„Ich denke, ich bin ein ziemlich kranker Kerl.“
Im Jahre 2000 erschien in US-Produktion die Verfilmung des allgemein als unverfilmbar gegolten habenden Romans „American Psycho“ von Bret Easton Ellis durch die kanadische Regisseurin Mary Harron („I Shot Andy Warhol“). „American Psycho“ ist eine bissige, schwarzhumorige Satire auf das Yuppietum der 1980er.
New York, 1987: Der 27-jährige Patrick Bateman (Christian Bale, „The Dark Knight“) ist Vizepräsident eines Finanzimperiums und ein neureicher Yuppie. In seinem manischen Perfektionismus scheint er ganz in der Welt der Oberflächlichkeit, der Etikette, von Prestige und Status, aufzugehen. Doch hinter dem stets akkuraten Äußeren seines durchtrainierten und übertrieben gepflegten Körpers verbirgt sich ein Abgrund aus Drogen- und Sexualexzessen und Mordsucht, der aus tiefen Selbstzweifeln resultiert.
„American Psycho“ beschreibt den versnobten Lebensentwurf der 80er-Yuppies und wie er, erst einmal „oben“ angelangt, in einer verzweifelten Suche nach einer Identität unter austauschbaren Anzugträgern resultiert. Wirklich arbeiten sieht man Bateman nie, seine Tage bestehen aus Treffen mit Kollegen in angesagten Nobelrestaurants, die bei oberflächlichem Smalltalk in einer Nabelschau der Eitelkeiten münden, bei denen man sich über ach so edle Visitenkarten definiert, auf denen bei allen dasselbe steht. Eine vermeintlich hochwertigere Visitenkarte als die eigene kann Bateman dann schon aus der Ruhe bringen und neidisch werden lassen. In einem von derartigen Nichtigkeiten bestimmten Leben mangelt es an eigener Identität, Verwechslungen mit anderen Yuppies sind permanent an der Tagesordnung. Hinter Batemans Fassade ist es leer, einem Roboter gleich macht er mit bei diesem Spiel; über sein wahres Ich, seine Biographie, erfährt man quasi nichts. Menschliche Emotionen sind ihm fremd und in seinem Dasein fehl am Platze, sie sind verkümmert, er empfindet nichts – eben bis auf Missgunst, Häme und Aggression, die sich auf der Suche nach sich selbst unaufhaltsam ihren Weg bahnen und Bateman zu einem unberechenbaren, gemeingefährlichen Irren machen, der zunächst auf Obdachlose und Prostituierte losgeht, eines Tages jedoch auch auf einen Arbeitskollegen – dessen Verschwinden Detective Donald Kimball auf seine Spur bringt.
Doch in einer ihn und die anderen Zombies herangezüchtet habenden, materialistischen Gesellschaft, in der der Blick hinter die Fassade schlicht unerwünscht ist, hat er kaum etwas zu befürchten – was ihn letztlich in den Wahnsinn treibt. So vertreibt er sich neben den genannten Exzessen und seinem Körperkult die Zeit mit Videofilmen und populärer Rock- und Popmusik. Letztere interpretiert er eloquent und beinahe leidenschaftlich, referiert vor seinen Opfern über sie – unfähig jedoch, das Gehörte auf sich selbst zu projizieren, Schlüsse daraus zu ziehen und als positive Inspiration aufzufassen.
Christian Bale spielt seine Rolle mit einer beinahe beängstigenden Hingabe. „American Psycho“ wird aus seiner Sicht erzählt, während sein Doppelleben eine vereinnahmende Faszination auf den Zuschauer auswirkt. Zwar wird nie die Grenze überschritten, die sich sein Publikum mit ihm identifizieren lassen würde, jedoch fehlt auch jedwede abgrenzende Distanz – wozu auch, denn selbst in seinen intimsten Momenten, die er teilt, wirkt er abgeschottet und in sich selbst, seiner gesellschaftlich als erstrebenswert erachteten Parallelwelt, gefangen. Diese ist das bizarre Spiegelbild des dekadenten, um wahre Werte beraubten US-amerikanischen Großstadtwohlstands des Jahrzehnts, das mit größtmöglicher individueller Freiheit warb, aber entmenschlichte, austauschbare Hüllen hervorbrachte. Harron und ihrem Team gelang es, den High-Society-Schick der 80er in keimfreiem Büro- und Appartement-Ambiente zu reproduzieren, in dem ironischerweise Blut und Leichenteile wie die einzigen Anzeichen menschlichen Lebens wirken. Die Sex- und Gewaltszenen fielen, zumindest in der von mir gesehenen, vermutlich auf der R-Rated-Version basierenden Fassung, zwar nicht explizit, jedoch eindeutig und direkt genug aus, um ihre Schockwirkung voll zur Geltung zu bringen, stets in Kombination mit irrem, mutigem Humor. Bateman rennt mit einer Kettensäge als Phallusersatz herum und pfeffert diese anschließend durchs Treppenhaus, bewahrt abgetrennte Köpfe im Kühlschrank auf und posiert beim Sex vor riesigen Spiegeln, wobei er selbstverliebt seine Muskeln spielen lässt und Phil-Collins-Lieder mitsingt. Bei Gott, sollte mal wieder im Radio „Sussudio“ ertönen, werde ich den Song mit anderen Ohren hören und ganz bestimmte Bilder damit assoziieren...
Willem Dafoe („Der blutige Pfad Gottes“, „Antichrist“) gibt einen unglaublich schmierig grinsenden Detective und neben den sich ihrer gespielten Austauschbarkeit unterordnenden männlichen Nebendarstellern bekommt man mit z.B. Reese Witherspoon („Walk The Line“), Chloë Sevigny („Kids“) oder Cara Seymour („e-m@il für Dich“) eine Reihe recht attraktiver Damen zu Gesicht, von denen man bis auf die hier dauersedierte Samantha Mathis („Super Mario Bros.“) keine einzige Bateman gönnt. Bei aller Überdrehtheit des Stoffs gelingt es allen voran natürlich Bale, im Prinzip aber ausnahmslosen allen, in den richtigen Momenten nüchtern bis gleichgültig zu agieren; angenehmerweise konnte ich kein unpassendes Overacting ausmachen. Genau hinzugucken lohnt sich indes immer, denn der Film bietet viele Details und subtilen Humor. Als besonderen Kniff hält „American Psycho“ gleich mehrere Interpretationsmöglichkeiten parat. So wird zumindest angedeutet, dass Bateman sich seine Gräueltaten lediglich einbilden könnte, was ein interessanter Aspekt des Films wäre. Derlei Gedankenspiele überlasse ich aber lieber anderen, denn mich quält momentan ein ganz anderes:
Der Soundtrack besteht aus zur filmischen Gegenwart populärer Musik u.a. von New Order, Genesis und Huey Lewis & The News, Bateman schaut gern Filme wie „The Texas Chainsaw Massacre“ und zählt Lewis, Genesis und Phil Collins zu seiner privaten CD-Sammlung, mit der er sich eingehend beschäftigt. Soll es als Zeichen von Dekadenz und/oder Langeweile ausgelegt werden, wenn sich jemand ausgiebig Spielfilmen und der Musik der genannten Künstler widmet? Möchte man diese gleichsetzen mit der Substanzlosigkeit von Yuppies wie Bateman? Oder soll ihre Betonung darauf hinweisen, wie sie vereinnahmt wurden, sich scheinbar widerspruchslos von jener Klientel konsumieren ließen? Ich sehe schon: Ich sollte womöglich einmal das Buch lesen.