Deutschland hat anscheinend nur wenige spannende Geschichten zu erzählen, wenn es um historische Ereignisse geht, vor allem wenn man um das Kinoformat mit Breitenwirkung bemüht ist - für TV-Zweiteiler reichen selbst Katastrophen nicht mehr aus, es müssen Behelfsplots her.
Aber neben der NS-Zeit ist der „deutsche Herbst“ vor 30 Jahren und die Geschichte der Terrorgruppe „Rote Armee Fraktion“ noch das größte Trauma, dessen sich ein Filmemacher annehmen kann.
Doch bisher waren die Filme, die sich mit diesem Thema auseinander setzten entweder sperrige Nischenfilme oder Arthausware, die psychologisch zu ergründen suchten, was durch den Tod vieler Beteiligter und der dazu gehörenden Umstände nicht mehr definitiv festzustellen war.
Daß sich Bernd Eichinger nun an dem Bestseller von Stefan Aust versucht hat, liegt nicht zuletzt daran, daß inzwischen eine neue Generation herangewachsen ist, denen die wirklichen Dimensionen der damaligen Ereignisse maximal bruchstückhaft bekannt sind; man könnte sogar vermuten, daß das allgemeine juvenile Desinteresse an politischen Themen im Kino und in der Gesellschaft von breiter blanker Unwissenheit zeugt.
So ist denn vielleicht die Entscheidung Eichingers zu verstehen, die Vorlage des Spiegelredakteurs so zu nehmen, wie sie sich darstellt, nämlich als chronogische Aneinanderreihung von Ereignissen, Dokumenten, Aussagen und Zeitzeugenberichten, sorgfältig angerichtet von dem Regieexport Uli Edel, der jedoch an seine frühen Erfolge („Christiane F.“) und letztmaligen Schlagzeilen („Letzte Ausfahrt Brooklyn“) in den Vereinigten Staaten künstlerisch nie anschließen konnte und eine Art Lohnregisseur für Unterhaltungsware war, solide aber unaufregend.
Edel ist ein echter Zeitzeuge der 68er-Bewegung, war bei den Studentenunruhen dabei und verstand die Chance, eine Art persönlicher Aufarbeitung aus eigenen Erfahrungen zu inszenieren und sein unaufdringlicher Stil tut dem Film schlußendlich auch gut, doch was Aust und Eichinger als Skriptautoren wie angesprochen aus dem überdetaillierten Dokument herausdestilierten, ist zumindest diskutabel.
Nicht, weil in „BMK“ eine besonders komplexe oder kontroverse politische oder psychologische Position zu den Geschehnissen eingenommen wurde, sondern gerade weil man das Gegenteil gemacht hat.
„Der Bader Meinhof Komplex“ stellt sich in seiner jetzigen Form vielmehr als eine biedere Szenencollage mit Kolportagecharakter dar, eine simple Nachstellung von Knotenpunkten der Geschichte, dessen einzige „komplexe“ Ableitung des Titels seine Unübersichtlichkeit in Sachen Handlungsstränge ist.
Das Autorenduo schlägt einen weiten Bogen, von den Studentenprotesten über die Demos, die Polizeigewalt, die Anschläge bzw. Morde an Dutschke und Ohnesorg bis zur Formierung der ersten terroristischen Zelle samt ihrer Bombenanschläge. Von da an geht es weiter, bis die Staatsmacht, angeführt von dem Sonderermittlungsleiter Horst Herold, zurückschlug und die Mitglieder einer nach dem anderen ins Gefängnis brachte, worauf der Hydra RAF eine zweite Generation Köpfe nachwuchs, die die Staatsgewalt so lange mit Entführungen und brutalen Morden auf die Probe stellte, bis es im Gefängnis Stammheim schließlich zum Exzess kam.
Damit stauchen sie ein ganzes Jahrzehnt in einen zweieinhalbstündigen Film, doch was dabei herauskommt, ist eine brave, belegbare Aneinanderreihung der unterhaltsamsten oder aufregendsten Szenen und Ereignisse, die weder großartige Wertungen, noch motivatorische Schlüsse zulassen.
„BMK“ ist ein Bilderbogen geworden, eine geschichtliche Dokumentation in Spielfilmform, bei der der Kommentator ausgespart wurde, stattdessen für die Bild- und Galileoliebhaber das Wichtigste in Kürze zusammengefaßt wurde, wobei die Autoren peinlichst genau darauf achteten, daß auch wirklich jeder im weitesten Sinne Beteiligte wenigstens einmal durchs Bild huscht.
Da können sich die historisch Unbeleckten dann freuen, daß sie alles in einer schulisch mundgerechten Form noch einmal zurechtgekaut bekommen, aber wieso und warum das alles geschah, welche Widersprüche sich ergaben und wie sich wirklich alles entwickelte, bleibt im Dunkel.
Um nur ein paar Beispiele zu nennen: die politischen Motivationen der Gruppenmitglieder bleiben auf die Anschläge und das Verhalten der Presse begrenzt, Gudrun Enslin erscheint als agitatorisches Miststück, Baader als cowboyhafter Boheme, Ulrike Meinhof als kompliziert vergeistigte Journalistenhusche. Später arrangiert sich das beim jourdanischen Kampftraining als Reisegruppe kindlicher Phantasten, denen es in der Heimat bisher viel zu gut ging und mündet in zunehmend wirres Gesabbel politischer Pamphlete und aggressiver Gerichtsbeiträge.
Natürlich hat sich alles so zugetragen, aber da sich hier nicht die kleinste Spekulation erlaubt werden soll, wirken die Veränderungen sprunghaft und ungeklärt. Bruno Ganz mümmelt sich als alter Kriminalhase Horst Herold durch geradezu prophetische Szenen, daß das alles ja bestimmt noch viel schlimmer werden würde und orakelt ganz neue Ermittlungsmethoden herbei, während die ungläubigen Kollegen die Besprechungszimmer vollquarzen, wobei man die groben Ermittlungsfehler während der Schleyer-Entführung der Einfachheit halber ganz streicht.
Hier machen es sich alle Beteiligten zu einfach: die RAF, das war ein Haufen gewaltbereiter Wirrköpfe; die Opfer waren eigentlich alle ganz nett und abgesehen von ein paar motivationsarm prügelnden Polizisten der 60er hatten sie alle weder Motiv, noch echtes Feindbild.
Sämtliche Politiker wurden einfach gestrichen (der Einfachheit auch gleich noch unser Ex-Innenminister Schili, der damals auf der RAF-Seite als Anwalt tätig war, aber dann zu leicht mit dem hier etwas zu durchgeknallt wirkenden Horst Mahler, seines Zeichens inzwischen marodierender Antisemit in Verbindung gebracht werden konnte.
Ein paar Jahreseinblendung helfen bei der Orientierung und ja, die Abfolge ist ganz übersichtlich gestaltet, aber jede bessere Doku auf „Phoenix“ bietet mehr Analysen und Hintergründe.
Und daß der Film (wie das Buch) mit dem Tod der drei Stammheiminsassen und Schleyers Ermordung dann praktisch abrupt aufhört, macht die noch 15 Jahre länger dauernde Geschichte dieser Terrorgruppe und ihrer Verfolgung praktisch zur Farce.
Da paßt es auch gut ins Gesamtbild, daß man sich entschied, jede noch so kleinste Rolle mit relativ bekannten Namen zuzukleistern, wobei bisweilen man als Zuschauer angehalten ist, nicht nur über die Darstellerin in den 20-Sekunden-Auftritten zu rätseln, sondern auch über die Rolle, deren Namen man bei einigen erst im Nachspann erfährt.
Sicherlich, die Hauptdarsteller tun ihr Bestes, um aus den schablonenhaften Szenen eine Art Charakter zu gestalten, doch wie sie das Problem angegangen sind, war schon beim Kinostart interessanter als die Geschichte, die es zu erzählen gab.
Offenbar war man bemüht, nicht allzu große Sympathien oder Verständnis für die Terroristen aufkommen zu lassen und doch ihre Motivationen aufzuzeigen, doch die Charaktere bleiben ein großes Rätsel. Baader erscheint als Querulant aus dem Kommunenbereich; der etwas kaputtmachen muß, ohne einen Bauplan zu haben; bei Ensslin wird alles mit dem kirchlichen vermufften Elternhaus erklärt (oder nicht) und Meinhof scheint in einer gesicherten Journalistenexistenz der verstaubten Nachkriegsjahre einfach nur angeödet gewesen zu sein. Mehr Charakterzeichnung gibt es denn auch nicht, denn die Ereignisfülle läßt das nicht zu – man mag gar nicht spekulieren, was aus dem Film hätte werden können, wenn man „BMK“ in zwei zweistündige Filme geteilt hätte – aber das wäre wohl dann doch wieder zuviel Aufmerksamkeit gewesen.
So ist Edel dann doch nur eine perfekt produziert und aufwändig gespielte Yellow-Press-Version des Stoffes gelungen, ein Readers-Digest für alle, die sich noch erinnern oder endlich mal informiert werden möchten.
Das ist deutsche Geschichte auf Hauptschulniveau, nicht zu bunt, nicht zu düster, aber wild wars damals.
Es mag ja ganz nett sein, daß man die Kopflastigkeit eventueller Schuldfragen zugunsten des Massenappeals aufgegeben hat, aber die Infantilisierung des Baader-Meinhof-Komplexes auf eine bewegte Fotostrecke wird diesem düsteren Kapitel deutscher Geschichte leider auch nicht gerecht.(4/10)