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„Gummo“ – die geballte Freakshow
Harmony Korine, der bereits Drehbücher zu „Kids“ und „Ken Park“ ablieferte, scheitert mit seinem Leinwanddebüt auf ganzer Linie.
Die Einwohner von Xenia, Ohio, die vor Jahren von einem Tornado heimgesucht wurden, stehen dabei im Mittelpunkt und werden im Dokumentarstil abgelichtet. Fragmentartig wird ihr durch und durch trister Alltag präsentiert, doch Korine liefert dabei keine Botschaft, - im Gegenteil, er lichtet die Figuren respektlos ab, ohne diese zu hinterfragen.

Als Leitfiguren dienen die Jungen Tummler und Salomon, die ihre Zeit mit dem Jagen und Erlegen von Katzen verbringen, um sie beim Metzger zu verschachern. Von ihrem Lohn beschaffen sie sich Kleber zum Schnüffeln oder amüsieren sich mit der behinderten Frau, die dessen Vater (oder Ehemann?) als Nutte verkauft.

Hier wird keine Geschichte erzählt. Es werden Laiendarsteller während ihres scheinbaren Alltags mit der Handycam begleitet, dazu gibt es Polaroidbilder und verwackelte Retro-Aufnahmen.
Nur ergibt das Ganze letztlich keinen Sinn, sondern lediglich Provokation und Ärgernis.
Fragmentartig werden Szenen zusammengeschnippelt, ohne Zusammenhang, ohne tiefere Bedeutung.
Da werden zwei Skinhead-Brüder vorgestellt, die früher wohl etwas anders drauf waren. Man sieht sie in der Küche beim Boxen. Das wirkt authentisch, ab und an wird tatsächlich eine Wange getroffen. Aber die beiden sehen wir nur in dieser einen Szene, danach nicht mehr.
Oder die Gruppe Erwachsener, ebenfalls in eine Küche befindlich und mit Saufen beschäftigt. Erst Armdrücken, dann demolieren sie Stühle. So etwas mag innerhalb amerikanischer Unterschichten, Stichwort „White Trash“, durchaus passieren, - Ja und?

Schlimmer ist jedoch die Zurschaustellung Behinderter, die angeblich in dem heruntergekommenen Ort leben. Da wird ein Albino-Mädchen interviewt – völlig aus der Luft gegriffen -, während sich eine andere, ebenfalls geistig behinderte Frau die Augenbrauen wegrasiert. Auch hier lässt sich keine Intention der Szenen ausmachen.

Dass Korine lediglich auf Provokation aus ist, zeigt sich mit der Zeit immer deutlicher, vor allem gegen Ende, wenn Solomon in der Wanne sitzt und seine Mutter ihm Spaghetti bringt.
Wortlos frisst er das Zeug, während Mom ihm die Haare einshampooniert, kurz darauf bekommt er einen Schokoriegel, der ins bereits dunkle Badewasser fällt, egal, Salomon isst auch den völlig unberührt. Ist der Zuschauer jedoch auch, außer Ekel regt sich da nichts an Emotionen.

Vielmehr kommt im Verlauf immer mehr Wut auf und man sieht eigentlich nur weiter, weil man letztlich auf eine Botschaft wartet, die aber bis zum Schluss ausbleibt.
Wie soll man bei dem Zusammenschnitt verwahrloster Figuren, die allesamt hassenswert erscheinen, auch nur einen Ansatz von Mitgefühl aufbringen können?
Zwar wirken viele Szenen authentisch, weil auch die professionellen Darsteller glaubhaft agieren und sämtliche Kulissen unverschönt abgelichtet werden, aber „style over substance“ hat für mich noch nie einen guten Film ausgemacht.

Und vom Schlagen verwester Katzenkadaver über das Baden einer Lebenden kommt einem als Katzenfreund ohnehin die Galle hoch, auch wenn das Erlegen der Tiere Fake ist.
Fake ist jedoch das komplette Endprodukt. Das soll möglichst kontrovers sein, an allen Ecken und Enden provozieren und ein glaubhaftes Milieu-Portrait vermitteln.
Mir vermittelt das nur, dass einmal mehr ein angebliches Kunstwerk lediglich eine Ansammlung von botschaftsloser Scheiße ist, nicht mehr.
1 von 10

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