The International - Ein europäischer Superheld
Ich muss gestehen, ich liebe diesen Film. Ich ging ins Kino mit der Erwartung, einen packenden, groß bebilderten Verschwörungsthriller zu sehen, und meine Erwartung wurde sogar noch übertroffen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Tom Tykwer ist hier ein Meisterwerk des Agententhrillers gelungen, das mit Leichtigkeit fast alles in den Schatten stellt, was das Action-Genre im letzten Jahrzehnt zu bieten hatte. Mindestens. Dabei bleibt der Film stets auf dem Boden, in vielerlei Hinsicht. Denn was "The International" zum einen an Verschwörungswirtschaft kühn behauptet, macht er in Action und konkretem Handlungsverlauf durch Realitätsbezüge wieder wett. Zum anderen legt Tykwer die gleiche Eleganz an den Tag, um sowohl seine prächtigen Action-Choreografien zu bebildern, als auch um dem komplexen Sujet im Rahmen des Genrefilms kritisch genug zu entgegnen.
Immerhin ist sich Tykwer der aktuellen Sprengkraft der Story um die kriminellen Machenschaften einer Großbank, die über dem Recht zu stehen scheint, sehr bewusst. Das Böse in diesem Film, verkörpert durch kaltblütige, skrupellose Bankmanager, ist eine Sublimation jener zügellosen Kräfte des entfesselten Marktes, an die die meisten von uns im Zuge der Finanzkrise ihr Vertrauen verloren haben. Was könnte also treffender die momentane Stimmung symbolisieren, als der verzweifelte Kampf eines einsamen Interpol-Agenten gegen die mörderische Macht der Großbank. Wenn die Politik machtlos ist, weil selbst auf das Geld angewiesen, und die Behörden bestechlich, wenn die Justiz in Bürokratie erstickt, dann muss ein Superheld her, der die Gerechtigkeit eigenhändig wiederherstellt. Clive Owen spielt diesen Helden als einen rastlosen, zweifelnden einsamen Wolf, der eher durch seine schlichte Zähigkeit (und später Aufopferungsgabe) glänzt, als durch überlegene Fertigkeiten oder unbefleckten Idealismus. Die Suche nach Beweisen gegen die Bank, das Aufdecken immer neuer Verstrickungen und die ständige Beobachtung durch den Gegner bringen ihn in ständige Gefahr.
Das ist zunächst eher amerikanisch, wie auch die Leidenschaft zu Verschwörungskonstellationen zutiefst amerikanisch ist. Doch Tykwer geht an entscheidenden Stellen darüber hinaus und beschwört alte Tugenden des Genres, die man heute schon verloren geglaubt hat. Da ist plötzlich wieder die durchdachte Komplexität der europäischen Krimi-Thriller der 60er und 70er, wie sie in den Hollywood-Agentenfilmen der 70er zur Blüte getrieben wurden. Da ist die Unmittelbarkeit und konsequente Ernsthaftigkeit der Umsetzung. Der Stilwille. Und die ständige Bewegung.
In den Bildern des Films merkt man deutlich Tykwers Handschrift. Die ständig pulsierende Dynamik, unterstützt von einem mal harsch treibenden mal zurückhaltend tickenden Uhrwerk-Score, ruft den Verve eines "Lola rennt" ins Gedächtnis. Da merkt man erst, was für ein begnadeter Action-Regisseur Tykwer eigentlich ist. Lehrbuchartig führt er vor, dass im Kino, besonders im Action-Kino, der Körper und die Bewegung im Zentrum steht. Und er zeigt, dass man für spektakuläre Action nicht die Gesetze der Physik mittels Spezialeffekten außer Kraft setzen muss, sondern dass man mit einer Einheit von Bild, Montage, Rhythmus, Architektur und Choreografie die Bewegung von trägen Massen, also Action, viel glaubhafter und wuchtiger vermitteln kann. Gute Action muss spürbar sein - man denke an die Spiegel-Neuronen. Dieser Ansatz, der auf die Ursprünge des Kinos in der Stummfilmzeit zurückgeht und heute hauptsächlich von den asiatischen Meistern des Actionkinos gepflegt wird, scheint in Hollywood außer Mode gekommen zu sein: Unübersichtlichkeit ersetzt Plausibilität, durch hyperaktives "what-did-I-just-see cutting" (David Bordwell) und/oder Computereffekte jenseits der Physik.
Die Schießerei im New Yorker Guggenheim-Museum führt eindrucksvoll vor Augen, wie atemberaubend, elegant und bodenständig zugleich Actionszenen sein können. Allein diese Sequenz ist es wert, dass man sich "The International" im Kino ansieht.
Auch sonst bleibt der Film von Anfang bis Ende nervenaufreibend spannend. Das liegt nicht zuletzt an der wendungsreichen Erzählung und dem brisanten Setting. Der Film erweckt den Mythos von der allumfassenden Großkriminalität alter Mafiaschinken, ohne jedoch das Charisma der Oberbösewichte zu übernehmen. Dieses ist gesichtslosen, zynischen Managern gewichen, den hartnäckigen Überbleibseln der Yuppie-Generation der 80er, den Ikonen der Finanzkrise. Statt dies jedoch satirisch aufzugreifen, wie etwa in "Robocop" oder "American Psycho", zeichnet "The International" damit ein düsteres, paranoides und pessimistisches Weltbild. Damit liegt der Film voll im aktuellen Trend, den z.B. auch die neuen James Bonds zu bedienen versuchen. Letztere scheitern allerdings in dieser Hinsicht an ihrem Mangel an Stringenz und Komplexität.
Tykwer bedient also die Genrekonventionen mit ihren Verschwörungskonstrukten, was den Film von der Realität der Finanzkrise weit entfernt. Indem er das aber im Filmdialog unumstößlich klar macht - der Unterschied zwischen Wahrheit und Fiktion sei, dass in der Fiktion alles immer einen Sinn ergebe - schafft er den Spagat, gleichzeitig seriös-brisant und reißerisch-fiktiv zu sein. Von Plattitüden hält er sich weitesgehend fern. Tykwer braucht z.B. weder Dunkelheit noch harten Schattenkontrast, um düster zu sein. Das meiste geschieht in der städtischen Anonymität am hellichten Tag, auf Straßen und Plätzen oder gar auf sonnigen Dächern. Zudem lässt er den Helden keineswegs zum Vollstrecker der Gerechtigkeit werden, wenngleich der Film hier durchaus mit der Erwartung des Zuschauers spielt. Gerechtigkeits- bzw. Rachefantasien werden hier nicht so einfach bedient, und der Zweifel an der Heiligung der Mittel bleibt bis zum Ende bestehen. In dieser Hinsicht ist der Film zutiefst aufgeklärt-europäisch, denn in Amerika würde es an solcher Stelle immer einen "Dark Knight" geben, einen Rächer jenseits des Rechts und abseits der Gesellschaft.
"The International" endet hingegen doppelbödig mit der sarkastischsten Pointe seit "Escape from New York", die hier nicht verraten werden soll. Nur so viel: Weder die Katharsis der Rache noch die Schuldlosigkeit werden gewährt. Brilliant.