Review

Mit seinem schillernden 70er Jahre Porträt „Boogie Nights“ erntete Paul Thomas Anderson viel Anerkennung, ehe er mit „Magnolia“ noch mal einen draufsetzte.
1977 besucht Pornoregisseur Jack Horner (Burt Renolds) mit seiner Frau Maggie (Julianne Moore), Künstlername Amber Waves, mal wieder sein Stammlokal, wo sich auch die gesamte Crew seiner Filme wie Darstellerin Rollergirl (Heather Graham) einfindet – einige von ihnen betreiben es nur nebenberuflich wie Stereoverkäufer Buck Swope (Don Cheadle). Dabei etabliert Anderson bereits in der Auftakt fix einen Großteil der Charaktere und zeigt große Teile des Clubs in einer Kamerafahrt ohne Schnitte – eine eindrucksvolle Technik, die bei „Boogie Nights“ in mehreren Szenen (vor allem bei Partys) effektiv eingesetzt wird (teilweise geht die Kamera sogar unter Wasser).
In besagtem Lokal arbeitet auch Eddie Adams (Mark Wahlberg) als Tellerwäscher. Als Horner dahinterkommt, dass Eddie nach Aufstiegschancen sucht und ein Riesengemächt hat, macht er ihn unter dem Namen Dirk Diggler zu einem Pornostar...

So faszinierend und stimmig Paul Thomas Andersons Porträt einer Ära auch ist, so muss man doch direkt zu Beginn anmerken, dass die Story sicherlich alles andere als neu ist. Der Aufstieg und Fall eines Stars ist nicht gerade eine innovative Plotte, das letzterer mal wieder durch Drogen und Selbstüberschätzung kommt noch weniger. Trotzdem bietet „Boogie Nights“ einige Kurzweil, denn die meiste Zeit über ist er recht flott erzählt; nur gegen Ende des zweiten Drittels machen sich ein paar Längen bemerkbar und der Film könnte sich hie und da etwas kürzer fassen.
Doch darüber hinaus bietet „Boogie Nights“ ein liebe- und respektvolles Bild einer ganz eigenen Ära. Horner macht Pornos, die damals noch im Kino liefen (ehe es den Videomarkt gab) und sieht diese auch als eine Art von richtigem Film zu sehen, will dass Story und nicht nur Sexszenen den Zuschauer fesseln und weigert sich daher auf Video und mit Amateuren zu drehen – obwohl dies ja zum Scheitern verurteilt ist. Doch „Boogie Nights“ wirft einen sehr neutralen Blick auf die Pornoindustrie, zeigt das Team als eine Art Familie und dass sie es aufgrund ihrer Tätigkeit oft schwer haben, spart aber auch unschöne Seiten nicht aus: Drogenkonsum, Kinderpornokonsumenten, Verwicklung in illegale Kreise usw.
Dabei begeht „Boogie Nights“ vor allem in der ersten Hälfte nicht den Fehler sich zu ernst zu nehmen: Pornodrehs mit laienhaft aufgesagten Dialogen und dünnen Storys sorgen für Amüsement ohne dass man je in die Niederungen des Klamauks vordringen würde und auch sonst wird das Styling der späten 70er und frühen 80er (komplett mit absolut verbotenen Klamotten und Frisuren) mit der nötigen ironischen Distanz betrachtet. Auch der Soundtrack mit eingängigen Songs dieser Epoche ist wunderbar gewählt und täuscht mehr als einmal über den Mangel an wirklich innovativen Ideen hinweg.

Interessant ist auch die zweite Hälfte, die sich nach dem Höhepunkt der Ära (Dirk gewinnt Awards, Horner verwirklicht seinen Traum vom spielfilmähnlichen Porno) mit ihrem Ende beschäftigt. Die Verdrängung durch den Videomarkt schadet den Figuren, die Tatsache, dass Horner teilweise die Art von extrem frauenverachtenden Filmen drehen muss, die er früher gemieden hat, ist noch eines der kleinsten Übel. Das Seriöswerden ist für viele aus dem Business schwer bis unmöglich, einige rutschen auch in die Kriminalität ab und nicht alle überleben den Abstieg. Ein wenig seltsam wirkt schon, dass fast alle gleichzeitig den Absturz erleben, doch Anderson liefert kein simples Ende vom kompletten Untergang: Stattdessen können sich viele der Gefallenen auf die eine oder andere Weise wieder aufraffen, auch wenn es ihr Business nicht mehr in der gewohnten Form gibt – sofern sie nicht umsatteln.
Ganz famos ist auch die Schauspielerriege, von der ein großer Teil später auch bei „Magnolia“ mitwirkte – einige davon, wie Philip Baker Hall, Melora Walters und Philip Seymour Hoffman noch in kleinen, aber fein gespielten Parts. Überraschend gut ist Mark Wahlberg als junger Pornostar, dem der Ruhm bald zu Kopf steigt, doch einsame Klasse Burt Reynolds als Pornoregisseur mit Herz und Ambitionen. Julianne Moore liefert eine ihrer besten Performances ab, Heather Graham ist nur OK, während William H. Macy mal wieder seine übliche Loser-Rolle mit viel Hingabe spielt. Dazu noch großartig aufgelegte Nebendarsteller wie Don Cheadle, John C. Reilly und Luis Guzman, was das prominent besetzt und toll agierende Ensemble noch abrundet.

Famos gespielt und atmosphärisch top ist „Boogie Nights“ auf jeden Fall, auch wenn die Geschichte nicht allzu innovativ ist und ein paar Längen hat. Sehr sehenswert und fast so magisch wie „Magnolia“ ist Andersons Durchbruch trotzdem – 7,5 Punkte meinerseits.

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