieg mit den Deutschen kollaboriert hatten, als Grundlage für seinen Werdegang zu nutzen. Stattdessen macht der Film keine große Sache daraus, sondern blendet schnell zu einem gutgelaunten Mesrine über, der die Kriegsgeschehen verdrängt und sich mit seinem Freund lieber ins Nachtleben stürzt, als bei den Eltern rumzuhängen. Bedenkt man, dass diese autobiografischen Details sicherlich nicht auf wenige französische Männer seiner Generation zutrafen, ist das nur konsequent.
Aber auch die sicherlich eindringlichste Erfahrung, die er in Einzelhaft in einem kanadischen Gefängnis machen musste, kann nicht für seine Entwicklung, die bekanntlich schon früher begann, als Begründung herhalten. Das behauptet der Film auch gar nicht, denn er stellt keine kausalen Zusammenhänge her und überlässt es dem Betrachter, seine Schlüsse daraus zu ziehen. Selbst wenn Mesrine - gerade erst aus der Isolierung entlassen – scheinbar ungebrochen sofort wieder Ausbruchsgedanken hegt, ist es unwahrscheinlich, dass diese Geschehnisse keine Auswirkung auf seine Psyche hatten.
Zusätzlich erfordert der Film eine hohe Aufmerksamkeit hinsichtlich der zeitlichen Abläufe. Bevor Mesrine gezwungen war, nach Kanada zu fliehen, versuchte er mehrere Jahre lang mit seiner ersten Frau Sofia (Elena Anaya) ein bürgerliches Leben zu führen. Auch diese Phase wird nur kurz im Film angerissen und zeigt einen Mesrine, der vor allem zu seiner erstgeborenen Tochter ein intensives Verhältnis aufbaut. Die Gewichtung im Film bleibt bezüglich der Länge schwach, aber an Hand der regelmäßig eingeblendeten Jahreszahlen und der Tatsache, dass Mesrine noch zwei Söhne bekam, wird deutlich, dass es immer wieder Phasen in seinem Leben gab, die weniger hektisch verliefen als es der Film manchmal vermittelt. Erst dadurch wird eine spätere Szene, wie der Besuch seiner Tochter im Gefängnis, verständlich.
Das gilt auch für die drei Frauen, die wesentlicher Bestandteil seines Lebens waren, und deren Funktion ganz unterschiedlich war. Doch das ist Teil meiner Fortsetzung dieser Review in „Public Enemy No.1 – Todestrieb“