Immer wenn härtere Gesetze für Verbrecher gefordert werden, basiert das vor allem auf dem sicheren Gefühl, beurteilen zu können, an welcher Stelle die Linie zur Kriminalität überschritten wird. Für sich selbst nimmt der so Fordernde selbstverständlich an, diese nie zu überschreiten. Patricia Highsmith's Kriminalromane zeichneten sich darin aus, diese für sich in Anspruch genommene Normalität mit wenigen Federstrichen in eine Katastrophe zu wandeln, und damit ein Szenario zu entwickeln, dass Jeden ereilen könnte.
Robert Forrester (Paddy Considine) befindet sich in einer Situation, die an beinahe jedem Ort der Welt vorstellbar ist. Seine Ehe ist gescheitert und um etwas Abstand von seinem früheren Leben zu bekommen, hat er seinen lukrativen Job in New York aufgegeben und einen weniger gut bezahlten in einer Kleinstadt angenommen. Dort wohnt er in einem Haus zur Miete, dessen Einrichtung noch aus den 60er Jahren stammt, da es zuvor den Eltern des Besitzers gehörte. Obwohl die Scheidungsverhandlungen mit seiner Noch - Frau Nickie (Caroline Dhavernas) harmonisch verlaufen und man sich größtenteils einig ist, hat es wie bei allen Trennungen Verletzungen gegeben. Es gab Drohungen und Streitigkeiten und auch wenn Nickie die Scheidung einreichte, wird es offensichtlich, dass Robert, der zudem zeitweise unter Depressionen litt, die Beziehung nicht mehr wollte.
Auch sonst ist er nicht an sozialen Kontakten interessiert, versteht sich zwar gut mit einem Kollegen, konzentriert sich aber auf seine Arbeit und verbringt seine Freizeit am liebsten allein. Um seinen Freiraum zu behalten, hat er sich einen schnoddrigen Umgangston angewöhnt. Als er bei einer Einladung seines Kollegen einer jungen Ärztin vorgestellt wird, die ernsthaft an ihm interessiert ist, nimmt er sich nicht einmal so viel Zeit, sie freundlich zurückzuweisen, sondern entschuldigt sich mit einer durchschaubaren Ausrede. Robert ist grundsätzlich ein sympathischer Typ, aber aktuell in einer Lebenssituation, in der er einfach Ruhe braucht - wer würde ihm das übel nehmen ?
Diese Charakterisierung setzt der Film nur langsam zusammmen, denn er beginnt mit dem, was Robert aktuell am meisten interessiert. Er beobachtet eine junge Frau in ihrem einsam gelegenen Haus. Ohne Frage begibt er sich damit auf dünnes Eis, denn Männer, die aus einem Versteck in der Dunkelheit in ein beleuchtetes Fenster starren, stehen grundsätzlich unter Verdacht. Ausserdem bekommt Jenny Thierolf (Julia Stiles) das Gefühl, dass dort draussen Jemand ist, was sie auch ihrem Freund Greg (James Gilbert) mitteilt, der darauf hin versucht, mit verbalen Drohungen den eventuellen Eindringling zu vertreiben. Der Film hält sich aber nicht lange mit dieser Konstellation auf, denn schon bald ertappt Jenny Robert und dieser überzeugt sie schnell von seiner Harmlosigkeit. Er fand es einfach schön, einem glücklich wirkenden Menschen in seinem Alltag zuzuschauen.
Dank des sehr zurückhaltenden Spiels von Paddy Considine, besteht kein Zweifel an Roberts Intentionen, aber - und darin liegt Highsmiths Kunst - nur der Betrachter ist komplex in sein Leben eingeweiht, für jeden anderen Beteiligten ergibt sich ein anderes Bild der Situation. Auch Jenny Thierolf ist eine normale junge Frau, die in einer Bank arbeitet, und gute Freunde hat. Aber ein Vorfall in ihrer Vergangenheit hat sie geprägt, als ihr Bruder starb, nachdem ein Mann ihren Vater besucht hatte. Für sie war dieser Mann ein Todesbote, weshalb sie fest an schicksalshafte Fügungen glaubt. Roberts plötzliches Auftauchen in ihrem Leben - und damit konnte er nicht rechnen - hat deshalb eine sehr hohe Bedeutung für sie, weshalb sie sich in ihn verliebt.
An diesem Detail wird erkennbar, wie Patricia Highsmith vorgeht, denn sie erzählt im Prinzip etwas normales und oft auch gewolltes - nämlich das sich eine Frau in einen Mann verliebt, der sich offensichtlich für sie interessiert. Sie verdeutlicht damit auch, dass jedes Handeln Konsequenzen nach sich zieht, nur das diese meist in dem vorher angenommenen Rahmen bleiben. Auch hier sind es nur Nuancen, die den Unterschied ausmachen. Robert musste eher annehmen, dass die junge Frau ablehnend auf ihn reagiert, sie konnte nicht ahnen, dass seine Psyche sich nur nach Ruhe und etwas Ablenkung sehnte.
Sehr schön beschreibt "Der Schrei der Eule" die Folgen dieser Begegnung. Während Robert, da er sich auf Grund seiner Beobachtungen nicht unschuldig an der Situation fühlt, erst einmal einen freundlichen Umgang mit Jenny pflegt, beschreitet sie den logischen Weg, macht Schluß mit ihrem Freund Greg und stellt Robert ihrer besten Freundin vor. Nicht erstaunlich, dass diese - vor allem Greg - ärgerlich auf den Mann reagieren, der zum Einen von ausserhalb kommt und noch deutlich älter ist. Auf den Gedanken, dass diese Veränderungen von Jenny gegen Roberts Willen veranlasst wurden, kommen sie nicht, was man ihnen kaum übelnehmen kann.
Wie schnell Situationen einen völlig anderen Charakter bekommen, wenn man nur die Parameter verdreht, erkennt man, als Jenny ein paar Tage später abends vor Gregs Haus steht und bei ihm übernachten will, weil sie in ihrem Haus Angst hätte. Sie willigt zwar ein, unten auf der Couch zu schlafen, aber nachts kommt sie doch zu ihm ins Bett und beginnt ihn zu küssen, was er schliesslich zulässt. Hätte ein Mann das gleiche mit einer Frau gemacht, wäre es nicht nur typisch gewesen, sondern für sie auch ein Leichtes, ihn rauszuschmeißen. Robert dagegen weiß, dass Niemand ihm glauben schenken würde, wenn er behauptete, diese Situation nicht zu wollen, angesichts der hübschen Jenny.
Als Greg ihn nachts mit seinem Fahrzeug zum Halten zwingt und ihn versucht, zusammen zu schlagen, beginnt die Situation zu eskalieren. "Der Schrei der Eule" zieht danach die Schraube zunehmend an, die Polizei tritt auf den Plan und Robert wird plötzlich mit Details aus seinem Privatleben konfrontiert, die er nur für seine eigene Sache hielt und die jetzt eine völlig neue Bedeutung erhalten. Leider - auch wenn es der Spannung zuträglich ist - wird "Der Schrei der Eule" zum Ende hin zu einem eher typischen Thriller, auch wenn er noch mit einigen überraschenden Wendungen aufwarten kann.
Lange Zeit gelingt es dem Film eine vorstellbare Konstellation, die unter anderen Vorzeichen vielleicht sogar glücklich gemacht hätte, in einen psychischen Alptraum zu verwandeln, aus dem es für den Protagonisten kein Erwachen zu geben scheint. Dieser psychische Alptraum verwandelt sich zum Ende hin in einen physischen, was die Handlung plakativer und damit trotz aller Dramatik fassbarer und einschätzbarer werden lässt. Beeindruckender war die Entwicklung dieser Situation, denn sie macht deutlich, dass Niemand sicher sein kann, dass er nicht einmal selbst die Linie überschreitet (8/10).