Wer A sagt, muß auch B sagen.
Jean-Francois Richets teilfiktive Filmbiographie über den französischen Schwerverbrecher Jacques Mesrine geht mit „Todestrieb“ in eine unweigerliche zweite Runde, weil das mehr als aufregende Leben des Kriminellen schlicht und ergreifend nicht in einem Film von normalen zwei Stunden Platz fand.
Natürlich erwartet man bei einer über 20 Jahre überspannenden Biographie gerade aus den letzten aktiven Jahren noch so einiges und da der erste Teil des Films mehr der Auflistung des Aktionismus dieses Mannes diente, als sein Inneres theoretisch zu erfragen, sollte der zweite Film die Lücken schließen.
Als Fazit kann man jedoch konstatieren, daß der zweite Teil zwar eine gewisse Kontinuität zum ersten Teil aufweist, aber sonst nicht das liefert, was man sich ggf. davon erhofft hat.
Tatsächlich wirkt der zweite Film nicht wie eine Fortsetzung, sondern wie das zweite Stück des Gesamtfilms, den nur ein Vorspann als Zäsur trennt. Auch die zweiten zwei Stunden aus Mesrines Leben (diesmal die letzten sieben Jahre von 1973-79) werden in Form der Episodenstruktur anhand der aufsehenerregendsten Taten dieses Mannes geschildert.
Mesrine macht also auch nach dem Entschluß, bis zum Tod weiterzumachen, als Bankräuber alle Ehre, foppt die Justiz und flieht aus dem Gericht und agiert als Krimineller ohne Skrupel bis er wieder mal in einem gesicherten Knast einsitzt und das für (augenscheinlich) vier Jahre, wo er mangels der Popularität durch die Medien ein vielbesprochenes, wenn auch übertriebenes Buch über sein Leben verfaßt. Doch mittels eines talentierten Ausbrechers entkommt er wieder, raubt, inszeniert eine Entführung und kokettiert dann mit politischer Motivation für seine Taten, weil es ihn in die Zeitung bringt, bis der Angriff auf einen Journalisten sein Todesurteil durch die Ermittlungsbehörden provoziert.
Leider mangelt es in den Stunden drei und vier dieser Geschichte dann auffällig an erhellender Innensicht, was Mesrine anbelangt, von dem man eigentlich nicht viel mehr erfährt, als daß er ein geldgeiler, selbstvergessener Opportunist war, der sich auf Kosten des Staates ein schönes Leben machen wollte (und dies auch tat). Sicher, es geht spektakulär zu, doch die Ansätze des ersten Teils werden leider nie vertieft und so wird der endlose Verbrechensstrom langsam aber sicher mehr zur Strapaze als zur Unterhaltung.
Wie überhaupt so manches in Mesrines Fall wahrhaft albern wirkt, nicht zuletzt das Verhalten der Polizei und der Justizbehörden, die den Mann offenbar nicht ernst genug nahm, so daß er immer wieder fliehen konnte oder in Waffenbesitz kam.
Zuviel wird hier nur angerissen, das Verhältnis zum Vater (redundante Sterbeszene), das Verhältnis zur Tochter ein leichtes Aufflackern menschlichen Verhaltens. Daß seine Anwältin ihm dermaßen verfällt, daß sie ihm zwei Waffen ins Gefängnis bringt, ist genauso seltsam, wie die Waffe zu Beginn im Toilettenspülkasten oder die Zusammenlegung seines Hofgangs mit einem Ausbrecherkönig aufgrund von Bestechung.
Manche Episoden scheinen lediglich Kuriositätenwert zu haben, wie die Flucht überland in einem Kofferraum oder die Durchquerung eines Flusses – manches vertieft man gar nicht, wie die Frage, ob Mesrine nun wirklich ein Medienphänomen war oder von den Massen als moderner Robin Hood verehrt wurde oder nicht.
Richet jedenfalls setzt Mesrine hier noch stärker als moralischen Soziopathen mit sehr simpler Ideologie ins Bild, der so ziemlich alles erzählen und behaupten würde, solange sich daraus Populärkapital über die Medien schlage ließe. Die politische Motivation zeigt er praktisch als an den Haaren herbeigezogen, Mesrine im Geltungswahn, der mit linksmotivierten Floskeln um sich wirkt, während er sich in Szene setzt. Schlußendlich wird daraus ein durchgeknallter Psychopath, der diejenigen tötet, die sich nicht als sein Sprachrohr hergeben, was als dezente Medienkritik sicher auch heute noch Anklang findet.
Etwas überstrapaziert das Finale mit Mesrines Hinrichtung (der Einsatz wirkt wie kaltblütig geplantes Vigilantentum, das nachträglich als legaler Polizeieinsatz getarnt wird), das noch einmal den ursprünglichen Vorspann rekapituliert, nur eben aus der Perspektive der Polizei, die sich aufgrund seines Rufs und seiner Präsenz praktisch in Deckung naß macht – eine Aura, die so überlebensgroß wurde, daß man ihn in einen Hinterhalt locken mußte, um ihn mit Blei vollzupumpen.
Darstellerisch ist wieder nichts zu meckern, Cassel liefert eine Glanzleistung als Mesrine ab und Ludivigne Sagnier als Prostituierte ergänzt sich gut mit ihm im letzten Drittel, ansonsten herrscht ein Kommen und Gehen von Komplizen und Gesichtern, die schneller wechseln, als Richet die Geschichte wirklich geschlossen erzählen kann.
Und hier liegt auch die größte Schwäche, der zweite Teil hätte etwas mehr Analyse zulassen müssen, anstatt die gleiche Leier über vier Stunden auszuwalzen. Das Ergebnis ist zwar spektakulär, aber wenig mehr, als Zeitgenossen der 70er vermutlich auch über die Zeitungen oder das Fernsehen erfahren haben, ein Abhaken von Stationen. Bei vier Stunden Laufzeit muß das Publikum jedoch auch die Gelegenheit bekommen, sich ein Bild eines Menschen zu machen, anstatt es hier mit Hilfe von Eckdaten ohne großen Hintergrund aus dem Nichts basteln zu müssen.
So gerät „Public Enemy“ zu einer Art französischem „Bader-Meinhof-Komplex“, ein hervorragend gespieltes, intensives Stück Zeitkino, das man erfahren kann, das aber nicht erklärt werden kann oder will und das nicht die nötige Tiefe und Substanz hat, um mehr als pure Aktion zu sein – aber so war Mesrine eben vermutlich selbst.
Sehenswert – aber nur bedingt diskutabel oder deswegen eben gerade sehr. (6,5/10)