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David Fincher beweist weiterhin Vielseitigkeit und Experimentierfreude, verlässt sich in seinem aktuellen Film aber doch zu sehr auf seine visuelle Brillanz, die den ehemaligen Werbefilmer seit seinem Kino-Debüt „Alien 3“ auszeichnet. Nach dem äußerst komplexen „Zodiac“, der vielerorts missverstanden und unzureichend gewürdigt wird, geht Fincher auf Nummer Sicher und liefert eine glanzvolle Empfehlung für die diesjährige Oscar-Verleihung. Mit jeder Einstellung strebt „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ nach Opulenz, nach großen Emotionen und einer bewegenden Liebesgeschichte. Leider versucht er diese Attribute allein durch die pompösen Bilder zu transportieren und vermisst es, seine Figuren hinreichend zu erforschen.

Als Zuschauer bleibt man allein, die Distanz zu den Charakteren ist unübersehbar – und da „Benjamin Button“ eindeutig ein Film fürs Herz sein soll und nicht für den Kopf stellt diese Oberflächlichkeit einen eklatanten Mangel dar. Das Drehbuch von Eric Roth weist viele Parallelen auf zu seiner Arbeit für „Forrest Gump“, auch hier handelt es sich um Literaturverfilmungen, die von ihrer Vorlage allerdings nur einen Torso verwenden und zu schwärmerischen, romantischen Epen umgedichtet wurden. Das mag in erster Linie nichts schlechtes sein, die Aufgabe eines Films besteht schließlich keinesfalls darin, sich seiner Vorlage zu verpflichten. Anders als bei „Forrest Gump“ funktioniert die Betrachtung einer ungewöhnlichen Lebensgeschichte hier aber nicht, was vor allem an der Einbindung amerikanischer Geschichte deutlich wird. Während der Zemeckis-Film seinen Protagonisten augenzwinkernd und überhöht durch diverse historische Schlüsselszenen irren lässt, versteift sich „Benjamin Button“ zu sehr auf seine grandiose Tricktechnik.

Benjamin Button (Brad Pitt) kommt als greises Baby zur Welt und verbringt seine Kindheit, vom Vater ausgesetzt nachdem die Mutter bei der Geburt verstarb, in einem Altenheim. Dort wächst er zu einem äußerlich alten und zunächst gebrechlichen alten Mann heran und sieht seine Mitbewohner laufend sterben. Doch Benjamin gewinnt mit der Zeit an körperlicher Form und wird zusehends jünger und kräftiger – eines Tages verabschiedet er sich von seiner alten Heimat, wobei es ihn unter andrem in den Zweiten Weltkrieg verschlägt. Über all die Jahre, in denen Benjamin zu einem körperlich jungen Mann heran gereift ist, bleibt die gleichaltrige Daisy (Cate Blanchett), die er im Altenheim kennen lernte als beide noch Kinder waren, seine große Liebe. Schließlich treffen sich die beiden unterschiedlichen Lebensläufe in der Mitte...

Hauptdarsteller Brad Pitt kann man nicht vorwerfen, lustlos zu spielen oder etwa fehlbesetzt zu sein – es ist die merkwürdig nachlässige Figurenzeichnung, die es versäumt, mehr als eine seltsame Lebensgeschichte erzählen zu wollen. Dabei wirken einige durchaus ergreifende Schlüsselszenen für sich, ohne sich aber wirklich zu einem Ganzen zu formen. Zu bemüht und obligatorisch ist die etappenhafte Abarbeitung der „wichtigsten Ereignisse“ im Leben, dabei fehlt aber die Chemie zwischen Cate Blanchett und Brad Pitt, deren Liebesgeschichte einfach nicht so zu Herzen geht wie sie gerne möchte. Auch Blanchett bleibt eher unterkühlt und zurückhaltend, kann ihre phänomenalen Fähigkeiten nicht so recht zum Ausdruck bringen.

Trotzdem bleibt der Film eine Enttäuschung auf hohem Niveau, was nicht zuletzt an der atemberaubenden Effekten liegt, die in den besten Momenten einen Hauch von Magie versprühen. Diesen spirituellen Aspekt der Grundidee schöpft Fincher leider nicht annähernd aus sondern verlässt sich zusehends auf die konventionell gestrickte Love-Story. Insgesamt steckt hinter der blendend schönen Fassade ein triviales Märchen, das vielleicht aber auch gar nicht mehr sein möchte als ein unkomplizierter Ausstattungsfilm. Denn prunkvoll ist nicht nur die exzellente Effektarbeit, auch die weichen Kamerafahrten, das edle Dekor und die aufwendigen Kostüme garantieren höchstes ästhetisches Niveau. So kann man „Benjamin Button“ als unterhaltsames Kinoerlebnis zum Staunen empfehlen und sicherlich auch genießen, aber das macht ihn letztlich auch gewöhnlich. Er bietet einfach zu wenig an und verliert sich mehr als einmal in redundanten Sequenzen, sodass die nötige erzählerische Konzentration fehlt für ein überlanges, fiktives Biopic.

Um nochmals „Forrest Gump“ als Vergleich heran zu ziehen: Hier verstand es Eric Roth bestens, die Hauptfigur in ihren historischen Hintergrund einzuordnen, hier bleibt die Kulisse nur schmückendes Beiwerk und Anlass für ausschweifendes Produktionsdesign. Zemeckis überzog seinen Film mit einer Zuckerschicht und einer schelmischen Ironie (was ja auch repräsentativ für das Gemüt der Hauptfigur ist), Fincher nimmt den Stoff stur ernst, lässt die bis zur Sterilität durchgeplante und blitzblanke Optik gnadenlos die Charaktere erdrücken.

Fazit: Angestrengter Oscarfilm, der gerne ein großes Epos wäre, insgesamt aber sehr schlicht ist und
keinen rechten Bezug zur Hauptfigur aufbaut. Der offensichtlich angestrebte lange Atem eines Meisterwerks fehlt dem Film leider, da kann er noch so hübsch aussehen.

5,5/10

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