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Gleich der Einstieg in den zweiten Bondfilm ist furios und berühmt: Wir sehen einen scheinbar verwirrten und ängstlichen James Bond in einem irrgartenähnlichen Garten herumirren. Bond hat die Kanone gezückt, lässt sich von dem Knistern und Kratzen des Holzes nervös machen. Dann die Attacke: Ein Killer erwürgt ihn mit einem aus seiner Uhr gezogenen Stahlseil. Bond liegt leblos auf dem Boden. Ein paar Männer nähern sich gratulierend diesem Szenario, beglückwünschen den Killer, und ziehen dem armen, toten, namenlosen Teufel, die James Bond-Maske ab...

Klar, dass sich James Bond alias Sean Connery nicht bereits in seinem zweiten Abenteuer umlegen lässt - doch bis zu seinem ersten Auftritt in "Liebesgrüße aus Moskau" dauert es noch ein Weilchen: Erst lernen wir die Phantom-Mitarbeiter Rosa Klebb (Lotte Lenya) und Kronsteen (Vladek Sheybal) kennen. Beide sollen für die Terrororganisation, die unter der Herrschaft von Ernst Stavro Blofeld steht, einen teuflischen Plan realisieren. Um an eine russische Dechiffriermaschine zu gelangen, gleichzeitig Ost und West gegeneinander bis zum Letzten auszuspielen, und sich dazu auch noch an dem unliebsamen britischen Agenten Bond für den Mord an Dr. No zu rächen, wird folgender Plan entwickelt. Das Phantom gibt dem britischen Secret Service in Person von 007 die Möglichkeit an eine russische Dechiffriermaschine, genannt Lektor, zu kommen. Der Ausstausch soll durch die vermeintlich in Bond verliebte Schülerin der Ex-Geheimdienstlerin Klebb, Tatiana Romanova (Daniela Bianchi) geschehen. Tatiana selbst weiss nichts von dem Plan. Die Maschine soll dann durch Phantom-Agenten Bond wieder abgejagt werden. Der Secret Service würde die Schuld bekommen, und das endgültige Eskalieren des Kalten Krieges wäre beschlossene Sache.

Doch bevor es dann in Istanbul und Venedig dann so richtig zur Sache geht, kommt der Zuschauer endlich, nach fast 20 Minuten erstmals in den Genuss, James Bond höchstpersönlich auf der Leinwand zu sehen. Und diese ersten Szenen erweisen sich fast wie ein Remake der frühen Aufnahmen aus "Dr. No". Zunächst bändelt Bond etwas mit Sylvia Trench (Eunice Gayson) an, wird dann in das Hauptquartier des MI6 gebeten, wo er von "M" (Bernard Lee) und dem Waffenmeister Broothroyd (erstmals Desmond Llewelyn in der Rolle von "Q") Instruktionen für den Auftrag bekommt. Diese eindeutigen Parallelen sind aber schnell vergessen, wenn man erst so richtig von dem Thriller mitgerissen wird.

Denn "Liebesgrüße aus Moskau" ist zweifelsohne einer der spannendsten und besten Bondfilme überhaupt. Die clever um den Ost-West-Konflikt gestrickte Geschichte, die durchweg hervorragend besetzten Nebenfiguren, und der ungewöhnlich realistische und harte Verlauf der Story machen "Liebesgrüße" aus. Endete "Dr. No" in einem pyrotechnischen Fiasko für den Gegenspieler, hat es hier Bond keineswegs mit einem größenwahnsinnigen, Diesel-Drachen fahrenden Wissenschaftler zu tun, der aus einer technologischen Kontrollstation heraus das Ende der Welt herbeirufen möchte, zu tun, sondern "nur" mit Gegnern aus Fleisch und Blut. Und so erinnert das actionreiche und handfeste Finale auch eher an alte Agentenstreifen, und ist nicht der Bond-typische, Science-Fiction-angehauchte Abgang, den man sonst erwartet.

Besonders erwähnenswert wäre hier die genial fotographierte Schlägerei im Zugabteil gegen Ende des Filmes. Erst kommt es zum Dialogduell zwischen Connery und Robert Shaw alias Donald Grant. Doch kaum kann sich Bond hier aus seiner mißlichen Lage befreien, haben wir es mit einer großartigen Actionszene zu tun. Wild geschnitten und schneller abgespielt, wirkt diese Sequenz unglaublich hart und authentisch. Nur wenige Momente hat der Zuschauer zum Durchatmen, denn kurz darauf zeigt uns "Liebesgrüße" sein nächstes Action-Highlight: Bond wird in bester "Der unsichtbare Dritte"-Manier von einem Helikopter angegriffen, während er alleine und zu Fuß auf einem langläufigen Feld unterwegs ist.

Tragisches Detail zu "Liebesgrüße aus Moskau" ist leider der Bezug zu John F. Kennedy. Seine Liebe zu den Bond-Büchern, insbesondere zu dem Roman, der als Vorlage zu "Liebesgrüße aus Moskau" diente, war der Anlass, dass man genau diesen Flemming-Stoff verfilmte. "Liebesgrüße aus Moskau" war dann aber auch der letzte Film, den ich Kennedy ansehen konnte, bevor der an jenem tragischen Tag in Dallas erschossen wurde.

"Liebesgrüße aus Moskau" ist der beste Bond-Film unter der Regie von Terence Young. Es ist der erste Bond-Film, in dem es die klassische Pre-Title-Sequenz und die darauffolgende, wunderschön gestaltete Titelsequenz von Maurice Binder gibt. Es ist auch die Premiere für das "007"-Thema von John Barry, das zum Beispiel beim Überfall auf die Zigeuner ertönt. "Liebesgrüße aus Moskau" ist hart, realistisch, ungewöhnlich - einfach ein klasse "Bond"!

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