Wer schon bei Casino Royale bittere Tränen um der alten Zeiten Willen vergossen hat, der sollte sich nun vorsichtshalber eine Extrapackung Tempo sichern. Denn Ein Quantum Trost nimmt seinen Vorgänger im Quadrat und den eingefleischten Fans das, woran sie sich so gerne noch geklammert hätten: das Quantum Bond.
Durfte Daniel Craig vor zwei Jahren wenigstens am Pokertisch noch etwas Klasse zeigen, ist er in Marc Forsters Vision zum scheinbar seelenlosen Berserker mutiert, der alles und jeden aus dem Weg räumt, das sich ihm in die Schusslinie stellt. Bond ist ein gebrochener Mann, der sich 106 Minuten lang blind durch die Weltgeschichte kurvt, rennt, springt, fliegt und rast. Auch ich konnte es mir nicht verkneifen und habe mich gefragt: wann kommt's denn endlich, das "Yippee-ki-yay, motherfucker"?
Marc Forster beschwört einen Sog der Action, der alles zu verschlingen droht — die Handlung an sich ebenso wie jede Nebenfigur. Schon eine Minute nach Filmbeginn wähnt sich der Zuschauer vollkommen zurecht eher auf einem Rummelplatz als in einem Kinosaal. Wo ist unten, wo ist oben? Ist das die Stosstange eines LKWs in meinem Aston Martin? Scheissegal! Ganz nach Pinks Motto: So what? Von genau diesem Geist ist Bond befallen. Er ist voll auf Kollisionskurs, will wie ein trotziges Kind Sandburgen zerstören. Seinen Job beim MI6 erledigt er wie ein Besessener. So versucht er sie zu verdrängen, obwohl er genau weiss, dass er das nicht schafft. Er kann es gar nicht, denn sie war die Frau seines Lebens.
Vesper Lynd. Ihr Ableben ist der Grund für Bonds Rachegelüste, die auf namenlose Gegner und nicht zuletzt auf die Action selbst projiziert werden. Chaos steht an der Tagesordnung, Gewalt wird zum ultimativen Ventil, auf das der Agent seine grollende Energie verlagert. Hektischer Schnitt und nervöse Handkamera sind da nur logische Konsequenz all der perspektivenlosen Wut. Stylish sieht's nebenbei auch noch aus.
Neben diesem inneren Kampf zieht die Geschichte um Dominic Greene (Mathieu Amalric) und seine geheime Organisation beinahe unbemerkt vorbei. Bond scheint sich kaum um die Ziele Greenes zu scheren. Das einzige was zählt: am Ende der Kette steht derjenige, der Vesper verarscht hat. So entpuppt sich der Wettlauf ums Wasser als blosses Alibi für weitere furiose Moneysellers, die Rettung unzähliger Menschenleben ist eher willkommener Nebeneffekt als erstrebtes Ziel. Schämen Sie sich, Ego Bond!
Die beiden Frauen an Bonds Seite sind auch dieses Mal mehr als nur visuelle Leckerbissen, bieten sie ihm doch das, was er so dringend braucht: Sex und Trost. Tatsächlich scheint Agent Fields (Gemma Arterton) nur nach Bolivien geflogen zu sein, um mal eben kurz von 007 durchgevögelt zu werden. Camille (Olga Kurylenko) hat wesentlich mehr zu tun, ist sie doch diejenige, die Bonds Schmerz wie keine Zweite nachvollziehen kann.
Freilich reichen diese Quäntchen für eine Heilung nicht aus. Und Bond wird zusehends vom Nihilismus gepackt. "Was trinken Sie da?" — "Keine Ahnung. Was trinke ich?" Das also ist aus dem Martini geworden. Die ganz besonders stilvolle Beisetzung eines alten Freundes in eine Mülltonne spricht ebenfalls für sich. Trotzdem macht er weiter. Bond funktioniert, wenn nicht auf der menschlichen, so wenigstens auf der technischen Basis.
Forsters Experiment ist geglückt, sein Protagonist hat an Tiefe gewonnen. Rache ist ein intensives, doch eindimensionales Motiv, genau wie die Gewalt. Das hat Bond in der finalen Szene erkannt. Nach diesem Staffellauf der Actionsequenzen hat er sich aber auch eine Pause verdient.
Wir verbleiben mit einem etwas faden Nachgeschmack. Denn so sehr das schnelle Storytelling die Psyche des Protagonisten widerspiegelt, über die Vorhersehbarkeit des Drehbuchs kann es nicht hinwegtäuschen. Auch muss sich Forster den Vorwurf gefallen lassen, er habe den alten Filmbond mit Füssen getreten. Ein Kritikpunkt, der dieses Mal griffiger ist als noch vor zwei Jahren. Denn heute hat Bond mit seinen Wurzeln knallhart abgeschlossen. Ein schwerer Schlag für die einen, für die anderen eine willkommene Abwechslung.
So oder so: Ein Quantum Trost ist nicht zu dem seelen- und ideenlosen Standardwerk geworden, das manche in ihm zu sehen glauben.
8/10