Meet Mr. Pitt
"Alarmstufe: Rot" wurde zu einem kleinen Trauma meines noch kindlichen Ichs. Auf der Fähre nach England galten keinerlei festländische Regeln, ich kaufte ein Ticket für das Bordkino und hatte es eine halbe Stunde später dann verloren und kam dann doch nicht in den Film. Ich war am Boden zerstört. Mit 13 Jahren hatte der Film eine große Anziehungskraft auf mich und ich musste noch ein ganzes weiteres Jahr warten, bis ich dann auf VHS in den Genuss kam.
Von vornherein gedanklich als Stirb-Langsam-Rip-Off eingeloggt, lieferte der Film dann auch eine weniger gute, aber immer noch unterhaltsame Version des Einer-gegen-alle-Themas. Heute allerdings fallen mir doch diverse Schwachstellen auf, die den einst gefühlten Spalt zwischen Vorbild und Abklatsch zum ausgewachsenen Graben werden lassen.
1. Was will eigentlich der Bösewicht?
2. Wieso braucht der Film über eine halbe Stunde, um auf Temperatur zu kommen?
3. Wieso springt Tommy Lee Jones nicht gleich von Bord, anstatt gegen den unbesiegbaren Steven Seagal in einen Messerkampf zu gehen?
4. Wieso hat Seagal keinerlei Chemie mit irgendeiner Frau in egal welchem Film?
5. Warum zur Hölle zieht sich Erika Elaniak etwas an, wenn der einzige Grund für ihre Anwesenheit ihre Hupen sind?
Hier die von mir vermuteten Antworten:
1. Keine Ahnung.
2. Es geht zumindest nicht um die Einführung interessanter Figuren.
3. Er hat seine Stand-in-Puppe geschickt und paddelte schon lange Kurs Hawaii.
4. Seagal dachte auch damals schon nur an die nächste Mahlzeit.
5. Seagal verbot alles, was Aufmerksamkeit von seiner Person ablenkte.
Abgesehen davon ist "Alarmstufe: Rot" ein sorgfältig umgesetzter Film, der mit einem stimmungsvollen Soundtrack mehr Spannung suggeriert als das Buch zu bieten hat und, erst einmal Fahrt aufgenommen, Actionsequenzen wie an der Schnur auffährt, die allesamt um Seagal herumgeschneidert wurden. Und auch hier gibt es die ein oder andere Gewaltspitze, auch wenn es nicht ganz so grob zugeht wie in "Deadly Revenge" oder "Marked for Death". Regisseur Andrew Davis empfahl sich hier für "Auf der Flucht" und stand kurz vor seinem verdienten Karrierehöhepunkt.
Tommy Lee Jones chargiert etwas zu sehr, ist aber als Antagonist ein patenter Raumfüller. Machen Sie dies, machen Sie das, Mr. Pitt. Wenn er nicht liefert, dann knallt Gary Busey durchs Bild. Allerdings hätte man noch den einen oder anderen ernstlichen Zwischengegner herausschälen können, der den Chefkoch mehr hätte fordern dürfen. Busey oder Colm Meaney sind dafür weniger geeignet. Und Mr. Pitt wirkt als das technische Gehirn der Unternehmung ohne Ziel vielleicht etwas zu überfordert, was uns zu einem elementaren Problem aller Seagal-Filme führt: Man denkt nicht eine Sekunde, dass für unseren Helden ernsthaft etwas schiefgehen kann. Und gerade aus der Bedrohung auch für den Helden zieht ja das große Vorbild seine Spannung. Von dieser gibt es hier demnach nichts und so sehen wir Seagal über 90 Minuten dem Nachweisen seiner Männlichkeit zu, an der er offenbar selbst stark zweifelte, Anders sind seine Darstellungen kaum zu verstehen. Und wenn wir seine enorme Überlegenheit dennoch nicht mitbekommen haben sollten, dann gibt es einen Situation Room voller Leute, die uns das nochmal erklären.
"Amiral."
"General. Ist der Mann wirklich so gut?"
"Ja, Sir."
"Geben Sie mir den Präsidenten."
"Alarmstufe: Rot" ist ein B-Movie mit A-Movie-Budget und -Vermarktung. Das Drehbuch ist eher holprig aber dienstlich, um nach einem etwas langen Vorlauf gelungen inszenierte Actionszenen aneinanderzureihen. Die zur Schau gestellte Omnipotenz Seagals nimmt dem allen die Spannung, aber trotzdem hält der Film einen gut bei der Stange, bis das kitschige Happy End einem deutlich macht, dass es auch deutlich schlimmer hätte kommen können. Der Film sieht gut aus, hört sich gut an und bietet genug Highlights, an denen man sich von Anfang bis Ende hangeln kann. Dazwischen holt man sich Bier aus dem Kühlschrank. Tee funktioniert gar nicht. Wein wirkt unangemessen.
Und ab hier hielt sich Seagal dann für unfehlbar (Rolle und Darsteller wurden eins) und setzte sich dann selbst für "Auf brennendem Eis" auf den Regiestuhl. So konnte ihn niemand mehr von der Fransenjacke abhalten. Der Anfang vom Ende.