1994 wurde §175 des Strafgesetzbuches abgeschafft. 1973 war er entscheidend verändert worden. Davor standen sexuelle Handlungen von Menschen des gleichen Geschlecht unter Strafe (ab 1973 galt das nur noch für Minderjährige). Das heißt, bis dahin (und zumindest theoretisch bis 1994) war es strafbar, Homosexualität auszuleben. In Westdeutschland. Hier, bei uns vor der Haustür.
Harvey Milk wurde 1977/78 in den Stadtrat von San Francisco gewählt - als erster bekennend homosexueller Politiker in den Vereinigten Staaten. Kurze Zeit später wurde er von einem anderen Stadtrat erschossen, weil er maßgeblich daran beteiligt war, dass ein Gesetz, dass zur Kündigung aller homosexuellen Arbeitnehmer an kalifornischen Schulen geführt hätte, per Volksentscheid abgelehnt wurde (hm, wenn das die AfD liest...).
Der Film zeichnet nun die Jahre 1970 bis 1978 nach und berichtet von dem Aufstieg Milks zum Schwulenaktivisten und Politiker. Der Stoff ist dabei (leider) so brisant, dass der Film praktisch nicht scheitern kann (gut, wenn jetzt Uwe Boll... äh, lassen wir das). Dazu kommt Sean Penn in die Hauptrolle, der die richtige Balance zwischen klischeeschwulen Attitüden (wohl an das Original angelehnt) wie Sprechweise oder Körpersprache und absoluter Ernsthaftigkeit findet. Sein Milk ist Aktivist, Optimist, unglücklich verliebt und trägt, weil er seine Homosexualität lange verborgen hat, teife Schuldgefühle mit sich herum. Milk wird in langen Beziehungen gezeigt, die aber nie ins Klischee abrutschen, die letzte Szene vor seinem Tod und ist eine wunderbar traurige Liebesszene mit seinem Ex am Telefon, die nicht lächerlich wirkt. Josh Brolin als Gegenspielerwirkt dabei sympathisch, aber gefangen in einem rigiden Systen von Moralvorstellungen, so dass er am Ende die Welt nicht mehr versteht und sein Scheitern mit einem Knall lösen muss - kein Bösewicht, mehr ein gescheiterter (bei dem angedeutet wird, dass er etwas sublimieren muss, das er sich zu fühlen weigert).
Dazu kommt die Wut, die sich im Zuschauer fast unwillkürlich aufbaut - wie kann es sein, dass Menschen gegen die Aufhebung eines Diskriminerungsgesetzes kämpfen müssen? Wen geht es etwas an, was erwachsene Menschen in gegenseitigem Einvernehmen tun und wie sie ihr Leben leben möchten? Und wie bigott und unchristlich kann man sein, derartige Intoleranz ausgerechnet mit "Gottes Willen" begründen zu wollen?
Traurig, dass die Geschichte des Films immer noch erzählt werden kann und sich aktuell anfühlt, wenn manche über "den Wert der Familie" und "gegen Genderwahn" schwadronieren.
Am Ende von Milks Tonbandvermächtnis steht der Begriff "Hoffnung". Hoffnung, dass alle Menschen angstfrei sie selbst sein dürfen. Eigentlich ein urchristlicher Gedanke. Hilfe, was sind Fundamentalisten doch für Idioten...