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„Kaum zu fassen, was sich dieser Penner einbildet!“

Zwischen „GoodFellas“ und „Zeit der Unschuld“ drehte US-Regisseur Martin Scorsese mit „Kap der Angst“ eine Neuverfilmung des Romans „The Executioners“ von John D. MacDonald bzw. vielmehr ein Remake der Erstverfilmung „Ein Köder für die Bestie“ seines Kollegen J. Lee Thompson aus dem Jahre 1962. Der Thriller, der mit Scorseses Lieblings- und Stammschauspieler Robert De Niro („Taxi Driver“) in einer der Hauptrollen aufwartet, wurde das erste Remake des Regisseurs und kam 1991 in die Kinos.

„Am liebsten würd' ich ihn töten.“

Max Cady (Robert De Niro) hat 14 Jahre wegen Vergewaltigung abgesessen. Die Zeit im Zuchthaus hat er genutzt, um zu trainieren, sich – auch in Rechtsfragen – zu bilden und vor allem, einen großangelegten Rachefeldzug gegen seinen damaligen Pflichtverteidiger Samuel Bowden (Nick Nolte, „Nur 48 Stunden“) zu planen, denn dieser hat seinerzeit ein entlastendes Gutachten absichtlich zurückgehalten, damit Cady verurteilt wird. Perfide taucht er nach seiner Haftentlassung im Umfeld Bowdens und seiner Familie (Samuels Frau Leigh wird gespielt von Jessica Lange, „Cat on a Hot Tin Roof“) auf und beginnt, Samuel zunächst mittels psychologischer Tricks zu terrorisieren, bei denen er nie die Grenze der Legalität überschreitet. Tut er es doch und wird gewalttätig, lässt er sich nicht erwischen und nichts nachweisen. Die Situation für die Bowdens wird immer bedrohlicher, wie eine Schlinge, die sich nach und nach um Samuels Hals zuzieht, oder auch wie ein Raubtier, das kreisförmig seine Beute umschleicht, um ihren Spielraum immer weiter einzuschränken und schließlich zuzuschnappen. Zunächst muss der Familienhund das Zeitliche segnen, dann wird Samuels heimliche Geliebte (Illeana Douglas, „GoodFellas“) misshandelt und schließlich der von Samuel auf Cady angesetzte Privatdetektiv (Joe Don Baker, „Die Vidioten“) getötet. Parallel erschleicht sich Cady das Vertrauens Samuels jugendlicher Tochter Danielle (Juliette Lewis, „Schöne Bescherung“). Wird er Bowden und seine Familie zerstören oder wird diese einen Weg finden, Cady zu entkommen?

„Ich hab' das Gefühl, dass da draußen ein Tier rumschleicht und auf uns lauert...“

Scorsese nähert sich der Erstverfilmung ehrfurchtsvoll, variiert, radikalisiert und modernisiert, wo es Sinn ergibt oder nötig ist und legt es darauf an, einem Genre-Publikum perfekte Kost auf der Höhe der Zeit zu servieren. Unter seiner Regie ist Max Cady ein rückentätowierter Stalin-Fan, belesen, eloquent und verschlagen, psychologisch manipulativ, aber auch größenwahnsinnig. Seinen Racheplan begründet er nicht nur persönlich, sondern auch religiös. Kurzum: Ein hochgefährlicher Sozio- oder gar Psychopath mit sadistischer Ader, dem nur schwer beizukommen ist. De Niro brilliert einmal mehr und liefert eine ebenso beeindruckende wie beängstigende Vorstellung, die man gesehen haben sollte – die 1990er begannen gut für Scorseses Stammmimen. In Nebenrollen tauchen Robert Mitchum, Gregory Peck und Martin Balsam auf, die allesamt in Thompsons Verfilmung mitspielten; das ist Teil der Hommage. Nick Nolte gibt als Anwalt zunächst ein ungewohntes Bild ab, gewinnt jedoch an Profil, je mehr ihm sein gewohnter Alltag entgleitet und je mehr er von Cady in den offenen Konflikt gezwungen wird.

Juliette Lewis als Samuels Tochter Danielle eröffnet mit einem kurzen Monolog den Film, der visuell nicht mehr viel mit Thompsons Klassiker gemein hat: Farbliche Verfremdungen und Negativierungen gehen einher mit stilisierten, aber auch artifiziell wirkenden Bildern, während die Kamera für reichlich Dynamik sorgt. Die erste wirklich verstörende Szene ist die Misshandlung Samuels Geliebter durch Cady, der hier erstmals sein Potential an physischer Gewalt offenbart. Ganz andere, wesentlich feinfühligere, jedoch nicht weniger bösartige Qualitäten beweist er mit der Manipulation Danielles, der gegenüber er sich als ihr neuer Schauspiellehrer ausgibt – Momente, die auch die Verführbarkeit der Jugend illustrieren. Die Nerven der Familie liegen bald blank, alte Geschichten kochen wieder hoch und resultieren in Ehekrach – und es gelingt Cady, einen Keil zwischen Vater und Tochter zu treiben. Auch auf anderer Ebene, auf einem anderen eigentlich Samuel „gehörenden“ Terrain, triumphiert Cady: Er treibt Samuel dazu, selbst das Gesetz zu übertreten und vor Gericht gegen Cady zu verlieren. Welch Schmach für den Anwalt!

Ungefähr ab dem nervenzerrend spannend eingeleiteten Präfinale verfestigt sich der Eindruck, Scorsese habe Bock gehabt, sich einmal in Sachen Genrefilm so richtig auszutoben. Einige ultrafiese Szenen schlagen die Brücke zu einem spektakulären Schlechtwetterfinale auf einem Hausboot, in dem Cady „das Verfahren neu aufrollt“. Dieser wird zum Ende hin immer dämonischer, der Film tendiert gar in Richtung eines Horror-Thrillers. Das ist der den Adrenalinausstoß in die Höhe treibende Höhepunkt eines packenden, intensiven Thrillers, der vielschichtiger und mutiger als seine Erstverfilmung ausgefallen ist. „Kap der Angst“ stellt die Frage, ob es unter bestimmten Umständen moralisch zu vertreten ist, dass ein Anwalt seinen Mandanten verrät. Generell wirbelt er Rechtsauffassungen kräftig durcheinander, wenn ausgerechnet jener Anwalt das Gesetz übertritt und letztlich am eigenen Leibe erfahren muss, wie es sich gegen ihn wendet. Ferner verrät die Entwicklung bzw. die Konfrontation mit Cady eine Menge über die Bowdens als Familie, genauer: ihre Dysfunktionalität, ihre unter den biederen Kleinstadtteppich gekehrten Konflikte, ihr Unverständnis untereinander, füreinander. Bowdens Familie ist letztlich ein ebenso löchriges Konstrukt wie das Gesetz, das Bowden beugt und auf das er sich gleichzeitig beruft.

Scorsese greift auf Bernard Herrmanns Originalmusik aus der Erstverfilmung zurück und reichert sie u.a. mit Guns N‘ Roses („Patience“) und The Cramps (deren Jack-Arnold-Hommage „The Creature From The Black Lagoon“) an, was sich erstaunlich gut macht und womit man sich noch einmal vor dem Original verbeugt. Die 1990er wurden eine Dekade der harten, an bestimmten Grundfesten der westlichen Gesellschaften rüttelnden psychologischen Thriller – und Scorsese war mit seiner auch mit einem Monolog Danielles aus dem Off endenden „Kap der Angst“-Neuinterpretation von Anfang an ganz vorn dabei.

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