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Einen Film über eine Zeit zu drehen, an die ein Großteil der Betrachter ganz konkrete Erinnerungen hat, birgt erhebliche Gefahren für die Filmemacher. Schon bei „Das Leben der Anderen“ über die Stasi-Vergangenheit in der DDR war die Vorsicht spürbar, weder das Leid der Opfer zu verharmlosen noch Pauschalvorwürfe über die Täter zu erheben. Während dort die eigentliche Story und die handelnden Personen fiktiv blieben, dokumentierte Stefan Aust in „Der Baader-Meinhof-Komplex“ die tatsächlichen Ereignisse in der BRD zwischen 1967 und 1977 bis zum Tod der Protagonisten. Der Begriff „Komplex“ in Austs Titel umfasst in seiner Doppeldeutigkeit die wesentlichsten Punkte – zum Einen die Fülle an Ereignissen innerhalb dieser 10 Jahre, zum Anderen die neurotische Reaktion des Staates auf diesen "Angriff von Innen".

Auch wenn der Film mit einer Lauflänge von 150 Minuten üppig ausgefallen ist, so muss Regisseur Uli Edel von Beginn an auf das Tempo drücken, um auch nur annähernd alle wichtigen Vorgänge in zeitlich korrekter Reihenfolge unterzubringen. Explodierende Bomben, Verhaftungen von Terroristen und Attentate mit im Kugelhagel sterbenden Menschen reihen sich mit zunehmender Spielzeit atemlos aneinander und erwecken den Eindruck eines Dauerangriffs auf den Staat. Man spürt, dass die Macher um Produzent und Mitdrehbuchautor Bernd Eichinger kein Opfer vernachlässigen wollten. Damit bewahren sie zwar deren Andenken und vermeiden Kritik von der Seite der Angehörigen, aber sie verändern die Atmosphäre, den diese Geschehnisse damals in der BRD hinterließen.

Der heutige Betrachter wird von der Wucht der dauernden Angriffe getroffen, als wenn er einem schnell geschnittenen Actionfilm beiwohnt. Die Menschen damals wurden in für sie unvorstellbarer Weise aus ihrem funktionierenden Alltag gerissen. Die jahrelangen Phasen (etwa zwischen Mai 1972 und Februar 1975) vermeintlicher Ruhe, die zwischen den Attentaten lagen, und die parallel erfolgten Verhaftungen ließen das Gefühl entstehen, das die Angelegenheit beendet wäre und verstärkten damit den Schock, der durch die dann im Jahr 1977 massiert auftretenden Ereignisse seinen Höhepunkt fand.

Gerade in der Phase, während der Einzelhaft und des Hungerstreiks 1974 wurden die Schlagzeilen keineswegs von Terrorakten bestimmt, sondern nur vom Umgang mit den Inhaftierten. Diesen Eindruck erweckt der Film durch seinen ständigen Aktionismus niemals und wenn er einmal einen Beamten sagen lässt, dass die Sache mit der Verhaftung der Anführer erledigt sei, dann schüttelt der Präsident des Bundeskriminalamtes Horst Herold (Bruno Ganz) nur weise den Kopf – und wird im nächsten Moment schon mit einem neuerlichen Attentat bestätigt. So einfach durfte man sich das in der Realität nicht vorstellen.

Ähnlich eindimensional werden die Hintergründe der Entwicklung zur RAF erzählt. Die ersten Szenen sind in ihrer Plakativität sehr beeindruckend, wenn schonungslos gezeigt wird, wie die Polizei - anstatt die studentischen Protestierer beim Schah-Besuch in Berlin zu schützen – selbst auf diese einknüppelt und damit die Gewalt eskalieren lässt. Mit dem Ergebnis, dass der Student Benno Ohnesorg durch eine Kugel aus einem Polizeirevolver stirbt. So emotional aufrüttelnd diese Szenen - wie auch die des Attentats auf Rudi Dutschke (Sebastian Blomberg) - gelingen, so wenig sagen sie über die wirklichen Gründe dafür aus, warum sich ausgerechnet aus der ersten Generation nach dem Krieg, die in das Wirtschafts-Wunderland hineingeboren wurde, Menschen rekrutierten, die ihren eigenen Staat angriffen. Hier werden nur wieder die üblichen causalen Zusammenhänge hergestellt, in deren Mittelpunkt natürlich auch nicht der Vietnam-Krieg fehlen darf. Der Film versucht mit einer Vielzahl solcher internationalen Szenen aus den späten 60er Jahren (Verhaftung und Hinrichtung von Che Guevara u.a.) Tiefe zu erzeugen, bestärkt damit aber nur die These, dass die Wut ihren Ursprung in dieser Zeit hatte und verdrängt damit die langfristigen historischen Zusammenhänge in Deutschland.

Wer erlebt hat, wie schon in den frühen 70er Jahren - und damit lange vor den Geiselnahmen und Personenattentaten ab 1975 - der Begriff „Baader-Meinhof“ überall im Land bekannt war, der weiß, wie tief ins Mark hier eine Gesellschaft getroffen wurde. Leider sagt der Film nichts über den damaligen allgemeinen Zustand dieser Gesellschaft aus. Die hier in Zusammenhang gebrachte 68er-Studentenbewegung fand nur in wenigen Großstädten statt und erzeugte bei den meist weit entfernt lebenden Unbeteiligten hauptsächlich Abscheu gegenüber Studenten und denen, die man auf Grund ihrer Optik dafür hielt. Überwiegend hatte sich das Land nach dem Krieg auf die Wiederherstellung der Wirtschaft und Infrastruktur konzentriert und war noch weit davon entfernt Lebensformen zu akzeptieren, die sich diesem Diktat nicht unterordneten.

Die Aggression, die einer Person zuteil wurde, die schon optisch aus der Allgemeinheit ausscherte, ist heute kaum noch vorstellbar. Und wenn - wie in diesem Fall - der Staat zudem noch angegriffen wurde, reagierte dieser mit einer Wut, die selbst Schwerverbrecher nicht zu spüren bekamen. Genau in dieser Reaktion, die weit über eine „normale“ Verbrechensbekämpfung hinausging, lag der „Komplex“ verborgen, den Aust zu recht in seinem Titel erwähnt. Doch der Film lässt die Auswirkungen, die Jeden trafen, der auch nur die geringste Nähe zu einem der Beteiligten aufwies, komplett außen vor. Stattdessen wird trotz des fulminanten Beginns die Rolle der Strafverfolger insgesamt verklärt, in dem man den sehr souveränen und sympathisch wirkenden Horst Herold ins Zentrum des Geschehens wirft.

Im Bemühen, möglichst keine Angriffsflächen zu bieten bleibt der Film bei den scheinbaren Fakten, ohne zu erwähnen, dass sich auch Austs Buch gewisse journalistische Freiheiten leistet und keineswegs umfassenden Anspruch auf die sogenannte Wahrheit erheben kann. Der Film bemüht sich in diesem Zusammenhang darum, die Diskrepanz zwischen der Außendarstellung der RAF, die immer wieder die Folterung ihrer Mitglieder in der Einzelhaft anklagte (wie übrigens auch Amnesty International), und der tatsächlichen Knastverhältnisse, die ab 1974 eine Zusammenlegung vorsah, aufzuzeigen. Auch die späteren Selbstmorde werden mit dokumentarischem Touch demonstriert, indem die Kamera jeden Suizidfall einzeln festhält, um damit der Mär vom Mord an den Inhaftierten zu widersprechen. Doch nur weil die RAF aus taktischen Gründen ihre eigene Version verbreitete, bedeutete das noch nicht, dass sich deshalb die staatliche Gewalt angemessen verhalten hätte.

Der „Baader Meinhof Komplex“ wagt sich nicht wirklich in die Tiefe dieser Auseinandersetzung, setzt nur wenige Zeichen für eine mögliche Wut und damit Grund für die Gewaltausübung, spart die noch sehr im konservativen Denken verhaftete bundesrepublikanische Gesellschaft aus und zeigt einen Polizeiapparat, der nur zu Beginn falsch reagiert und mit der Zunahme der terroristischen Bedrohung das macht, was eben zwingend notwendig ist. Es wird nicht hinterfragt, ob man die Spirale der Gewalt, die durch die „2.Generation“ deutlich hochgedreht wurde, mit einer anderen Taktik hätte verhindern können.

Diese Fragen sind nur schwer zu beantworten und eine eindeutige Lösung ist kaum vorstellbar, aber der Film macht es sich zu einfach, indem er nur die Meinung weiter transportiert, die sich in den letzten Jahrzehnten manifestiert hat - das es sich um gewalttätige Terroristen handelt, die wie Verbrecher und Mörder zu behandeln sind, und denen man keine Intentionen zugestehen sollte, die deren Taten auch nur im Geringsten entschuldigen. Diesen Eindruck erweckt der Film nicht erst mit Brigitte Mohnhaupts (Nadja Uhl) letzten im Film gesprochenen Worten „Seht sie nicht so, wie sie nicht waren“, sondern mit der gesamten Inszenierung.

So begabt die vielen bekannten deutschen Darsteller auch sind und so nah sie dem „Vorbild“ optisch kommen, so ist eine gewisse Glätte nicht zu übersehen. Zu hübsch und jugendlich wirken fast alle Beteiligten, nur Martina Gedeck als Ulrike Meinhof kann auch das Verzagte und Unsichere, das Hässliche und zuletzt Unfähige in ihrer Interpretation herüber bringen. Etwas das einen Moment zum Nachdenken darüber zwingt, warum eine solche Frau zu diesen Mitteln griff. Johanna Wokalek als Gudrun Ensslin und Moritz Bleibtreu als Andreas Baader wirken dagegen wie Prototypen der flippigen 68er Generation. Freie Liebe, Nacktheit, Emanzipation, wilde Autorasereien und schicke Klamotten verbinden sich dank aggressiver Ablehnung der „reaktionären“ Gesellschaft zu einem explosiven Cocktail. Schon die Sprache ist nicht authentisch, indem sie heutige Anglizismen verwendet und Bezeichnungen wie „krass“. Damit vermittelt der Film auch für ein heutiges Publikum eine Lockerheit, die dem gesamten Geschehen ihre Ernsthaftigkeit abspricht.

Es wird dabei übersehen, dass Gudrun Ensslin 1967 schon 27 Jahre alt war und viele Jahre politisch aktiv handelte. Die Frustration, die letztlich zu der Überzeugung führte, gewalttätig zu werden, und die sich durch die Begegnung mit Andreas Baader konkretisierte, hatte einen langen Vorlauf, aber Zeit bleibt während des gesamten Films ein kostbares Gut. Keine Frage, die Gewalt, die zum Tod vieler Menschen führte, ist niemals gerechtfertigt und kann zu keinem wie auch immer gearteten Ziel führen, aber auch eine Figur wie Rudi Dutschke, der seine Kritik an der Gesellschaft friedlich und in Worten äußerte, wird hier nur als Zeuge des Zeitgeistes miteinbezogen, ohne das seine Ideen als Gegenentwurf ernst genommen würden. Im Gegenteil – wenn er an dem Sarg von Holger Meins (Stipe Erceg), der nach einem Hungerstreik stirbt, die Faust hebt, wirkt er eher wie ein Relikt des Unverbesserlichen. Der Film kann nicht im Geringsten ein Abbild des damaligen Lebensgefühls vermitteln, das Menschen wie Dutschke oder Heinrich Böll zu solchen Solidaritätsbekundungen bewegte. Die Komplexität, die der Filmtitel andeutet, kann die filmische Umsetzung niemals erfüllen.

Trotz dieser erheblichen Mängel ist „Der Baader-Meinhof-Komplex“ kein schlechter Film geworden. Das liegt nicht nur an der professionellen Machart und den guten Schauspielerleistungen, sondern vor allem an der Tatsache, dass er ein Thema wieder zum Leben erweckt, dass noch keineswegs verarbeitet wurde. Die Oberflächlichkeit und der mangelnde Mut des Films, unbequeme Fragen zu stellen, verhindert aber, dass der Film über die allgemeine Ungewissheit hinaus einen eigenen Diskussionsbeitrag bieten kann (3,5/10).

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