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Bei einem Episodenfilm kann leicht der Eindruck entstehen, dass unterschiedliche Kurzfilme unter einem Oberbegriff vereint werden sollen, die inhaltlich nur wenig gemeinsam haben. Unter einem allgemein gehaltenen Filmtitel wie "I mostri" (Die Monster) lassen sich viele Themen unterbringen. Eine Vielfalt, die der Film dazu nutzt, einen Rundumschlag auszuführen, um verschiedene Facetten der italienischen Gesellschaft in Kurzfilmen anzusprechen, die sich zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenfügen. Die darin geschilderten, der Normalität entnommenen Geschichten, entwickeln ihren unfreiwilligen Humor aus dem Standpunkt, von dem aus der Betrachter den Agierenden bei ihrem Kampf um den eigenen Vorteil zusieht – ein Humor, der jedem im Hals stecken bleiben müsste, auch in der Gegenwart.

Im italienischen Film wurde „I mostri“ zu einem stehenden Begriff für die alltäglichen Monstrositäten, der im Jahr 1978 mit „I nuovi mostri“ (deutscher Titel „Viva Italia!“, wörtlich „Die neuen Monster“) an die neuere Gegenwart angepasst wurde - vom selben Team um Dino Risi, Ettore Scola und ihre Hauptdarsteller Ugo Tognazzi und Vittorio Gassman - und 2009 nochmals einen Aufguss erfuhr mit „I mostri oggi“ (Die heutigen Monster). Die ursprüngliche Idee stammte von Elio Petri, der auch die erste Fassung des Drehbuchs schrieb, diese allerdings aufgab, als Alberto Sordi seine Teilnahme an dem Film ablehnte. Stattdessen drehte Petri mit Sordi im selben Jahr „Il maestro di vigevano“, dessen Drehbuch von Agenore Incrocci („Age“) und Furio Scarpelli nach dem Roman von Lucio Mastronardi verfasst wurde, die auch am Drehbuch von „I mostri“ neben Dino Risi, Ettore Scola und Ruggero Maccari mitwirkten. Neben den inhaltlichen Parallelen von „Il maestro di vigevano“ und „I mostri“, wird darin auch die Zugehörigkeit zur „Comedia all’italiana“ deutlich – zu Mario Monicellis Schlüsselwerk des Genres „I soliti ignoti“ (Diebe haben’s schwer, 1958) hatten Age und Scarpelli ebenfalls das Drehbuch geschrieben. Wie eng die Verzahnung zwischen den Beteiligten blieb, wird daran deutlich, dass sich Monicelli an „I nuovi mostri“ 1978 als Regisseur neben Risi und Scola beteiligte, und Alberto Sordi diesmal eine der Hauptrollen übernahm.

Das Regisseur Dino Risi sich dieser Thematik annahm, war folgerichtig, denn mit "Il sorpasso" (Verliebt in scharfe Kurven) hatte er ein Jahr zuvor schon eine beißende Komödie gedreht, die die Schattenseiten hinter der äußerlich so fröhlichen italienischen Lebensart ausloteten. Erweitert um Ugo Tognazzi, griff er wieder auf sein Team um Hauptdarsteller Vittorio Gassman und Autor Ettore Scola zurück, um die Sezierung des italienischen Alltags noch generalistischer anzupacken. In zwanzig Kurzfilmen unterschiedlicher Länge, spielten Tognazzi und Gassman abwechselnd, einige Male auch gemeinsam, typische Zeitgenossen und ihr nicht weniger typisches Verhalten. Die zwanzig Filme, von denen einige mit einer Laufzeit von weniger als einer Minute sehr kurz sind, einzeln zu bewerten, wäre inhaltlich falsch, da sie ihre Wirkung erst im Zusammenspiel mit den anderen Filmen entfalten.

Manche Filme, wie die kurze Szene am Strand, als Tognazzi und Gassman als braungebrannte „Latin Lovers“ (9.Episode) gleichzeitig versuchen, eine dunkelhaarige Schöne anzubaggern, um dann miteinander Händchen zu halten, wären aus dem Zusammenhang gelöst eher albern, wie auch der hinterhältige Polizist, der sich hinter einem Zeitungskiosk versteckt, um Falschparkern unbemerkt ein Knöllchen zu verpassen, wenn diese gerade eine Zeitung kaufen (12.Episode). Auch die Anspielungen auf den zeitgenössischen Film – wie schon in „Il sorpasso“ auf Michelangelo Antonioni und Sophia Loren – entfalten ihre Wirkung erst durch die Verzahnung mit den anderen Szenen. Gassman als Alter Ego von Federico Fellini, der in der 5.Episode mit dem schönen Titel „Aus dem Leben gegriffen“ alte Frauen auf Roms Straßen entführen lässt, um sie für seinen Film auf einer inszenierten Party mit dem Rollstuhl in einen Swimming-Pool schmeißen zu lassen, und Ugo Tognazzi in der 16. Episode als Betrachter eines neorealistischen Films, der bei der standrechtlichen Erschießung durch ein SS.-Kommando vor einer Mauer, nur an die Gestaltung seines Gartens mit einer ähnlichen Mauer denkt, wirken eher absurd als realistisch, lassen aber im Zusammenhang den alltäglichen Wahnsinn deutlich werden, der auch menschlich positive Ansätze zu verbiegen weiß.

Neben komischen, bewusst zugespitzten Filmen wie die 18.Episode, in der der Ehemann das Schäferstündchen seiner Frau mit ihrem Geliebten nicht bemerkt, nicht einmal als dieser einen Drink aus dem Wohnzimmer holt, weil er so intensiv vor dem Fernseher sitzt - damals ein noch als bedrohlich empfundener Eingriff in das menschliche Sozialverhalten - stehen Filme von genau beobachteter Realität. Dadurch verwischen die Grenzen zwischen Übertreibung und Normalität, so wie es im Alltag ständig geschieht. „Der Tag eines Abgeordneten“, die 8.Episode, beschreibt den Tagesablauf eines Politikers der christlichen Partei, der Hände schüttelnd von einem Termin zum anderen hangelt, obwohl er weiß, das ein honoriger General in seinem Büro auf ihn wartet, um ihn über einen politischen Skandal zu unterrichten. Diese Situation – hier der Auftritt bei Volksfesten und Vereinssitzungen, dort eine wichtige Angelegenheit, die warten muss – scheint skurril, war aber so real, das ein wichtiger Produzent absprang. Die Anspielung auf die damalige politische Situation, als die Christliche Partei nach außen behauptete, gegen Protektion und Bestechung vorgehen zu wollen, war zu genau.

Nur wenige der Episoden zielen auf den unmittelbaren Zeitkontext, sondern beschreiben generelle Verhaltensmuster, die sich bis heute nicht geändert haben. Besonders im zwischenmenschlichen Umgang ist „I mostri“ entlarvend, unabhängig davon, ob es sich um die verlogene Form des Schlussmachens mit der Geliebten (13. Episode), das Hintergehen eines guten Freundes (4. Episode), das Unterlassen von Hilfeleistung zum eigenen Vorteil (11.Episode) oder das Ausnutzen einer Schwäche (20. Episode) handelt. Diese letzte Episode ist auch ein Beispiel für einige längere Filme, die nicht nur einen Aspekt kurz streifen, sondern in sich abgeschlossene Geschichten erzählen, in denen Gassman und Tognazzi gemeinsam agieren. Die darin verkörperten Charaktere sind komplexer angelegt wie der ehemalige Boxer, den Gassman in „La nobile Arte“ (20. Episode) verkörpert. Nur noch als Anhängsel seiner resoluten Ehefrau im Strand-Restaurant geduldet, ist er schon an sich eine tragische Figur, schwer gezeichnet durch die vielen Kopftreffer seiner Karriere. Das Tognazzi als erfolgloser Promoter ihn dazu überredet, noch einmal in den Ring zu treten, nutzt diese Situation rigoros aus, denn der alternde Boxer dürstet natürlich nach Anerkennung.

Auch in der 10. Episode „Testimone volontario“ entlarven sich zwei Charaktere erst durch ihre Interaktion. Tognazzi sagt als freiwilliger Augenzeuge in einem Mordprozess aus, nicht ohne Eitelkeit über seine herausgehobene Rolle vor Gericht. Doch der von Gassman gespielte Verteidiger arbeitet mit allen schmutzigen Tricks und setzt einen Privatdetektiv auf ihn an, um Tognazzi vor den Augen des Publikums zu diskreditieren. Die Schuldfrage des Täters spielt angesichts dessen Privatleben schließlich keine Rolle mehr. Trotz dieser längeren, für sich stehenden Filme, entsteht erst aus dem Zusammenspiel aller Episoden eine komplexe Aussage über menschliche Verhaltensmuster, die nicht nur ihre Gültigkeit bewahrt haben, sondern von pessimistischer Realität sind. Manche Episoden wie die 1., in der ein Vater seinen kleinen Sohn zu Egoismus und Hinterhältigkeit erzieht, um zehn Jahre später dessen Opfer zu werden, die 6.Episode, in der ein armer Wehrpflichtiger seine ermordete Schwester identifizieren soll, um kurz danach das Tagebuch der Prostituierten bei einer Zeitung verhökern zu wollen oder die 14.Episode, in der ein Mann gegenüber seiner Frau mit seriösen Argumenten seine Entscheidung verteidigt, ein Auto auf Kredit zu kaufen, um mit dem frisch erworbenen Kleinwagen zuerst zum römischen Straßenstrich zu fahren, scheinen eher Einzelschicksale darzustellen.

Doch dieser Eindruck vermischt sich mit den vielen anderen Charakteren aus allen Schichten, egal ob Typ Oberlehrer im Straßenverkehr (17.Episode „Die Straße gehört allen“) oder mittelloser Familienvater, der im Fußballstadion abfeiert, während seine Kinder erkrankt sind (7.Episode „Was für ein Hundeleben“), zu einer prototypischen Gesamtfigur, der sich Niemand wirklich entziehen kann. Gleich in der 3. Episode verbirgt sich das Titel gebende Monster, ein kleiner, unscheinbarer Mann, der seine fünf Kinder ermordet haben soll. Die beiden Polizisten (Tognazzi und Gassman) nehmen ihn in ihre Mitte und grinsen feist in die Pressekamera, während der Verhaftete zwischen ihnen beinahe verschwindet. Es steht außer Frage, wer hier die eigentlichen Monster sind. (9/10)

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