Man stelle sich vor, man würde einen Film sehen, der drei Stunden lang eine wunderschöne Rose beim Verwelken zeigt, sonst nichts. Das ist ungefähr das Gefühl, das ich bei Betrachtung von Benjamin Button hatte.
Mag ein bißchen komisch klingen, da wenn überhaupt man der Blume vom verwelkten zum Blütezustand und dann zum Sprößling zuschauen müßte, mag mancher meinen. aber das ist nicht mein Punkt.
Es geht in diesem Film fast drei Stunden lang um Einsamkeit, das Loslassenkönnen, die Unmöglichkeit, sich an irgend etwas festzuhalten für längere Zeiten, sei es materieller Natur sei es eines Zustandes.
Es ist ein tiefmelanchlosches kleines Filmchen, das hier erzählt wird mit dem Budegt eines Hollywoodblockbusters.
Letzterer Punkt wird Benjamin Button sehr oft zum Vorwurf gemacht: Seelenlos sei er, ein Special Effekt Gewitter ohne tiefe Story, ohne Sinn.
Doch das ist nur die Spitze des Eisberges: Wenn man das Haar in der Suppe finden will, dann wird man es auch finden. Und diese Special Effects braucht Benjamin Button mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, um seine Story kohärent zu Ende erzählen zu können.
Vergleiche mit Forrest Gump werden herangezogen, mal zum Loben, mal zum Kleinmachen. tatsächlich gibt es etliche Parallelen, vor allem in der Figur der weiblichen Hauptrolle in ihren Jugendjahren, aber es sind grundsätzlich nur tangierte Parallelen, künstlich forciert durch das Wissen um die Tatsache, dass der Drehbuchautor derselbe ist.
Ist Forrest ein einfacher Mann, der alles drumherum nicht so ganz versteht, ist Benjamin ein leiser Beobachter, der sehr wohl intelligent genug ist, alles mitzubekommen. Ist Forrest wegen seinem einfachem Gemüt allseits beliebt, so suchen die menschen hier Benjamins Nähe, weil er durch sein Schicksal nun mal eine enorm reife Ausstrahlung hat. Ein leiser reifer Junge mit der Ausstrahlung eines guten Zuhörers.
Forrest Gump ist im gegensatz zu Benjamin Button auch viel stärker der realität verschrieben, hinterlistig und teilweise sehr schwarzhumorig, Benjamin Button ist dagegen ein melancholisches Märchen für Erwachsene mit kaum Bezügen zur historischen Realität. Das ist umso erstaunlicher als ausgerechnet David Fincher hier Regie führt, der eigentlich die dunkle Seite jeglichen Genres perfektionieren kann.
Und Fincher gelingt es, zu jedem zeitpunkt diesen Fallen auszuweichen und seine Geschichte weitaus intelligenter zu erzählen als es zunächst den Anschein haben mag.
Nur drei Beispiele:
1. Benjamin noch richtig jung mit dem Aussehen eines greises freundet sich mit einem Mädchen an, sie spielen in einer selbstgebauten Burg herum. Jetzt könnte man zwei wege beschreiten: Es kommt zum Kuss - Skandal!!! Es kommt fast zum Kuss, man wendet verschämt sich voneinander ab - Kitsch!!!
Skandal ist übertrieben, aber einige Sittenwächter würden auf den Plan treten und dem Film vorwerfen, krank zu sein. Dass Benjamin im Geiste vielleicht sogar jünger als das Mädchen ist, und gar nicht weiß, was vor sich geht, würde total untergehen. Finchers Lösung: Die Oma des Mädchens kommt vorbei, schickt das Mädchen weg und maßregelt Benjamin, dass dieser sich schämen sollte. Zurück bleibt ein ratloser Benjamin Button. Sensationell, der Zuschauer ist mehr als Zufrieden.
2. Benjamins Aussöhnung mit seinem Vater, muß man gesehen haben.
3. Aus dem Tagebuch fehlen ein paar Seiten. Wenn das nicht großartig ist, dann weiß ich auch nicht.
Es sind sicherlich nur ein paar Details, aber es ergibt ein großes Ganzes, das wirklich einmalig ist.
Brad Pitt spielt weltklasse, vor allem als Kind ist er eine grandios anzuschauen. Möglicherweise wird er nie einen Oscar kriegen, weil er einfach zu gut aussieht und ihm viele Schauspielern nicht zutrauen mögen. Aber es ist wirklich groß, wie er spielt.
Da hat teilweise cate Blanchet, mit der er schon in Babel zusammen brillierte teilweise das Nachsehen.
(Kleiner Exkurs: Man muß derzeit Warner Brothers ein großes Lob aussprechen, dass sie es sich als Major Studio trauen, solche Filme mit schöner Regelmäßigkeit in die Kinos zu bringen: Filme, die potentiell nicht gerade Blockbuster-Qualitäten haben, da sie etwas anspruchsvoller sind und dennoch den Regisseuren freie Hand lassen, ihre Visionen auf Zelluloid zu bannen. Und es ist umso schöner zu sehen, dass sie Erfolg damit haben: Batman wurde erwachsen gemacht, Benjamin Button und demnächst sogar Watchmen. Dass es auch anders geht, zeigt ja beispielsweise Fox immer wieder mit verstümmelten Filmen, die von den Produzenten zu Ende gedreht werden, weil die (wirklich namhaften) Regisseure entmündigt werden.)
Zurück zu Button:
Als ich aus dem Kino kam, hatte ich das Gefühl, dass der Film nicht im Entferntesten anders gemacht hätte werden dürfen. Genauso und nicht anders mußte er sein.
Das ist sehr selten vorzufinden!!!
Dennoch einige Mankos müssen aufgezählt werden: Wie gesagt keine Suppe ohne Haar:
1. Dieser Film hat mit der zugrunde liegenden Geschichte außer einer vagen Grundprämisse und dem Titel rein gar nichts gemeinsam. Die Grundstory ist dermaßen zynisch, dass sie rein thematisch vom ersten Gefühl eher was für Fincher gewesen wäre. Das hier vorliegende Filmchen ist eher so wie Spielberg gerne seine Filme drehen würde, aber nie geschafft (zu keinem Zeitpunkt seiner Karriere) hat. Fincher gelingt es sogar ein typisches Spielberg-Ende zu suggerieren, es aber besser zu machen. Großer Respekt davor.
2. Im Grunde genommen ist die Grundstimmung dieses Films eine sehr melancholische und tieftraurige. Das allein ist kein Manko, aber das ist definitiv kein Guck-ich-mir-immer-an.
3. Der Film erwartet von seinen Zuschauern sehr viel Geduld und teilweise viel eigenes Mitdenken, also Anspruch. Auch das ist kein Manko, aber disqualifiziert Button ein bißchen als banalen Crowd-Pleaser.
Eine Bewertung ist daher sehr schwer in Zahlen faßbar, ich persönlich bin der Meinung einen modernen Klassiker gesehen zu haben, der es fast in Lean'sche Dimensionen packen könnte. Aber andererseits zu melodramatisch und seltsam ist er doch.
Kein typischer Fincher und kein typischer Pitt, aber was ist denn schon typisch bei diesen beiden?
8 Punkte (möglicherweise wird dies in Zukunft nach oben revidiert...)