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Bereits in Comic-, Buch-, Videospiel- und TV-Serienform hatte es „Largo Winch“ gegeben, insofern war es kaum verwunderlich, dass der französische Held anno 2008, unter der Regie von Jérome Salle, zum ersten Mal das Licht der Leinwand erblicken sollte.
Largo Winch (Tomer Sisley) lernt der Zuschauer als Abenteurer kennen, der durch Brasilien zieht, sich dort ein Unverwundbarkeitstattoo stechen lässt, doch kurz vor dessen Fertigstellung in eine Schlägerei verwickelt wird, in der er ordentlich einsteckt. Mit Augenzwinkern kommentiert „Largo Winch“ den quasimythischen Status seines Helden: Vielleicht wäre es ja anders gelaufen, hätte der Tätowierer die letzten Punkte noch stechen können? Doof für Largo, dass der bald als angeblicher Drogenschmuggler verhaftet wird und in den brasilianischen Knast einfährt.
Was kaum jemand weiß: Der bärtige Weltenbummler ist Millionenerbe, Adoptivsohn des Wirtschaftsmagnaten Nerio (Miki Manojlovic), der auf seiner Yacht ermordet wird, was Salle als ausgesprochen spannenden Moment inszeniert, ehe es in die Welt der Wirtschaft geht: Dem Aufsichtsrat wird die Existenz Largos enthüllt, von der die Mitglieder vorher nichts wussten und nun soll der junge Mann den Konzern übernehmen. Ein Getreuer, Freddy (Gilbert Melki), kann den Millionär in spe auch ausmachen, als dieser gerade aus dem brasilianischen Knast ausbüchst.

Um den skeptischen Rat zu überzeugen muss Largo Schuldverschreibungen aus einem nur ihm bekannten Versteck holen, die ihm die Konzernmehrheit garantieren. Allerdings sind die Hintermänner des Mordes an Nerio nun auch hinter Largo her, der sie enttarnen will…
Natürlich steht da auch eine schöne Menge an Verdächtigen bereit, von einer ganzen Ladung wenig begeisterter Aufsichtsratsmitglieder über weitere Vertraute und Winch-Angestellte wie Freddy und Sicherheitschef Stephan Marcus (Steven Waddington) bis hin zum Großindustriellen Mikhail Korsky (Karel Roden), der eine feindliche Übernahme des Winch-Konzerns plant. Genau aus dieser Konstellation bezieht „Largo Winch“ einen großen Teil seines Reizes, legt falsche und richtige Fährten, präsentiert doppelte Spiele von Fieslingen und Vertrauten, wodurch die Raterei bezüglich des Drahtziehers bzw. der Drahtzieher durchweg spannend und unvorhersehbar bleibt und den Film trägt, den Salle mit hohem Tempo inszeniert.
Hin und wieder hängt besagtes Tempo allerdings etwas durch, meist dann, wenn der Film in Rückblenden die Vergangenheit Nerios und Largos aufarbeitet: Wie Nerio den Waisen planerisch als Erben aussuchte, zu Pflegeeltern gab und entsprechend erziehen ließ. Das macht aus Nerio zwar eine bemerkenswert ambivalente Figur, zwischen Vaterschaft und kapitalistischer Planung bis in die Familie hinein, erklärt das gespaltene Verhältnis zwischen ihm und seinem Adoptivsohn, hämmert aber teilweise auch Dinge breit, die der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Handlung verstanden hat, die insgesamt auch nicht sonderlich komplex ist.

Stattdessen sind hier Oberflächenreize Trumpf, schön zu sehen an der stilvollen Inszenierung Salles, der gerade bei den Panorama-Aufnahmen Hongkongs, wo sich die Zentrale des Winch-Konzerns befindet, beweist, dass er sich nicht vor deutlich höher budgetierten Hollywoodfilmen verstecken muss. Schneidig ist auch die leider etwas sparsam dosierte Action, in welcher der Held auf Waffengewalt verzichtet und stattdessen mit Nahkampfkünsten, Parcour-artiger Akrobatik und Sicherheit am Steuer überzeugt. Highlights sind sicher die erwähnte Ausbruchszene und der Showdown auf dem Dach der Firmenzentrale, in der Largo sich einen knüppelharten, schön handgemachten Fight mit einem Widersacher liefert. Das hat alles durchaus Charme, könnte aber gerne etwas mehr sein, zumal die Finanzwelt hier nur Hintergrund für ein Whodunit der etwas anderen Art ist.
Mit Tomer Sisley präsentiert der Filmen einen guten Hauptdarsteller, der zwar nicht glänzt, aber sowohl als Abenteurertyp wie auch als Millionenerbe zu überzeugen weiß. Im Supportcast trumpfen Kristin Scott Thomas als stellvertretende Konzernchefin und Karel Roden als Konkurrenz auf, während ansonsten vor allem Steven Waddington, Gilbert Melki, Mélanie Thierry und Miki Manojlovic in dem gut gecasteten, aber nur wenig geforderten sonstigen Ensemble Akzente setzen können.

Großes Kino mag dieser Mix aus Abenteuerfilm und Wirtschaftskrimi mit seinem einfachen Plot und seinen gelegentlichen Tempoproblemen nicht sein, aber ein zackiger, schick inszenierter Genrespaß aus Frankreich, der sich vor der Hollywoodkonkurrenz nicht zu verstecken braucht. Dank vieler Fährten als Whodunit unterhaltsam und aufgelockert durch wenige, aber souveräne Actionszenen kann „Largo Winch“ knappe 7 Punkte meinerseits einstreichen.

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