„Fassaden"
Architektur spielt eine entscheidende Rolle in Tom Tykwers neuem Film. Ein Großteil der Handlung spielt in gigantischen, hypermodernen Bürokomplexen. Großzügig geschnittene, funktional eingerichtete Räume suggerieren nüchterne Kompetenz und Geradlinigkeit. Bei der Innenausstattung dominieren Beton und Chrom. Kühle Sachlichkeit auch hier. Riesige Glasfronten erwecken sowohl von innen wie auch von außen Offenheit und Transparenz. Diese durch den Baustil übermittelten Botschaften stehen im krassem Gegensatz zu den Intentionen und Praktiken der Firmenbelegschaft. Die glitzernden Fronten und Interieurs sind im wahrsten Wortsinn bloße Fassade. Dahinter wabert ein undurchsichtiger, dunkelgrauer Nebel. Es geht um skrupellose Geschäftspraktiken krimineller Banker.
The International ist damit scheinbar exakt am Puls der Zeit. Die aktuelle globale Banken- und Finanzkrise verleiht dem Film allerdings eher unverhofft tagespolitische Brisanz, schließlich begann die Produktion bereits vor Jahren. Bei genauerem Hinsehen erinnert der Film auch mehr an Verschwörungs- und Paranoiathriller aus den 1970er Jahren. Es geht weniger um unseriöse Kreditgeschäfte mit all ihren Ausformungen und Folgeerscheinungen, als vielmehr um Kontrolle und Macht. Die verbrecherischen Machenschaften der Führungsriege der IBBC-Bank manifestieren sich in illegalen Waffengeschäften und Verstrickungen in Bürgerkriege. Auch vor Auftragsmord schreckt man keineswegs zurück.
Interpol-Agent Louis Salinger (Clive Owen) ist den Gangstern im Nadelstreifenanzug seit längerem auf der Spur. Bisher erfolglos. So erleiden seine Informanten gerne mal einen plötzlichen Unfalltod und die Behörden diverser Länder geben sich von lediglich vage interessiert bis machtlos. Die Bank scheint immer einen Schritt voraus und buchstäblich überall zu sein. Erst als ein italienischer Waffenhändler aufgrund mangelnder Kooperationsbereitschaft liquidiert wird, bekommt Salinger die lang ersehnte Brotkrume. Und der fahndungstechnisch ausgehungerte Polizist macht sich einem Bluthund gleich auf die Jagd. Über eine metallene Beinprothese kann der Killer schließlich in New York aufgespürt werden. Aber die Bank hat auch diesen Schritt vorausgesehen. Ihr Mann für besondere Problemfälle - Ex-Stasi-Oberst Wilhelm Wexler (Armin Müller-Stahl) - ist bereits vor Ort.
Salinger scheint sich im Kreis zu drehen. Nicht zufällig ist das New Yorker Guggenheim-Museum, in dem es keinerlei Ecken oder rechte Winkel gibt, Schauplatz einer Entladung sämtlicher bis dahin aufgestauter Frustrationen und Aggressionen. Seit Michael Manns Heat gab es keinen rasanter und wuchtiger inszenierten Schusswechsel zu bewundern. Dass dabei die Logik ebenfalls ein paar Volltreffer abbekommt, mag man ob des enormen Schauwerts dann auch verzeihen. Beinahe 15 Minuten entfesselt Tom Tykwer ein virtuos geschnittenes Bleigewitter, das den Zuschauer regelrecht in den Kinosessel presst.
The International ist sicherlich kein klassischer Actionfilm. Insgesamt legt Tykwer ein sehr ruhiges Erzähltempo vor. Auch vom Schnittstakatto der Bourne-Reihe oder des neuesten Bondfilms ist nichts zu sehen. Fast unmerklich dreht er an der Spannungsschraube, die sich erstmals in der beschriebenen Guggenheim-Szene entlädt. Die düster-bedrohliche Atmosphäre wird fast ausschließlich durch Dialoge und Bildsprache kreiert. Vor den gigantischen Bürokomplexen der IBBC-Bank wirkt Agent Salinger hilflos und winzig. Die globale Macht des Konzerns ist damit ebenso jederzeit sichtbar, wie die ermittlungstechnische Ohnmacht Interpols. Der brachiale Shootout im Guggenheim ist quasi die Initialzündung für Salinger zum Angriff. Ab diesem Zeitpunkt verlagert sich das Handlungsmoment. Der Interpol-Agent scheint am Drücker, die IBBC gerät in die Defensive.
Clive Owen spielt den verbissenen Polizisten als dauermüden und missmutigen Antihelden. Er besitzt weder die eiskalte Präzision und explosionsartige Virilität eines Jason Bourne, noch den stolzen Zynismus und die kompromisslose Härte der Craigschen Bondinterpretation. Das macht ihn glaubhafter und authentischer als die beiden aktuell bedeutendsten Actionheroen.
Regisseur Tykwer interessiert sich nach eigenem Bekunden nur für Helden mit einer persönlichen Haltung. Louis Salinger ist diese jedenfalls nicht abzusprechen. Der scheinbar aussichtslose Kampf gegen ein unsichtbares System erfordert nicht zuletzt auch Charakterstärke. Am Ende gibt es keine ihn erdrückende Architektur mehr. Beim finalen Akt über den Dächern von Istanbul wirkt er erstmals frei und souverän. Aber war nicht auch die transparente Fassade der IBBC-Zentrale nur ein Trugbild?
(7,5/10 Punkten)