Review

Gesamtbesprechung

Als einer der Hauptautoren von „The Shield“ war Kurt Sutter mit für den Erfolg der Serie verantwortlich, weshalb der Sender FX auch die von ihm kreierte Serie „Sons of Anarchy“ ausstrahlte und damit wieder einen Hit landete: Auf ganze sieben Staffeln brachte es das Bikerepos.
Hatte sich „The Shield“ mit dem Leben von Polizisten in einem Revier in einem Problemviertel beschäftigt, vor allem der Einheit um den korrupten Cop Vic Mackey, so nimmt „Sons of Anarchy“ einen anderen verschworenen, halbseidenen Bund, der größtenteils aus Männern besteht, in den Fokus: Den Motorradclub SAMCRO, die Kurzform für „Sons of Anarchy Motorcycle Club, Redwood Original“. Im Zentrum steht Jackson ‘Jax‘ Teller (Charlie Hunnam), Vizepräsident des Clubs und Sohn des verstorbenen Bosses. Der neue Präsident des Charters ist Clarence ‘Clay‘ Morrow (Ron Perlman), der Jax‘ Mutter Gemma (Katey Sagal) geheiratet hat. Offiziell arbeiten die Mitglieder in einer Autowerkstatt, inoffiziell sind sie in halbseidene Geschäfte wie Waffenhandel verwickelt.
Sutter pitchte sein Projekt als „Hamlet“ auf Motorrädern, auch wenn das Konzept die Serie nur teilweise beschreibt. Jedoch ist der Fund des Tagebuchs von Jax‘ Vater in der Pilotfolge einer der bestimmenden Momente, da Jax aus dessen Aufzeichnungen die Ahnung bekommt, dass der Unfalltod seines Vaters vielleicht doch kein Unfall war, sondern ein Schachzug Clays, der damit Anführerrolle und Frau John Tellers erhielt. Gleichzeitig hat „Sons of Anarchy“ auch viel von jener Abwärtsspirale, die viele Stoffe um Gangster und/oder korrupte Cops (wie etwa auch „The Shield“) auszeichnet: Während sich interne Spannungen aufbauen, vom sich anbahnenden Zwist zwischen Jax und Clay bis hin zu Fragen welche Geschäfte man macht oder unterlässt, bestimmen auch äußere Faktoren das Schicksal von SAMCRO: Gebietsstreitigkeiten mit anderen Motorradgangs, Untersuchungen durch Behörden, Rivalitäten wie auch brüchige Allianzen mit Neo-Nazi-Vereinigungen, Kartellen und anderen Verbrecherorganisationen. Während manche Winkelzüge dem Club Oberwasser verschaffen, führen die Verstrickungen jedoch auf lange Sicht in den Untergang, auch wenn der Abstieg nicht ganz so konsequent verzahnt wie in „The Shield“ ist, in dessen Pilotepisode gleich ein entscheidender Moment im Niedergang des Strike Team gezeigt wurde.

Sutters Sinn für das Abwegige bahnt sich hier noch freier den Weg als in „The Shield“. Vergewaltigende Neonazis, Stalker-ATF-Agenten, Amokläufe an Schulen, megaschmierige Pornoproduzenten, sogar Nekrophilie und ähnliche Dinge kommen in „The Shield“ vor und überschreiten hin und wieder die Grenze zum Trashig-Absurden, etwa wenn eine grelle Vertreiberin von Kinderpornos in einer Episode auf den Plan tritt. An anderer Stelle kann Sutter allerdings überraschende Resultate erzielen: Der Auftritt der transsexuellen Prostituierten Venus Van Dam (Walton Goggins) mag anfangs noch ein schrilles Comic Relief sein, ihre spätere Beziehung mit dem SoA-Biker Alexander ‘Tig‘ Trager (Kim Coates) behandelt „Sons of Anarchy“ dagegen glaubhaft und mit Respekt.
Tatsächlich lebt „Sons of Anarchy“ von seinem Männermelodrama: Der Mix aus Feindschaft und Kooperation bei Jax und Clay, die Beziehungen der Clubmitglieder untereinander, die aus einem ausgesuchten Haufen illustrer Figuren bestehen. Dazu gehören Jax‘ bester Kumpel, Harry ‘Opie‘ Winston (Ryan Hurst), der den Sons eigentlich den Rücken gekehrt hatte, Robert ‘Bobby‘ Munson (Mark Boone Junior), der gern als Elvis-Imitator auftritt, der Hitman und auf ausgefallene Sexpraktiken spezialisierte Tig, Filip ‘Chibs‘ Telford (Tommy Flanagan) aus dem Umfeld der IRA, der junge Juan Carlos ‘Juice‘ Ortiz (Theo Rossi) und Opies Vater Piermont (William Lucking), Piney genannt. Wichtige Personen außerhalb des Clubs umfassen neben Gemma den Sheriff Wayne Unser (Dayton Callie), der mit den Sons kooperiert, solange sie ihre Machenschaften einschränken, sein späterer Nachfolger Eli Roosevelt (Rockmond Dunbar), Jax‘ Ex-Frau Wendy (Drea de Matteo), die Ärztin und Jax‘ Jugendliebe Tara Knowles (Maggie Siff) sowie den früheren Gangster Nero Padilla (Jimmy Smits), der in späteren Seasons hinzustößt.
Aus diesem Mikrokosmos an Freundschaften, Liebschaften, Feindschaften und Allianzen bezieht „Sons of Anarchy“ den Stoff für sein Männermelodrama, das oft wichtiger als die eigentliche Handlung ist: Wenn sich Jax und Clay nach einem Geständnis Gemmas gegen eine Neonazi-Gang zusammentun, wenn Juice aufgrund seiner Herkunft hadert, ob er noch eine Zukunft beim Club hat, wenn um getötete Freunde getrauert wird, dann beschäftigt sich „Sons of Anarchy“ eingängig mit dem Seelenleben dieser harten Typen, die zwar extrem tough sind, aber auch Familien und Gefühle haben. Und darin liegt eine der Stärken der Serie: Einerseits zeichnen Sutter und sein Autorenteam die Biker als Menschen, die man verstehen und sympathisch finden kann, andrerseits wird man auch immer auf ihre negativen, abgründigen Seiten hingewiesen. Gerade Jax, der anfangs vermeintlich noch als Identifikationsfigur taugt, weil er hehre Ziele hat, wird immer mehr von persönlichen Verlusten gezeichnet, von der Welt des Verbrechens korrumpiert: Irgendwann mordet er noch skrupelloser als viele seiner Bikerbrüder und wenn er, für die Zukunft des Clubs, an einem Punkt den Chefsessel am Kopf der Tafel besetzt, dann erscheint er nicht als glorreicher Erneuerer, sondern als Machtmensch, genauso gezeichnet und von Wahn zerfressen wie sein Vorgänger.

Was nicht bedeutet, dass „Sons of Anarchy“ nicht auch eine spannende Serie über das Bikermilieu wäre, die Schauwerte des Gangsterthrillers bieten würde. Die Bandenkämpfe und Revierstreitigkeiten bieten Raum für einige erdige, raue, relativ realistische Actionszenen, die Intrigen und Machtspiele von Behörden, Gangs und Personen wie dem Bürgermeister liefern spannende Thrillerszenarien, in denen man die Inhaftierung von Mitgliedern verhindern, Kontrahenten erpressen oder neue Wege des Geldverdienens finden muss. Obwohl Sutter dabei eine Vielzahl von markanten Parteien und Figuren auffährt, so wirkt seine Serie selten überfrachtet oder zu stark konstruiert, was schon eine Leistung ist, da diese Gefahr durchaus besteht und sich tatsächlich gegen Ende auch manifestiert. Denn, eventuell durch den Beschluss begünstigt statt der anvisierten sechs doch sieben Staffeln zu produzieren, in der letzten Season hört man gelegentlich die Drehbuchseiten rascheln und das dramaturgische Gebälk knarzen, wenn das Script mit etwas schwacher Motivation noch einen Bandenkrieg einbaut, sehr auf Zufälle und Missverständnisse setzt um das dramatische, unvermeidbare Ende hinauszuzögern. Das schadet „Sons of Anarchy“ im Abgang etwas, schmälert aber insgesamt die hohe schreiberische Qualität kaum; gerade die vierte Staffel ist ein Musterbeispiel an Spannung und Dramatik.
Neben Sutter selbst führten unter anderem Stephen T. Kay, Peter Weller und Mario van Peebles bei Episoden der Serie Regie, die verschiedene Trademarks von „The Shield“ übernimmt, vor allem die Überblicksmontage am Ende vieler Folgen, die kurz zeigt, was das Figurenpanoptikum gerade macht, häufig mit entsprechend gängigen Rock- und Popsongs untermalt. Wie schon „The Shield“ erweist sich „Sons of Anarchy“ als Fundgrube für tolle Musik, zu deren Höhepunkten sicher „Family“ von Noah Gundersen, „Big Shot (Hands in the Sky)“ von Straylight Run, „I See Through You (Free Your Mind)“ von Battleme, „Come Healing“ von Leonard Cohen und „Soldier’s Eyes“ von Jack Savoretti gehören.
Neben den Ähnlichkeiten in Stil und Struktur zu „The Shield“ fallen die Überschneidungen im Personal auf: Hatten „Sons of Anarchy“-Darsteller wie Katey Sagal dort schon Nebenrollen, so haben hier unter anderem Walton Goggins, Jay Karnes, CCH Pounder, Kenny Johnson, Benito Martinez und Michael Chicklis hier Gastrollen. In weiteren denkwürdigen Gast- und Nebenrollen gibt es Peter Weller als korrupten Cop, Jeff Kober als Bürgermeister, Danny Trejo als Kartell-Leutnant, Ray McKinnon und Donal Logue als Bundesbeamte, Titus Welliver als IRA-Größe, Henry Rollins und Adam Arkin als White-Power-Leader, Kim Dickens als Puffmutter sowie Chuck Zito und Robert Patrick als Biker. Nicht zu vergessen David Hasselhoff als Pornoproduzent. Kurt Sutter spielt – wie schon bei „The Shield“ – in einer wiederkehrenden Nebenrolle mit, hier als inhaftiertes SoA-Mitglied. Doch die Gaststars ergänzen und unterstützen in erster Linie die großartige Belegschaft. Charlie Hunnam, früher sonst auf die Rolle des netten Briten festgelegt, überzeugt als immer mehr verhärtender Thirtysomething-Biker-Vizepräsident, Ron Perlman lässt so richtig die Sau raus und Katey Sagal zeigt, wie wenig man sie in früheren Rollen bei Al Bundy und Co. gefordert hat. Maggie Siff und Drea de Matteo ergänzen die Testosteronriege, bei der einige früher auf Nebenrollen abonnierte Darsteller hier in weiteren Hauptrollen so richtig groß auftrumpfen können: Vor allem Kim Coates, Mark Boone Junior, Tommy Flanagan und Theo Rossi wären da zu nennen, neben Real-Life-Biker David Labrava.

Trotz aller Ähnlichkeiten ist „Sons of Anarchy“ mehr als nur der kleine Bruder von „The Shield“ in neuem Milieu: Ein spannender Einblick in das Leben des fiktiven Motorradclubs, der geschickt die Balance zwischen reißerischen Elementen, Gangster-Abstiegssaga und Männermelodrama findet. Zwar nicht ganz so meisterhaft geplottet wie besagte Polizeiserie, was man gerade in der finalen Staffel merkt, aber trotzdem eines der stärksten Fernsehdramen der letzten Jahre. Eine fast durch und durch starke Sache.

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