Eugène François Vidocq war tatsächlich eine schillernde Person des 18. und 19. Jahrhunderts: Geboren in guten Verhältnissen bringt ihn seine abenteuerliche und kriminelle Natur in einige Schwierigkeiten. Er lernt viele Städte, Gefängnisse und Frauen Europas kennen, bis er schließlich seine Zusammenarbeit mit der Pariser Polizei anbietet. Er bespitzelt Mitgefangene, kann sich hocharbeiten und gründet schließlich die Sûreté Nationale, den Vorreiter der organisierten Polizei, wie wir sie heute kennen. Verschiedene kriminalistische Verfahren stammen von ihm, unter anderem die Untersuchung des Fingerabdrucks und die Ballistik; einiges an Stoff also für einen Film.
Damit allerdings beschäftigt sich "Vidocq" nur am Rande, geht von der Vorgeschichte vielmehr als Basiswissen aus und schafft aus bekannten Charakterzügen der Originalperson den französischen Sherlock Holmes, gut verkörpert von Gerard Depardieu. Gut, mit Holmes kann Vidocq auch im Film nicht ganz mithalten, aber seine Ausdauer, Kenntnisse und diverse interessante Fertigkeiten helfen ihn dabei, den mysteriösen "Alchimisten", einen fiktiven Superverbrecher zustellen. Dann ist für Vidocq wortwörtlich Schicht im Schacht. Das wars, nach fünf Minuten verschwindet die Hauptperson von der Bildfläche. Nun, nicht ganz, denn ein junger Journalist, ein Bewunderer seines Vorbilds, spürt dem Mord an Vidocq nach.
In Flashbacks entfaltet sich in märchenhaften Bildern die skurrile Geschichte um den Alchimisten. Dieser verbirgt sich hinter einer geheimnisvollen und originell dargestellten Spiegelmaske, die der Legende nach die Seelen seiner Opfer einfängt, die er mit einem blutigen Kehlenschnitt umzubringen pflegt. So ganz harmlos ist der Film tatsächlich nicht, herrschte um 1830 in Paris doch eher die raue Gangart, die hier auch deutlich präsentiert wird. (Un-)Angenehm ist zum Beispiel, dass es im Gegensatz zu üblichen Hollywood-Historienschinken hier tatsächlich nicht nur glänzend weiße, sondern auch gelbe, schwarze und sonstwie verfärbte Zähne zu sehen gibt. Die Darsteller sind auch nicht allesamt irgendwelche Models, sondern durchaus auch gegen den Strich gecastet. Insgesamt sehen wir ein verwinkeltes, dreckiges, verrauchtes und insgesamt sehr düsteres Paris; der perfekte Spielplatz für den Alchimisten.
Besonders großartig an "Vidocq" sind allerdings die Bildkompositionen, die Sets und die Farbgebung, ohne die der Film wegen seiner Krimi-Struktur keinen Reiz bieten würde, sich ihn noch ein zweites Mal anzusehen. Die teils sehr fantastischen Szenerien werden in unnatürliche, unheilschwangere Farben getaucht, die diesen zunächst als eher bodenständigen Actionthriller in historischem Ambiente immer mehr zu einem surrealen Horror-/Fantasyfilm umwandeln. Ein sehr frühes, aber auch eines der besten Beispiele ist die Todesschilderung zweier Herrschaften der gehobenen Gesellschaften. Mit fast pikierten Gesichtsausdrücken stellen die Herren naturwissenschaftliche Untersuchungen auf freiem Felde an, nur begleitet von jeweils vier schwarz gekleideten Bodyguards, die sich Statuen gleich im Quadrat um ihre Schützlinge postieren. Das Grün der Wiesen ist unnatürlich verzerrt, der bewölkte Himmel von einem kranken Blau. Dann schlägt der Blitz an, der erste Herr brennt, dann der zweite, ein grelles Rotgelb mishct sich in die von kühlen Frabtönen beherrschte Szenen. Die Bodyguards bewegen sich in perfekt gleichbleibendem Abstand zu ihren schreiend torkelnden Herren; alles was sie tun, ist ihre Pistolen zu zücken und sich - wiederum im Gleichklang - nach einem Übeltäter umzusehen. Diese durchkomponierten, konstruierten und völlig übersteigerten Bilder bleiben im Gedächtnis und verleihen ihm eine märchenhafte Aura.
Die Geschichte selbst ist zwar interessant und das Mitfiebern ist gesichert, das Ende jedoch ist mir zu actionlastig und einseitig ausgefallen. Mehr will ich dazu nicht erläutern, um die überraschende Schlusswendung nicht zu verraten. Was bleibt, ist ein sehr sehenswerter Film, der zwischen historischem Kriminalfilm, Actionthriller und mysteriösem Horror anzusiedeln ist und durch seine eigenwillige, ausgezeichnet gemachte Optik besticht.