„Two, three, four“
Darren Aronofsky wird vielerorts als Hoffnungsträger des neuen amerikanischen Kinos gehandelt – was nicht gänzlich nachvollziehbar ist, konnte er mit seinen bisherigen Werken diesem Ruf noch nicht vollends Rechnung tragen. So war „Pi“ eine herrlich abgründige Fingerübung, in der sich viel Potential erkennen lässt und auch „Requiem for a Dream“ wurde außergewöhnlich positiv aufgenommen. Auch wenn sich letzterer als einziges Sammelsurium optischer Finessen entpuppt und keineswegs so tiefgründig daher kommt, wie es zunächst den Anschein machen mag. Nach diesem viel beachteten Karrierestart gab es mit „The Fountain“ einen herben Rückschlag, sowohl kommerziell als auch künstlerisch. Der überambitionierte und prätentiöse Film litt unter den schwierigen Produktionsbedingungen und scheitert besonders im Schlussdrittel an seiner übertrieben dick aufgetragenen esoterischen Note.
Mit „The Wrestler“ meldet sich Aronofsky nun fulminant zurück und legt seinen ersten wirklich erwachsenen Film vor. Im Gegensatz zu den oben genannten Werken hält sich die Regie hier ungemein zurück und verzichtet auf jeglichen überflüssigen visuellen Schickschnack. Statt sich in verspieltem Technik-Blendwerk zu ergehen, bleibt die Kamera ganz nah am Protagonisten und gewährt so einen ungeschönten, intensiven Einblick in dessen Seelenleben. Überhaupt ist es bemerkenswert, welches Milieu ausgewählt wurde für eine so schmerzliche Tour de Force, für ein leises Psychogramm eines gebrochenen Menschen.
„Have you ever seen a one trick pony in the field so happy and free?
If you've ever seen a one trick pony then you've seen me
Have you ever seen a one-legged dog making his way down the street?
If you've ever seen a one-legged dog then you've seen me“
Gerade das Prolo-Image des Wrestling-Sports, das automatisch an grölende Menschenmassen und grobschlächtige Macho-Attitüde erinnert, stellt eine Herausforderung dar. Innerhalb dieses lauten und schrillen Settings eine sensible Charakterstudie zu inszenieren, gelingt Aronofsky scheinbar problemlos. Dabei spart er nicht jene unfreiwillige wie Lächerlichkeit der Branche aus, was beispielsweise anhand der skurrilen Wrestling-Outfits deutlich wird und einen bemitleidenswerten Eindruck erzeugt. Jene Events, die vor Massenpublikum stattfinden und die USA landesweit begeistern, finden aus dramaturgischen Gründen keine Verwendung, sodass es im gesamten Film keine spektakulären Aufnahmen zu sehen gibt.
Randy „The Ram“ Robinson (Mickey Rourke) steht vor den Trümmern seines Lebens: Die große Zeit als Wrestling-Star in den 80er Jahren ist längst vorbei, finanziell ist es schlecht um ihn bestellt und seine Tochter Stephanie (Evan Rachel Wood) hat nicht mehr als Enttäuschung und Verachtung für ihn übrig. Während sich Randy an seine vergangenen Erfolge klammert, weiterhin auf miesen kleinen Kampf-Events auftritt und sich mit Steroiden in körperlicher Form hält, muss der abgewrackte Profi-Wrestler feststellen, wie weit seine Vereinsamung bereits fortgeschritten ist. Nur mit Stripperin Cassidy (Marisa Tomei) verbindet ihn eine tiefere Freundschaft. Zu seiner miserablen Gesamtsituation kommen erschwerend gesundheitliche Probleme hinzu, die ihren vorläufigen Höhepunkt in einem Herzanfall finden. Randy muss das Wrestling an den Nagel hängen um weitere Zusammenbrüche zu vermeiden – doch im Berufsleben kann der alternde Sportler nicht mehr Fuß fassen...
So viel zur Story. Die Handlung ist weder innovativ angelegt, noch wartet sie mit extravaganten Einschnitten in Genrekonventionen auf, wie es Eastwood zum Beispiel in „Million Dollar Hotel“ gewagt hat. Letztendlich ist „The Wrestler“ sowohl inszenatorisch als auch narrativ ein sehr sprödes und schlichtes Werk geworden, das sich ganz auf die intensiven schauspielerischen Leistungen verlässt und Emotionen in den Vordergrund stellt. Genau hier ist auch die Qualität des Films zu begründen, mit dem sich Aronofsky überraschend konsequent zurück nimmt und stilistischen Wagemut beweist. Fans seiner alten Filme werden sich vielleicht vor den Kopf gestoßen fühlen, bei so viel Reduktion und Besinnung auf bodenständiges Schauspielerkino.
„Have you ever seen a scarecrow filled with nothing but dust and wheat?
If you've ever seen that scarecrow then you've seen me
Have you ever seen a one-armed man punching at nothing but the breeze?
If you've ever seen a one-armed man then you've seen me“
Einen Löwenanteil zum gelingen des Films trägt Mickey Rourke, der den gesamten Film auf eigenen Schultern stemmt. Wer in das zerfurchte und vom Leben im Exzess gezeichnete Gesicht des alternden Stars blickt, der sieht in eben jene rauen Abgründe des Show-Business und Star-Kultes, in denen schon unzählige Berühmtheiten ihre Seele aufgerieben haben. Rourke verkörpert den ultimativen Abstieg in die Hölle der Bedeutungslosigkeit – ein Schicksal, das nur schwer zu ertragen ist, wenn man es gewohnt ist, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Der bröckelnde Ruhm ist nur noch erkennbar durch die letzten Reste der ehemals riesigen Fangemeinde, von der Öffentlichkeit ist „The Ram“ schon lange vergessen. So tritt er folgerichtig auch nur noch auf spärlich besuchten, zweitklassigen Events auf, die nichts mehr mit der glanzvollen Vergangenheit zu tun haben. So scheitern auch die Versuche, im Berufsleben Fuß zu fassen. Die Verzweiflung des Protagonisten kulminiert eindrucksvoll als er in einem Supermarkt wiedererkannt wird und sich unmittelbar konfrontiert sieht mit der Sackgasse seines Lebens und den Scherben des vergangenen Ruhms.
Mickey Rourke bietet nichts weniger als eine der eindrucksvollsten Leistungen seiner Laufbahn. Wie auf ihn zugeschnitten wirkt seine Interpretation der Figur sehr individuell geprägt und jederzeit glaubwürdig. Die emotionale Verkrüppelung aufgrund jahrelanger Vereinsamung wird deutlich herausgearbeitet in den Szenen zwischen Rourke und Evan Rachel Wood. Wenn sich „The Ram“ unbeholfen versucht an seine Tochter anzunähern, dann wird die Tragik um seine Figur in vollem Umfang spürbar. Dabei verliert sich der Film allerdings nicht in seichter Verklärung der Hauptfigur und macht sie keineswegs zum Opfer äußerer Umstände. Aronofskys Inszenierung macht einen ebenso klaren wie gereiften Eindruck, vom postmodernen Stil (der sich nur bedingt für seine Figuren interessiert) seiner vorigen Werke ist nichts mehr zu erkennen.
„Have you ever seen a one-legged man trying to dance his way free?
If you've ever seen a one-legged man then you've seen me“
Wenn Mickey Rourke sich, innerlich gebrochen, zur Rückkehr zum Wrestling entschließt, dann siegt die Todessehnsucht - „The Ram“ feiert einen letzten Sieg, der gleichbedeutend mit absoluter Resignation ist. Seine angeschlagene Gesundheit ignorierend kehrt der abgewrackte und seelisch geschundene Wrestler seiner trüben Zukunft den Rücken und zieht einen großen Abgang vor. Dieser wird aber in keinster Weise pathetisch romantisiert sondern vollendet hier eine Tragödie, die vor allem von der Angst vor Bedeutungslosigkeit und Einsamkeit erzählt. All das wird unterstützt durch die sehr intime Kameraführung und die ruhigen Schnitte, wodurch „The Wrestler“ auch formal einen sehr persönlichen Ton trifft und seinen Figuren wesentlich näher ist als man es von Aronofsky erwarten durfte. Die Charaktere sind ambivalent und lebensnah gezeichnet, ohne als Modelle herhalten zu müssen – das gilt nicht nur für die Hauptfigur sondern auch für die kühle aber einfühlsam tiefe Verletzung verkörpernde Even Rachel Wood oder die hinreißende Marisa Tomei, die einmal mehr ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellt.
„Then you've seen me, I come and stand at every door
Then you've seen me, I always leave with less than I had before
Then you've seen me, bet I can make you smile when the blood, it hits the floor
Tell me, friend, can you ask for anything more?
Tell me can you ask for anything more?“
Am Ende bleiben alle Figuren zutiefst ausgebrannt und verletzt zurück, was in Kombination mit seinen vorigen Filmen auf ein extrem pessimistisches Weltbild Aronofskys schließen. Stets umgibt seine Figuren eine Lethargie, die von Rourke expressiv dargestellt wird und zu einer bitteren Schlussszene führt, die aufgrund ihrer lebendigen Tragik und Rourkes unbeschreiblicher Mimik noch lange nachhallt im Kopf des Zuschauers.
Nicht zuletzt begeistern auch die perfekt choreographierten Wrestling-Einlagen, die durch exzellente Stuntarbeit einen authentischen Blick auf die körperliche Belastung beim Wrestling wirft. Somit könnte „The Wrestler“ auch als Sportfilm funktionieren, nimmt aber dabei eine Negation der sonst vertretenen Werte vor und erklärt diese als hinfällig.
Fazit: Es stellt sich die Frage, ob man sich als auf das Milieu einlassen kann und einen alternden, herzkranken Show-Kämpfer in knallgrünen Hosen und mit nacktem Oberkörper als tragische Hauptfigur überhaupt annehmen kann. Rourke vollbringt gerade in dieser Hinsicht eine furiose Leistung und Aronofskys angenehme, neu gewonnene Zurückhaltung erweist sich als ideale Methode zur Bebilderung einer Geschichte, der jeglicher Glanz restlos abgekratzt wurde um unter die Oberfläche einer ikonischen Hauptfigur zu blicken. Und der Titelsong von Bruce Springsteen, der zum Abspann erklingt, ist einfach Gänsehaut pur.
8,5/10