Trailer, Reviews, Meinungen von anderen, Diskussionen hier und auf IMDb, was habe ich nicht alles vorher von diesem Film gelesen. Über den neuen Bond-Darsteller, den ersten nicht-britischen Bond-Regisseur, das mit $280 Millionen höchste Bond-Budget, den Titelsong, die Bond-Girls... Wie ist der Film wirklich?
Die Kamera
Die schnellen, verwischten Bilder bei den Action-Szenen haben bei mir nur noch ein Gefühl vermittelt, von dem, was da passiert. Die einzelnen Szenen lassen sich bewußt nicht mehr auseinandernehmen. Wozu auch? habe ich mich gefragt. Ist doch eh oft genug an den Haaren herbeigezogen. Völlig unnötig der Versuch, Action in der Notwendigkeit zu begründen. Wir wollen die Action hautnah spühren, und genau das kriegen wir hier geliefert, durch die verwischten Bilder. Während bei dem Sprung vom Kran im vorherigen Bond noch jedes Detail gezeigt wird, erst die Tiefe aus zwei Blickwinkeln, dann das Zögern im Gesichtsausdruck in Großaufnahme, dann der Druck durch den herannahenden Verfolger, dann der Sprung und das Abrollen, und dann alles nochmal für den zweiten Sprung, "malt" Marc Forster einen Sprung in die Tiefe in zwei Sekunden aus unterbewussten Eindrücken, Geräuschen und Lauten, zu schnellen Cuts und Schatten zusammen. Was bleibt ist ein Empfinden der Szene als ganzes. Wer seinen Verstand aber nicht abstellt, muss sich fragen, warum eigentlich jemand der flüchtet, an einem Kran hoch klettert...!? Unbenommen, würde ich den ganzen Film gerne nochmal in Slowmotion sehen und bitteschön jede Szene aus verschiedenen Kammeraperspektiven. Und wehe da ist ein logischer Fehler! ;)
Daniel Craig
Ist er ein guter, ein wahrer, der beste oder gar kein Bond? Da sollten wir mal die Story von der Verfilmung trennen. Die "Beziehung" zwischen Bond und M steht mehr im Mittelpunkt denn je. Die Sinnfrage, die Vertrauensfrage, die Bewältigung der Krise. Ja, ist er denn schon ein echter "Bond" bei seinem ersten Einsatz (ist ja die Fortsetzung von Casino Royale)? Es wird ihm noch nicht "sein" Drink zugeordnet, aber die Suche danach. Es gibt keinerlei Ausrüstung, im Gegenteil, die wird ihm sogar entzogen und er muß sich größtenteils ohne Unterstützung der eigenen Leute durchschlagen. Das ist typisch Bond! Ein Mann alleine - das ist das Vermächtnis Ian Flemings - kann alles schaffen, wenn er die richtigen Entscheidungen trifft. Insofern stellt Daniel Craig diesen Bond dar, mehr als jeder zuvor.
Die Technik
So beeindruckend ein Racketenwerfer im DBS ist, aber haben wir das nicht schon zur Genüge gesehen? Die weltweite Vernetzung und Verknüpfung von personenbezogenen Daten wird zu einem eigenen Charakter des Films, als nach dem Namen Camille Montes bei MI6 "gegoogelt" wird. Die ständige Präsenz von Überwachung, Funkortung, Telekommunikation und Informationsaustausch hing über jeder Bewegung, jeder Entscheidung. Technische Spielereien bei alten Bonds waren immer beeindruckend, nie lächerlich gemeint. Das klappt hier auch, nur eben nicht mit Raketen, sondern mit Information.
Die Kürze
Eine Stunde und 46 Minuten, das ist die maximale Zeit die ich auf einem kleinen, unbequemen Kinosessel ausharren kann. Der kürzeste Bond aller Zeiten. Fast alle Bonds zuvor liefen deutlich über zwei Stunden. Zu lang, wie ich finde. Trotzdem wurde sehr viel Wert auf Romantik und Stille, Witz und Dialog gelegt. Dafür wurden die Actionsequenzen ordentlich überlagert und zusammengeschnitten. (Schade, dass es bei Bond-Filmen grundsätzlich keine "Deleted Scenes" oder einen Directors Cut gibt...)
"Typisch" Bond
Ein Superschurke, schnelle Autos, Stunts, Verfolgungsjagden, Zweikämpfe, exotische Schauplätze, schöne Frauen, ein Bond-Girl das stirbt. Daniel Craig ist wie erwartet galant, zynisch und unverwundbar. Die Gun Barrel Sequence kommt, wenn auch am Ende. Das farbenfrohe Intro mit der Titelmelodie. Der Action-Prolog. Er trinkt Cocktails aus einem dreieckigen Glas mit Olive, der aussieht wie ein Wodka-Martini und über dessen Rezeptur auch hier wieder ausführlich berichtet wird. Und ausgerechnet in diesem Film (dem einzigen bisher!) sagt er nicht "The name is Bond. James Bond." was ja auch wieder was Besonderes ist, weil gerade dieser Satz jedem im Kopf rumschwirrt, und durch eben dieses Auslassen betont wird.
Not very British
Verglichen mit Roger Moore oder Brosnan hat Craig kaum noch was "typisch" britisches. Aber diese englische Art ist im Moment auch nicht so "hip", glaube ich. Die Geschichte von Casino Royale ist sehr ehrlich. Der erste Teil, den Flemming überhaupt geschrieben hat, nachdem er sich selbst zum Heiraten entschied, wenn ich das richtig zusammen kriege. Also von der Gefühlswelt her, mit der "wahren" Liebe und alles, schon biographisch. Und dann eine Fortsetzung davon dem "Neverland" Regisseur zu geben, ist absolut folgerichtig. Dass der Deutsche dann den britischen Humor weglässt, ist direkt ein Volltreffer.
Ein Neuer Bond
Der Film wirkt wie ein dunkler Traum, durch die verwischten Bilder, durch die Einzelkämpfer-Perspektive, und durch die im Hintergrund ablaufenden Informationskanäle. So kann man einen Bond heute machen! Trotzdem sind fast alle typischen Bond-Merkmale enthalten. Man kann der Charakterentwicklung Bonds, mit Casino Royale zusammen betrachtet, Tiefgang bescheinigen. Action ist mehr als genug vorhanden. Allerdings würde ich den Bourne-esken Film nicht auf einem schaltfaulen TFT betrachten wollen. Im Kino hat er gut gewirkt!