"You are not like most homosexuals, are you Harvey?"
"Do you know a lot of homosexuals, Dan?"
Dienstag. Der Abend des 4. November 2008. Präsidentschaftswahlen in den USA.
Während CNN kurz davor steht, Barack Obama als 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu bestimmen, steht eines fest: Es ist kein guter Tag für die 'gay community'.
Kalifornien, Arizona und Florida stimmen für einen 'ban on same-sex marriage'. Damit ist die gleichgeschlechtliche bzw. geschlechtsneutrale Ehe bereits in 30 Staaten der USA verboten bzw. unmöglich. Nur Massachusetts und Connecticut erlauben noch eine Trauung homosexueller Paare.
In Kalifornien fand 'Proposition 8' eine knappe Zustimmung von 52,3 %.
Es ist besonders bitter, dass gerade dieser Bundesstaat somit einen Beschneidung der Bürgerrechte einleitet, beheimatet San Francisco doch wohl eine der größten, bekanntesten und symbolträchtigsten LesBiSchwul-Gemeinschaften der westlichen Welt.
Natürlich konnten Dustin Lance Black (Drehbuch) und Gus Van Sant (Regie) nichts vom Ausgang dieser Initiative (weitestgehend von der christlichen Rechten getragen) erahnen, als sie MILK schrieben und planten.
"My name is Harvey Milk, and I'm here to recruit you!"
1970. Harvey Milk (Sean Penn) ist gerade 40 geworden, und sinniert darüber, dass er nichts wirklich geschafft hat in seinem Leben. Gemeinsam mit seinem Freund Scott (James Franco) beschließt er etwas zu verändern und New York City in Richtung San Francisco zu verlassen.
Dort eröffnet er ein Kamera-Geschäft in der 'Castro neighborhood' und stößt sogleich auf Ablehnung aufgrund seiner offen gezeigten Homosexualität. Er beschließt allmählich sich zu wehren und die Dinge nicht einfach mehr hinzunehmen. Er beginnt seine politische Karriere...
Was folgt ist ein beeindruckendes Porträt eines Menschen, der für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung kämpft. Harvey Milk ist nicht nur ein Symbol für die Schwulen- und Lesbenbewegung, nein, er ist ein Symbol für alle Minderheiten und Ausgeschlossenen.
Filmisch ist Gus Van Sant allerdings nicht der ganz große Wurf gelungen, den ich mir erwartet und erhofft hatte. Im ersten Drittel scheint MILK nicht richtig Fahrt aufnehmen zu wollen, gegen Ende wiederum gibt es einige Momente, die stark emotionalisierend sind, und zu manipulativ und pathetisch daherkommen (vor allem natürlich in Verbindung mit Danny Elfmans Musik bzw. eine der zahlreichen klassischen Stücke).
Auch die Figur des Geliebten Jack Lira (Diego Luna) fällt negativ auf. Es mag ja sein, dass es die Person so wirklich gab, trotzdem erschließt sich mir der Sinn des Charakters für den Film nicht wirklich, scheint Jack doch eher überzogen dargestellt und mehr Klischees bedienend, als wirklich interessant für den Zuschauer zu sein.
Inhaltlich hastet MILK leider oft zu schnell durch Harveys Leben, dem Privatleben wird sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt, der eigentliche Aktivismus bleibt etwas oberflächlich zurück. Mir fehlt die stimmige Balance.
Nichtsdestotrotz gelingt es Van Sant hervorragend mit dem (für amerikanische Verhältnisse) geringen Budget die Zeit der 70er sehr authentisch abzubilden.
Sean Penn geht dabei völlig in seiner Rolle auf; scheinbar mühelos und enorm einfühlsam schafft er es, diesen mutigen Menschen auf der Leinwand wieder zum Leben zu erwecken.
Insgesamt ragt der Film natürlich aufgrund seiner Hauptfigur und Thematik heraus, und lebt auch von seinem Bonus „der richtigen Botschaft“. Alles in allem wirklich sehenswert, wenn auch kein Meisterwerk.
Jedem Interessierten sei zudem der im Abspann erwähnte Dokumentarfilm THE TIMES OF HARVEY MILK von Rob Epstein aus dem Jahre 1984 empfohlen.
Inwieweit der Film zu mehr Akzeptanz führen wird, ist natürlich zweifelhaft, denn meistens schauen die Leute, die ihn wirklich „nötig hätten“ erfahrungsgemäß leider eh nicht.
Im Übrigen muss es für Dustin Lance Black schon etwas zynisch gewesen sein, als er den US Wahlkampf 2008 verfolgte. Worte wie "Change" und vor allem "Hope" schienen die richtigen zu sein, kommen sie im Film und Milks Reden doch selbst zu Hauf vor.
Allein, am Mittwoch, den 5. November 2008, wehten die Regenbogenflaggen in 'The Castro' nur auf Halbmast.
Wegen 'Proposition 8'.
Und Obama. Der ist gegen gleichgeschlechtliche Ehe.