33 Zentimeter? - Dann zeig mal her, den kleinen Peter!
Paul Thomas Andersons Anlehnung an das Leben der Porno-Legende John Holmes erweist sich auch nach der mehrfachen Sichtung als gar nicht so leicht einzuordnen. Zum einen haben wir es mit ganz großem Kino zu tun, dessen Setting in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern stimmungsvoll mit aufwendiger Kameraarbeit und unzähligen Hits der Zeit zum Leben erweckt wird. Auf der anderen Seite haben wir einen Film, der sich manchmal nicht so recht zwischen einer Komödie mit Anleihen einer Persiflage und einem fiktiv-biographischen Drama entscheiden kann und beide Seiten für das Publikum mit teils extremen Ausschlägen bedient. Letztlich ist diese empfundene Unentschlossenheit aber erstaunlich irrelevant, denn das Gesamtwerk ist wahnsinnig unterhaltsam.
Neben dem bereits erwähnten sehr gelungenen und stimmungsvoll in Szene gesetzten Setting hat Anderson seine Figuren recht sorgfältig gezeichnet, so schlicht sie in ihrer Veranlagung auch sein mögen, und das gibt den Darstellern jede Menge Möglichkeiten, sich so richtig ins Zeug zu legen.
Mark Wahlberg wurde als adoleszenter Taugenichts, der neben einem sehr begrenzten Intellekt mit einem Riesenprengel gesegnet ist, wirklich hervorragend besetzt. Daneben glänzt der immer gute John C. Reilly als Sidekick, der komödiantische Akzente setzt und beide zusammen geben ein Duo, das sich wunderbar ergänzt. Reilly spielt tragisch-komische Figuren, die sich jemandem auf erhoffter Augenhöhe folgsam unterordnen, immer hervorragend.
Im weiteren sehr beeindruckenden Cast aus beispielsweise Julianne Moore, William H. Macy, Alfred Molina, Heather Graham, Luiz Guzman oder Philip Seymour Hoffman sticht besonders Burt Reynolds hervor, der mit seiner Rolle als gar nicht mal so schmieriger Pornoregisseur sein Comeback feierte. Außer der grundsätzlichen Schuld, Menschen in den doch recht zerstörerischen Kreis der Sündenproduktion hineinzuziehen, erweist sich die Figur Jack Horner als nicht unmoralischer als der Rest der Scheinwelt, in der er sich als zentrale Figur bewegt. So sieht er in seinen Filmen doch so etwas wie filmische Kunst und verweigert sich zunächst der Umstellung auf Video, um seinen Anspruch weiterhin aufrecht zu halten, obwohl er dem Marktdruck dann offensichtlich nicht standhalten kann. Dass Horner über einen moralisch anständigen Kern verfügt, kann daran abgelesen werden, dass er seinen Produzenten und wohl auch Geschäftsfreund Colonel James (Robert Ridgely) fallenlässt, als dieser wegen Besitzes von Kinderpornographie im Knast sitzt und um die Vergewisserung der Freundschaft bettelt.
Julianne Moore spielt als mit dem Leben hadernde Hauptdarstellerin Amber Waves, die aus Frustration, ihren Sohn nicht mehr sehen zu dürfen, in den dauernden Selbstzerstörungmechanismus schaltet und sich im Koksrausch in den jüngeren Darstellerinnen und Darstellern Ersatzfiguren für das vermisste Kind sucht. Dabei zieht sie jedoch auch alle mit in den Abwärtstrudel.
Hier wird der Film dann aber auch recht interessant, denn zunächst werden die Erwartungen an den Niedergang seiner Figuren zwar ganz regelkonform erfüllt, um am Ende ein sehr umfassendes und scheinbares Happy End aufzufahren. Nach anfänglichen Erfolgen zerbricht Wahlbergs Dirk Diggler am Drogenkonsum und scheinbar auch der Oberflächlichkeit der Beziehungen der Menschen zueinander, wodurch er den Tiefpunkt erreicht, als er auf dem Schwulenstrich von Rednecks vermöbel wird und sich aus Geldnot zu einem krummen Drogendeal überreden lässt, der mit Ansage komplett eskaliert.
Die weiteren Figuren scheitern offenbar am Versuch, der Branche zu entkommen, da die Stigmatiserung der Gesellschaft einen Weg zurück scheinbar unmöglich macht. Darunter leidet vor allem die einzige echt gemeinte Beziehung zwischen Buck (Don Cheadle) und Jessie (Melora Walters), die sich ein bürgerliches Leben aufbauen wollen, dafür aber mit Verweis auf ihren beruflichen Werdegang nicht den erforderlichen Kredit von der Bank bekommen. Dies ist die einzige vordergründig im Film dargestellte Beziehung, die frei von gegenseitigen Abhängigkeiten ist und so leidet man mit den beiden Figuren auch wirklich mit.
Einen frühen Höhepunkt der zersetzenden Wirkung des Milieus auf seine Figuren bietet der Mord und Selbstmord der von William H. Macy verkörperten Figur Bill, der als Produktionsassistent anscheinend einfach nur einen Job macht und mit der Freizügigkeit seiner eigenen Frau nicht zurecht kommt. Diese ist dann extrem überzogen eingebaut worden (wenn sie beispielsweise auf einer Straße vor dem Haus Horners während einer Party einen Typen vögelt und dabei von sabbernden Böcken umzingelt begafft wird), dass die dramatische Bluttat beide Ausschläge des Films in sich vereint: die oftmals schon schwarzhumorige Komik und das doch sehr laut ausgespielte Drama.
In diesen und den weiteren, zahlreichen Episoden weist Andersons Film trotz seiner Überzogenheit keinen Anstrich des Bizarren auf, denn in Kalifornien bleibt einfach alles eher glatt und überinszeniert. Da sind dann selbst die fertigsten Typen Abziehbilder und in Anlage und Darstellung so artifiziell, dass sich bei mir die Haltung tatsächlich mehr aus den Lachern ergibt, als aus einer allzu großen Empathie mit den Figuren. Das Drama wird größtenteils vom bunten Treiben und der Komik verschluckt.
Und wenn dann am Ende das Schicksal eingreift und dem Ehepaar in guter Hoffnung das verweigerte Geld auf anderem Wege zukommen lässt, Dirk Diggler wieder einen Ständer beschert und Rollergirl die zu Beginn des Films hingeschmissene Highschool beenden will, dann könnte man meinen, der Film hätte es zu gut mit seinen Figuren gemeint. Aber es bleibt doch das mulmige und bedrückende Gefühl, dass die Figuren aus ihrem Mikrokosmos nicht entfliehen können und gerade der dümmlich naive Dirk Diggler tut einem dann eher leid, als er vor dem Spiegel kurz rausholt, worüber im Film zuvor dutzendhaft gesprochen wurde und sich selbst motiviert. Ebenso wirkt es bei den Figuren Amber und Jack, die zwar stabil erscheinen, aber auch in ihrer Situation festsitzen und in dieser steten Wiederholungsschleife eher den Eindruck eines leichten Mitleids erwecken. Und natürlich sehen wir auch noch den pädokriminellen Colonel, wie er mit blutiger Nase weinend in seiner Zelle sitzt und von einem gesichtslosen, schwarzen Hühnen zur Schnecke gemacht wird, damit auch alles seine Ordnung hat.
Stilistisch wirkt „Boogie Nights" dabei meistens sehr beschwingt und erweckt beinahe den Eindruck einer Abrechnung mit den popkulturellen Auswüchsen der dargestellten Zeit. Eine choreografierte Tanzszene im Discolook, sogar mit bunter Tanzfläche, unterstreicht beispielsweise den oftmals persiflierenden Charakter des Films und erweist sich als gelungener Feel-Good-Moment, von dem der Film dann einige zu bieten hat. Und die erste Poolparty im Hause Horner hat sich bei mir so ins Gedächtnis gebrannt, dass ich schon mehr als einmal überlegt habe, mir einen Pool im Garten anzulegen, um dann jedes Jahr eine Seventies-Mottoparty zu schmeißen (Kosten: 500 Euro für Tequila, Cointreau, Limetten und Eis, 1000 Euro für Koks). Die sehr aufwendigen Kamerabewegungen und langen Einstellungen erinnern dabei an Scorseses "Casino" oder De Palmas "Carlitos Way". Die Qualität der Bebilderung ist daher wirklich ganz großes Kino.
Technisch wird dem Thema mit 16mm-Material und VHS-Material Tribut gezollt und das Ganze wird passend in den Filmfluss eingebunden. Bei einigen Szenen des Brock-Landers-Films lag ich lachend vor der Couch. Die Perücke, der Anzug, der Ausdruck und die Plateauschuhe sind der Hammer! Mark Wahlberg kann so herrlich doof aus der Wäsche schauen, dass es eine Freude ist. Und so schief und schlecht zu singen, ist auch schon wieder eine Kunst für sich.
Fazit
Ich sehe „Boogie Nights" mittlerweile mehr als kunterbunte Komödie als als fiktives biografisches Drama. Die ernsten Szenen verlieren durch den in vielen Szenen verwendeten Humor und die vollkommen überzogene Figurendarstellung an Wirkung und so würde ich den neuen Begriff der „Dramedy" verwenden, um den Film irgendeinem (Sub-)Genre zuordnen zu können.
Allerdings hatte der Film in seinen dramatischen Szenen bei der Erstsichtung bei mir mehr Wirkung erzielt, wenn ich recht erinnere. Seitdem sind nun mehr als zwanzig Jahre vergangen und aufgrund von US-Komödien, die ich seitdem gesehen habe, hat sich wohl der Fokus in meiner Wahnehmung geändert. Dabei kommt wieder das Spiel zwischen John C. Reilly und Marky Mark zum Tragen, das in allen seinen Szenen erwarten lässt, dass Will Ferrells Ron Burgundy gleich um die Ecke kommt.
Das soll aber nicht schmälern, dass der Film mit guten Darstellern, einer hingebungsvollen und stilsicheren Inszenierung und einem daraus folgendem großen Unterhaltungswert aufwarten kann. Ich sehe ihn alle paar Jahre wieder gern.