(Fortsetzung der Review von "Public Enemy No.1 - Mordinstinkt)
Leider wurde eine kurze Szene diesem Filmteil vorangestellt, die nur als Konzession zu verstehen ist und das Gesamtbild stört, da sie unnötigerweise etwas vorwegnimmt, was schon die Eingangs- und Ausgangssequenz inszenatorisch gelungen umsetzt. Auch die Zusatzbezeichnung „Todestrieb“, die nur von den deutschen Verleihern hinzugefügt wurde, verdeutlicht das Missverständnis, welches die künstliche Teilung des Films erzeugt. Es klingt wie ein Motto und ist dazu schlicht falsch. Mesrine erwähnt zwar mehrfach, dass er getötet werden wird, aber das ist für ihn eine Tatsache, die er keineswegs herbeisehnt. Vielleicht ist seine Art zu Leben tatsächlich ein unterschwelliger „Todestrieb“, aber genau das macht den Film aus, keine derartige Behauptung aufzustellen, sondern die Interpretation dem Betrachter zu überlassen.
In diesem Zusammenhang ist auch sein Umgang mit den Frauen zu verstehen, der eine deutliche Entwicklung durchläuft. Sexuell freizügig und sich bei Prostituierten vergnügend, erweist er sich auch als treu und anhänglich. Während er sich mit seinem Freund auf einer Vergnügungsreise befindet, verliert er in einer Bar schnell das Interesse an den leichten Mädchen, sondern interessiert sich stattdessen für eine junge Spanierin, deren erster Mann er wird. Als Sofia (Elena Anaya) schwanger wird, heiratet er sie. Sofia verkörpert in seinem Leben eine Art Versuch, doch noch bürgerlich zu werden, woran die Beziehung letztlich scheitert. Dabei vermeidet der Film eine Herabwürdigung dieser Lebensform, sondern verweist auf einen anständigen Arbeitgeber und ein schönes Familienleben. Es sind nicht die äußeren Umstände, die Mesrine wieder in die Kriminalität treiben (die plötzliche Arbeitslosigkeit scheint ihm entgegen zu kommen), sondern dessen eigener Antrieb, der in einen der gewalttätigsten Momente des Films mündet, als Sofia ihrem Mann mit der Polizei droht. Dieser Szene kommt eine wichtige Bedeutung zu, da Mesrine sonst mit Frauen sehr charmant und liebevoll umgeht.
Jeanne Schneider (Cécile De France), seine zweite Beziehung, kommt nach dieser Erfahrung nicht zufällig aus seinem Milieu und wird zu einer Partnerin, mit der er gemeinsam seine Raubzüge durchführen kann. Weil beide Frauen in der ersten Hälfte des Films abgehandelt werden, erhält seine letzte Frau, Silvie (Ludivine Sagnier), eine besondere Gewichtung, obwohl sie in der Realität die geringste Zeit mit ihm verbrachte. Dabei ist es zum Verständnis dieser Figur wichtig, sämtliche Beziehungen zu betrachten, denn Silvie wirkt wie ein Konglomerat aus Sofia und Jeanne, da sie ebenso respektlos kriminell wie auch bürgerlich liebevoll sein kann, und damit zu seinem weiblichen Pendant wird.
Neben den Frauen gibt es vor allem eine Vielzahl unterschiedlichster männlicher Partner und Freunde, die im Film mehrfach wechseln und deren Charakter nur wenig Zeit eingeräumt wird. Das lässt nur den Schluss zu, dass Mesrine in diesen Beziehungen keine Entwicklung durchlief. Tatsächlich bleiben die Männer trotz ihrer äußerlich wichtigen Funktion austauschbar. Es zeigt sich darin auch, wie wenig Mesrine letztlich von seinen inneren Gefühlen äußerte und wie sehr diese Beziehungen oberflächlich blieben.
An der Gestaltung der Frauenrollen ist dagegen zu erkennen, wie der Film ein zunehmend komplexeres Bild von Mesrine entwirft, ohne auf Erklärungen oder Deutungen zurückgreifen zu müssen. Das gilt auch für seine Person selbst, da er in den 70er Jahren weniger durch neuerliche Verbrechen auffiel, sondern durch immer respektlosere Reden, öffentliche Auftritte und Interviews bis hin zu seiner Autobiografie. Wegen seiner schon zuvor angekündigten Ausbrüche aus dem Gefängnis erhielt er erst seine Popularität, denn dadurch konnte er sich zunehmend zum Kämpfer gegen die Staatsgewalt stilisieren. Der Film macht über seine gesamte Laufzeit deutlich, dass Mesrine trotz seiner scheinbaren Eigenständigkeit nichts anderes als ein Opportunist war, der dank seines angeborenen Einfühlungsvermögens in der Lage war, die Zeichen der Zeit zu erkennen.
Sein revolutionäres Gehabe wirkt angesichts seiner Verbrecherlaufbahn in der 60er Jahren wie Hohn, aber letztlich profitierte er wie viele Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens vom Vergessen des Publikums. Tatsächlich lagen seine Schwerverbrechen Ende der 70er Jahre schon einige Zeit zurück und wurden teilweise außerhalb Frankreichs begangen, während seine ständigen Ausbrüche gegenwärtig waren. Durch Cassels Leistung behält die Figur des Mesrine trotz seiner Gefährlichkeit immer auch seine Sympathie, was „Public Enemy No. 1“ durch die negative Beschreibung der Polizei noch betont. Auch wenn der Film sehr authentisch die 60 Jahre in Erinnerung ruft (und dabei eine Szene aus Melvilles „Circle rouge“ kopiert), so vermittelt er letztlich das Lebensgefühl der späten 70er Jahre und die damalige Wirkung des Todes von Mesrine. Fast unschuldig und arglos wirken Sofie und Jacques als sie sich samt Hündchen in ihr Auto setzen…
„Public Enemy No. 1“ sollte unbedingt komplett (und am besten ohne längere Pause) betrachtet werden, um der Komplexität der Figur des Jacques Mesrines wenigsten ein wenig näher zu kommen, denn wenn man diesem spannenden und jederzeit unterhaltenden Film überhaupt einen Vorwurf machen will, dann den, dass er immer noch zu kurz ist (8/10).