Review

“Classic Bond”

James Bond irrt durch den nächtlichen Garten einer mondänen Villa. Die Pistole im Anschlag. Er wirkt gehetzt, fast verängstigt. Ein blonder Mann verfolgt ihn. Er wirkt gelassen, selbstsicher, entschlossen. Er zieht einen dünnen Draht aus seiner Armbanduhr. Blitzschnell legt er Bond die tödliche Schlinge um den Hals und erdrosselt ihn. Plötzlich wird die Szenerie von riesigen Scheinwerfer taghell erleuchtet. Eine Gruppe Männer geht auf den Blonden zu. Der Anführer sieht auf seine Uhr und nickt dem Killer anerkennend zu: " Exactly 1 minute 52 seconds. That´s excellent." Er beugt sich zu dem Toten und zieht ihm eine Gesichtsmaske ab. Es ist nicht Bond. Die Gruppe schlendert zurück zur Villa.
Mit diesem Knaller beginnt der zweite Bondfilm From Russia with love (Liebesgrüsse aus Moskau). Die Tradition der Pre-Title-Sequence war geboren. Erst danach erklingt der Titelsong zu dem die Schriften ablaufen. Dieser „Appetithappen“ sollte im Laufe der Filmreihe immer mehr zu einer Art Nummernrevue verkommen, bei der Bond irrwitzige Miniabenteuer besteht, die meist mit einem unglaublichen Stunt abgeschlossen werden. Ganz anders bei den frühen Filmen. Der Teaser gab Ton und Stimmung des Films vor und katapultierte den Zuschauer von null auf Hundert in die Welt James Bonds. Die vermeintliche Ermordung Bonds zu Beginn von Liebesgrüsse aus Moskau sollte das Publikum schockieren, ihm Angst machen. Die Botschaft war klar: Dies würde kein Spaziergang für 007 werden. Die Gefahr ist ernst, real und bedrohlich. Seine Gegner sind eiskalt, brutal und entschlossen.

Nach dem großen Erfolg von Dr. No (1962) diskutierte das Produzentenduo Albert R. Broccoli und Harry Saltzman, welchen Bondfilm sie als nächstes realisieren sollten. 1963 hatte Ian Fleming bereits 9 Romane und diverse Kurzgeschichten um den britischen Geheimagenten veröffentlicht. Flemings 5. Roman From Russia with love (1957) bot sich aus diversen Gründen an. Zunächst spiegelte er die Stimmung des Kalten Krieges und die Welt der Geheimdienste am besten wieder. Zudem galt er gemeinhin als sein bis dato spannendster, geradlinigster und atmosphärisch dichtester Roman. Den Ausschlag gab schließlich US-Präsident John F. Kennedy. Auf einer im Jahr 1961 im US-amerikanischen Life-Magazin veröffentlichten Liste seiner 10 Lieblingsbücher tauchte From Russia with love auf. Konnte es eine bessere Werbung geben?

Zur Story:
Die private Verbrecherorganisation PHANTOM plant eine russische Dechiffriermaschine („Lektor“) in die Hand zu bekommen. Zu diesem Zweck sollen der britische und der sowjetischen Geheimdienst gegeneinander ausgespielt werden. Als Lockvogel dient die vermeintliche Überläuferin Tatiana Romanova (Daniela Bianchi). Die im sowjetischen Konsulat in Istanbul angestellte Sowjetrussin soll sich angeblich in das Passphoto des britischen Agenten James Bond (Sean Connery) verliebt haben. Als Gegenleistung für ihre Flucht würde sie den Briten eine „Lektor“ verschaffen. Instruiert wird sie von der Geheimdienstchefin Oberst Rosa Klebb (Lotte Lenya). Tatiana weiß allerdings nicht, dass Klebb inzwischen für PHANTOM arbeitet.
Obwohl Geheimdienstchef M (Bernard Lee) eine Falle wittert, schickt er Bond nach Istanbul, um die vermeintliche Überläuferin, aber vor allem die begehrte Dechiffriermaschine sicherzustellen. Auf ihrer Flucht vor den Häschern von PHANTOM bekommen es Bond und Tatiana insbesondere mit dem besten Auftragskiller der Organisation zu tun: Donovan „Red“ Grant (Robert Shaw). Im Orientexpress kommt es schließlich zum brutalen Showdown der beiden Kontrahenten.

Liebesgrüsse aus Moskau
gilt vielen Bondfans als der beste Film der Serie. Tatsächlich ist er an Rasanz, Spannung und Atmosphäre bis heute unübertroffen. Kein Film fängt die Stimmung des Kalten Krieges so perfekt ein. Damit ist er auch am Puls seiner (Entstehungs-)Zeit. Die Kubakrise 1962 hatte die Welt an den Rand eines Atomkrieges geführt. Das Thema war also allgegenwärtig. Den ersten Anzeichen eines „Tauwetter“ (Einrichtung des „heißen Drahtes“ Washington-Moskau) wurde insofern Rechnung getragen, dass die private Verbrecherorganisation SPECTRE (im Deutschen unverständlicherweise in PHANTOM umgetauft) als Drahtzieher fungiert. In Flemings Romanfassung mussten noch Sowjetrussland und der KGB für die Schurkenrolle herhalten.
Gerade in den Istanbulsequenzen atmet der Film echtes Agentenfeeling. Da spionieren Russen und Bulgaren gegen Türken und Briten. Da werden Attentate verübt, Besprechungen belauscht, Wanzen angebracht und Killer beseitigt. Hier versucht jeder jeden aufs Kreuz zu legen, in die Irre zu führen oder in die Falle zu locken. Alles dreht sich um Informationen und deren Beschaffung.
Kein Bondfilm sollte je wieder eine annähernd vergleichbare atmosphärische Dichte erreichen und die Spionage- bzw. Agententätigkeit so anschaulich und fesselnd auf die Leinwand bringen. Vieles ist dem authentischen Drehort zu verdanken. Das Istanbul der 1960er Jahre scheint wie geschaffen als Tummelplatz gegnerischer Geheimdienste. Es wirkt zu gleichen Teilen exotisch, bedrohlich und geheimnisvoll. Ein Highlight ist die Hagia Sophia-Sequenz. In der weltberühmten byzantinischen Moschee (heute ein Museum) herrschte Sprechverbot. In einer spannungsgeladenen Szene ganz ohne Dialog findet die Übergabe der Baupläne der russischen Botschaft statt. PHANTOM-Killer Grant wirkt hier im Verborgenen (noch) als Bonds „Schutzengel“.

Liebesgrüsse aus Moskau
verfügt über eine weitere Besonderheit. Die Premiere von Waffenmeister Q. Desmond Llewelyn gibt hier erstmals (er sollte die Rolle noch in 17! weiteren Filmen verkörpern) den lediglich auf seine Arbeit fixierten, für Bonds Späße und Überheblichkeiten gänzlich unempfänglichen Waffenexperten Major Boothroyd. Bond wir mit einem harmlos aussehenden Aktenkoffer ausgerüstet, der es allerdings in sich hat. Neben einem zerlegbaren Scharfschützengewehr mit Infrarotzielfernrohr und dazugehöriger Munition, verfügt der Koffer über 50 Goldstücke sowie ein auf Knopfdruck herausspringendes Messer. Für Unbefugte hält der Koffer eine unangenehme Überraschung bereit. Öffnet man ihn auf gewöhnliche Art, fliegt einem eine Tränengasbombe mitten ins Gesicht. Mit diesem Gimmick begann die lange Tradition der Bond-Gadgets, die zu einem Markenzeichen der Serie werden sollten. Der Clou dabei ist, dass Bond stets mit Geheimwaffen ausgestattet wird, die er sämtlich im Zuge des folgenden Auftrags benötigt und auch einsetzt, vornehmlich um sich aus brenzligen Situationen zu befreien. In Liebesgrüsse aus Moskau ist Bond gerade in der finalen Auseinandersetzung mit Grant dringend auf seinen „Wunderkoffer“ angewiesen.
Der von Robert Shaw eindrucksvoll verkörperte Auftragkiller Donovan „Red“ Grant gehört zu Bonds gefährlichsten und brutalsten Widersachern. Bis zur Konfrontation im Orientexpress spricht er kein Wort. Mit tödlicher Effizienz und Präzision agiert er zunächst im Hintergrund und begeht zahlreiche Morde, um den von PHANTOM-Mastermind Kronsteen (Vladek Sheybal) ausgearbeiteten Plan in die „richtigen“ Bahnen zu lenken. Im Zug gelingt es ihm, Bond zu überlisten und gefangen zu nehmen. Mit diebischer Freude erklärt er dem verblüfften Geheimagenten den perfiden Plan zu seiner Ermordung (Rache für den von Bond eliminierten PHANTOM-Mitarbeiter Dr. No in Dr. No, 1962) und Beschaffung der „Lektor“. Die ganze Szene strotzt vor Sadismus, Zynismus und Brutalität und wurde von der Filmkritik seinerzeit heftigst kritisiert. „Die erste Kugel wird Sie nicht töten, die zweite auch noch nicht. Die dritte auch noch nicht. Aber bevor Sie abtreten werden Sie mir noch die Füße küssen.“
Erstmals kann sich Bond lediglich mit Hilfe von Geheimwaffen aus einer prekären Situation befreien. Er bringt Grant dazu, den präparierten Aktenkoffer zu öffnen, womit den das Tränengas kurzfristig außer Gefecht setzt.
Der anschließende Faustkampf galt bis zu Casino Royale (2006) als die härteste und brutalste Actionszene der Bondgeschichte. Der hervorragend choreographierte Fight im Zugabteil wartet mit unglaublichen Schlägen und Einstellungen auf. Kameramann Peter Hunt lieferte hier sein Meisterstück ab. Durch den Einsatz einer Handkamera, kombiniert mit extrem schnellen Schnitten verlieh er der Szene eine enorme Rasanz und Dramatik. Der Verzicht auf jegliche Musikuntermalung (man hört lediglich das Geräusch des fahrenden Zuges) sowie ein diffuses bläuliches Licht rundeten die bedrohlich-brutale Grundstimmung perfekt ab. Connery und Shaw trainierten zwei Tage, um den Kampf glaubhaft darzustellen.

Die Actionszenen sind zahlreicher und eindrucksvoller als in Dr. No. Neben der oben beschriebenen Zugszene gibt es u.a. den bleihaltigen Überfall auf ein Zigeunerlager, eine Hubschrauberverfolgungsjagd in den Bergen sowie ein spektakuläres und explosives Bootsrennen.
Auch das Darstellerensemble toppt den Vorgängerfilm. Sean Connery zeigt in Liebesgrüsse aus Moskau neben Goldfinger (1964) seine beste Bond-Leistung. Die Unsicherheiten aus dem ersten Film sind überwunden. Er spielt den Gentleman-Spion mit einer Mischung aus lässiger Eleganz, ironischem Witz und charmant-gefährlicher Ausstrahlung. Bereits mit dem zweiten Film scheint der Schotte endgültig mit der Bondrolle verwachsen. Auch Pedro Armendariz hinterlässt in seiner letzten Rolle als gewitzter türkischer MI6-Sektionschef Kerim Bey einen nachhaltigen Eindruck. Die insgesamt tollen Darstellerleistungen werden komplettiert von Robert Shaw und Lotte Lenya. Shaw spielt den eiskalten Killer Grant mit einer unglaublichen Präsenz und ist einer der wenigen Gegner, bei denen der Zuschauer Angst um Bond hat. Die deutsche Theaterschauspielerin Lotte Lenya schafft Ähnliches als widerwärtig-böse Ex-KGB-Chefin.

Die Kritik ging 1963 sehr hart mit dem Film ins Gericht. Ihm wurde Brutalität, Sadismus, Zynismus, und Sexismus vorgeworfen. Zugegebenermaßen enthält der Film Andeutungen lesbischer Liebe (Rosa Klebb), zeigt Voyeurismus (verborgen hinter einem riesigen Spiegel beobachtet Klebb Bond und Tatiana beim Liebesakt und lässt das Ganze filmen), thematisiert die Liebe zu Dritt (Bond im Zigeunerlager) und hat einen Helden, der sowohl für Königin und Vaterland wie auch zum reinen Vergnügen jederzeit zum Sex bereit ist.
Mit Red Grant erscheint ein eiskalter Berufskiller, der seine Arbeit offensichtlich genießt. Der Plan, die beiden Geheimdienste gegeneinander auszuspielen trägt durchaus teuflische und zynische Züge. Die gezeigten Kämpfe sind brutal und gewalttätig. Mit Politcal Correctness nervte Liebesgrüsse aus Moskau seinerzeit jedenfalls nicht. Nach heutigen Maßstäben ist das Alles natürlich wenig skandalös, sondern macht den Film so interessant, farbig und vor allem unterhaltsam.
Ohnehin war die harsche Kritik mehr Werbung denn Hemmnis. In Großbritannien pulverisierte der zweite Bonfilm sämtliche Kinorekorde und war auch international ein phänomenaler Kassenerfolg. Der unaufhaltsame Siegeszug der erfolgreichsten Franchsie der Filmgeschichte hatte begonnen.

Fazit:
Regisseur Terence Young lieferte mit dem zweiten Bondfilm gleich den für viele Fans bis heute besten Beitrag der gesamten Franchise. In der Tat ist Liebesgrüsse aus Moskau ein zeitloser Klassiker, der die Atmosphäre des Kalten Krieges und der Welt der Geheimdienste am authentischsten einfängt. Neben tollen Originalschauplätzen (Venedig, Istanbul), besticht der Film vor allem durch ein glänzend aufgelegtes Darstellerensemble sowie seine atmosphärische Dichte. Er ist ungemein spannend und reißerisch inszeniert und enthält mit einem superb gefilmten, zweiminütigen Faustkampf in einem Zugabteil ein Highlight des Actionkinos. Zusammen mit Goldfinger der für mich beste 007-Film.

(10/ 10 Punkten)

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