Bis 1991 hatte Martin Scorsese so ziemlich alle Genres durch, ein schnörkelloser Psychothriller fehlte ihm allerdings noch. So knöpfte er sich den Klassiker “Ein Köder für die Bestie” vor und lieferte mit “Kap der Angst” ein Remake ab, das größtenteils seine eigenen Wege geht und das Vorbild eher liebevoll zitiert als imitiert.
Schließlich schreiben wir die 90er und der damalige Verrückte Robert Mitchum erschreckt heute keinen mehr, ebenso wie das traute Familienleben der 60er naiv erscheint. Deshalb befindet sich in “Kap der Angst” die Familie um Anwalt Samuel Bowden (Nick Nolte) bereits im Zerbrechen und durchlebt alle typischen Abnutzungserscheinungen einer amerikanischen Durchschnittsfamilie: Der Vater geht fremd, die Frau ist sexuell unbefriedigt, die pubertierende Tochter lehnt langsam auf und zu allem Überfluss hat es auch noch der Vergewaltiger Max Cady (Robert de Niro) auf sie alle abgesehen, da er 14 Jahre im Knast gesessen hat, weil Bowden damals ein strafmilderndes Gutachten unterschlagen hat.
Wie ein starkes, wildes, aber intelligentes Tier schleicht sich Cady nun in die nicht mehr vorhandene Familienidylle der Bowdens, die eh schon genug Probleme am Hals haben. Die Angst der Familie überträgt sich nahtlos auf den Zuschauer, was nicht zuletzt an den Identifikationsmöglichkeiten mit den Familienmitgliedern liegt, von denen Sam aufgrund seines Vorgehens in der Verurteilung Cadys ins Herz schließt, obwohl dieser Schritt nicht seinem Berufskodex entspricht, aus ethischen Gründen jedoch völlig nachvollziehbar ist.
Leider zeugte Herr Anwalt ein unausstehliches Gör in Gestalt von Juliette Lewis, der ich zusammen mit den Autoren die Schuld gebe, dass die Tochter dermaßen auf den Geist geht, dass man sie permanent totprügeln möchte. Das liegt nicht nur am debil-schüchternen Lolitagrinsen und am pausenlosen Rumgehampel, sondern auch am IQ und am Alter, das permanentes Widersprechen und Pseudo-Rebellion gegen die Eltern mit sich bringt. Ein Charakter, der eine Beleidigung für jeden halbwegs denkenden Zuschauer darstellt, was es noch unverständlicher macht, Frau Lewis für Golden Globe und Oscar zu nominieren.
Eher verdient hätte die beiden Preise schon de Niro, der ebenfalls nominiert war, letztendlich jedoch leer ausging. Mal wieder bereitete er sich akribisch auf seine Rolle vor, sprach mit echten Vergewaltigern und legte Muskelmasse zu, um bedrohlicher zu wirken. Das Ergebnis ist eine erschreckende Performance, die wohl zu den besten Leistungen seiner Karriere gehört. Vom subtilen Spiel eines Robert Mitchum ist de Niro dabei weit entfernt, der Max Cady aus dem Remake ist eine wirkliche Bestie mit nur einem Ziel: Rache. Seine Show ist zum Fürchten, unfreiwillig komisch sind allerdings manchmal seine Bibelzitate. Überhaupt spielt Scorsese hier gerne mit christlicher Symbolik, vor allem beim furiosen Finale steigert sich Cady zu einer gottähnlichen Überfigur, furchteinflößend und anscheinend unzerstörbar.
“Kap der Angst” ist aus diesem Grund und wegen der überzeichneten Charaktere nicht unbedingt glaubwürdig, jagt aber dennoch einen Riesenschrecken ein und ist beim ersten Mal unerhört spannend. Von der eher subtilen Dramaturgie des Originals (Mitchum und Peck haben übrigens Gastauftritte) hat sich Scorsese weit entfernt und entfacht einen ganz auf de Niro zugeschnittenen Psychothriller, dessen Drehbuch an manchen Stellen leider alles andere als hochklassig ist. Deshalb kann das Remake auch nicht als Genreklassiker gelten, sondern nur als ordentlicher Thriller.