In einer Sekunde denkt man noch, die Autoverfolgungsjagd, die da ohne Ankündigung plötzlich ins Nichts bricht, gehöre möglicherweise zu einem Werbeclip von Aston Martin. Vielleicht wollen die britischen Sportwagenhersteller da ja filmbegleitend schicke Sportwagen verkaufen. Das wäre naheliegend. Und es wäre ja nichts Neues, Daniel Craig zu Promotionzwecken in Anzug und Fliege abzulichten. Aber die Szene läuft weiter und weiter, wird immer professioneller. Zu viel Aufwand für einen Werbeclip. Das ist der einzige Hinweis darauf, dass man bereits mitten drin ist, in “Quantum of Solace”, der als erstes richtiges “Sequel” im lexikalischen Sinne in die nunmehr 22-teilige Bond-Franchise eingehen wird.
Marc Forster, der inzwischen als Edelregisseur mit Hang zum Mainstream gilt, bemüht sich nach Leibeskräften, die direkte Fortsetzung zum James-Bond-Reboot homogen wirken zu lassen und nicht gleich noch einen weiteren Stilbruch zu provozieren. Für das Drehbuch waren dann auch noch die “Casino Royale”-Autoren um Paul Haggis verantwortlich, und die stricken einen schönen Epilog um ihr Baby herum. Deswegen wohl auch die historisch kurze Laufzeit von kaum mehr als 100 Minuten - für einen Agenten, der mal wieder um die ganze Welt reist, ganz schön wenig. Für einen Epilog fast schon ein wenig viel.
Kurz und knapp auf den Punkt gebracht: “A Quantum of Solace” ist Gefangener seines Spagats zwischen Modernisierungspfad und Traditionsbewusstsein. Bonds Reisestationen werden in schicker Reisebüro-Typographie auf dem Bild angekündigt; man möchte glatt hinterherreisen. Craig besucht ausgetrocknete Flussbetten, chilenische Dünenlandschaften, Luxushotels, toskanische Landhäuser und die Seebühne in Bregenz. Das ist traditionell; alle Bonds zusammengenommen ist die Welt in keiner Franchise in einem derartigen Facettenreichtum beleuchtet worden. Ein wenig dreckig, roh und kraftvoll bleibt es dabei diesmal, eben so wie sein Hauptdarsteller. Die bunte Gadget-Ära der Brosnan-Filme scheint ein für allemal vorbei, und fern des Glamours um das Glücksspielambiente von Nr. 21 erinnert Nr. 22 nur noch mehr an die Zeit des Timothy Dalton.
Die Modernisierung steht und fällt mit dem Protagonisten - und der hat sich schon jetzt etabliert. Das ist beinahe langweilig. Aber nur beinahe. Noch fasziniert der Verbund von Verletzlichkeit und Härte. Judi Dench treibt den inneren Gewissenskonflikt des Agenten inhaltlich immer wieder an, als sie das Schicksal der Vesper Lynd geradezu provokant ständig zum Thema macht. Tatsächlich erfährt man über Craigs Bond aber viel mehr in den Momenten, als sein Adrenalin in die Höhe schnellt. Als er beim (ganz ausgezeichnet choreografierten) Fall die Kirchturmspitze herab nach seiner Waffe greift und in einem Spiel von Sekunden gerade noch seinen Gegner erwischt, bevor es ihn selbst erwischt, muss man nur in das blaue Stahl seiner Augen blicken, um alles über die neue Reinkarnation des britischen Geheimagenten zu erfahren. Der Überraschungseffekt von 2006 ist dahin, das Spiel durchschaut, aber es ist noch interessant.
Nur so ganz möchte das Narrative, Kontinuierliche der modernen Ausrichtung nicht mit dem Traditionalismus der Franchise kooperieren. Was im Vorgänger zu großen Teilen noch funktionierte, ist nun dahin: Ist das noch James Bond? Oder besser: Wenn das kein James Bond mehr ist, was ist es dann? Bourne? Stilistisch, ja, möglicherweise... aber auch nur dort. “A Quantum of Solace” fühlt sich im Grunde keiner der beiden Richtungen verschrieben, was den Geist, die Idee betrifft, und ist deswegen herrenlos. Nicht nur Bond selbst trägt diesmal bestimmte Züge eines Ronin, der Film selbst tut’s auch - nur um am Ende mit Nachdruck zu betonen “Zurückkehren? Ich war nie weg.”
Na klar, die Lippenbekenntnisse zur Agentenserie sind da, die Frage ist nur, für wie voll man sie nehmen kann. “A Quantum of Solace” ist alles und nichts; alles im Grunde, was man hatte erwarten können, nämlich zeitgemäße, schnellschnittige Action, ein ambivalenter, kalter Hund, der die Süffisanz seiner Vorgänger in bitteren Zynismus umwandelt und viele Autos, Sehenswürdigkeiten und Waffen ohne das übertriebene Overtopping von Q. Es ist aber auch nichts, nämlich keine Eigenständigkeit (als erster Film der Reihe überhaupt), keine Identität, keine Neuorientierung, kein Nichts. “A Quantum of Solace” ist bei all seinen schönen Momenten seltsam leer, und als am Ende der Lauf der Pistole auftaucht, Craig in seinem Fokus erscheint und die Leinwand rot färbt, schreckt man auf und murmelt verwirrt: “Ach, Bond? Ich bin überrascht.”