Am letzten Tag des 1. Weltkriegs kommt Benjamin Button als Säugling mit dem Aussehen und Gebrechen eines Greises zur Welt, wird von seinem Vater ausgesetzt und altert im Laufe der Zeit rückwärts. Er lernt Daisy kennen, mit der ihn auch in Jahren der Trennung, während Benjamin im 2. Weltkrieg kämpft, eine enge Freundschaft verbindet. In der Mitte ihrer beider Leben begegnen sie sich schließlich wieder...
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Das Leben des Benjamin Button ist nicht nur ein seltsames, vor allem ist es der seltene Fall eines Films, dem es gelingt, die Emotionen seines Publikums nicht mit gängigen Stilmitteln zu manipulieren, sondern sie wirklich zu erzeugen. Zwar ist er nicht unbedingt die marketingtechnisch propagierte ganz große Liebesgeschichte, denn tatsächlich spielt die Liebe als solche in den zentralen Motiven des Films nicht unbedingt die gewichtigste Rolle. Sie ist mehr ein Teil vieler gleichwertiger Eindrücke, Erlebnisse und Gefühle, die sich der Titelheld von der Welt und seinen Weggefährten lehren lässt und durch sie und von ihnen erfährt. Themen wie Vergänglichkeit, des Begrüßens und des Abschiednehmens, die Bürde des Andersseins und dessen Konsequenzen, all dies wird mit feinfühliger, unaufdringlicher Art und in würdigem Umfang am Beispiel des Benjamin Button expliziert. Viel Zeit lässt David Fincher der Geschichte und den Protagonisten, bricht dabei nie in ein hastiges Heruntererzählen oder hinlänglich bekannte Strukturen aus. Fincher gewährt seinem Film den selben Reifungsprozess, den auch sein Held durchläuft.
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Der alt geborene Benjamin Button ist dabei weniger Antrieb des Geschehens, er ist zumeist dessen passiver Teilnehmer. Von den Geschehnissen rund um ihn her lässt er sich füllen wie ein Gefäß und berichtet darüber im Off-Kommentar. Dies markiert einen der größten Unterschiede zu Forrest Gump, mit dem Der seltsame Fall des Benjamin Button gerne verglichen wird. Denn während Gump zwar ungewollt, aber dennoch wesentlich aktiver und unmittelbarer an zeitgeschichtlichen Geschehnissen und Epochen teilnimmt, bleibt Benjamin stets Beobachter, absorbiert mehr, als er freisetzt, wird im Körper eines Alten mit dem Geist eines Jungen eher geleitet, statt zu lenken. Vielleicht weil er ahnt, welche Entscheidungen und Verluste auf ihn zukommen, sobald sein geistiges das physische Alter überholt. So sind es die Begegnungen und so ist es die (Um)Welt, aus denen Benjamin seine Lehren zieht und dies wird von Fincher meisterhaft in Szene gesetzt.
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Dabei verlässt sich der Regisseur nicht auf Konventionen. Keine klassischen Antagonisten, die dem Protagonisten Böses wollen, keine der klassichen unmöglich zu überwindenden äußeren Umstände, mit denen er sich konfrontiert sieht. Als Benjamin beispielsweise die kindliche Daisy vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verlässt und auf einem Schlepper auf hoher See in eben jenen verwickelt wird, gerät sein Leben zwar in Gefahr. Doch als die beiden Jahre später wieder zueinander finden, altersmäßig einander angenähert, ist dies nicht der entscheidende Faktor ihrer vorübergehenden Entzweiung. Es ist mehr die Welt, in die Daisy sich begeben hat, in der sie sich ihren Traum verwirklicht, Tänzerin zu sein. Eine Welt, in der, wie er feststellen muss, Benjamin keinen Platz findet und in der Daisy nicht bereit ist, ihm ernsthaft einen anzubieten. Obwohl sie sich stets verbunden bleiben, sprechen beide in Bezug auf Dritte von „Liebe", so dass die Geschichte ihnen mehr gestattet, als sich bloß anzuschmachten und schließlich doch zusammenzukommen. Umso wahrhaftiger und tiefgehender wird dadurch ihre Bindung, denn letztlich können beide das Ausmaß ihrer Liebe zueinander nur an den Verlusten festmachen, die sie auf dem Weg dorthin und darüber hinaus erleiden. Eine der emotional berührendsten Szenen findet statt, als Daisy durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle aus ihren Träumen gerissen wird, Benjamin ihr seine Hilfe anbietet und sie unfähig ist, diese anzunehmen. In einer brillanten Montage zeigt Fincher den Hergang auf und macht aus dem äußeren Umstand eben nicht das große Hindernis, sondern die wohl einzige Möglichkeit, Benjamin und Daisy zusammen zu führen. Das größte Hindernis bleibt jedoch die Folge des umgekehrten Alterungsprozess und aus der Originalität dieser Situation schafft die Geschichte wunderbar unverbrauchte und packende Momente.
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Der seltsame Fall des Benjamin Button ist großes, gefühlsgeladenes Kino, beinahe bedächtig erzählt, dabei von ungeheurer visueller und kreativer Energie. Die Special Effects, die aus Brad Pitt einen Greis machen, aber auch das New Orleans des frühen 20. Jahrhunderts wieder auferstehen lassen, sind phänomenal gelungen und im besten Sinne als unterstützendes Element der Geschichte eingesetzt. Über die emotionale Themenvielfalt und Reichhaltigkeit in deren Umsetzung, sowie weitere erwähnenswerte Aspekte des Films ließe sich seitenweise schreiben, vieles wird einem wohl auch erst deutlich werden, wenn man ihn eine längere Zeit hat wirken lassen, beziehungsweise, wenn man ihn ein zweites Mal sieht. Die Balance zwischen tiefer Melancholie und ehrlicher Lebensfreunde, zwischen Tragik und Komik und die Symbiose zwischen Geschichte und optischer Stilistik gelingt David Fincher in einer Perfektion, wie man es lange nicht mehr gesehen hat.
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