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„In meinen Träumen gibt's nur Rock'n'Roll!“

Man sagt, dass alle 30 Jahre die Populärkultur eines Jahrzehnts eine Renaissance erlebt, und tatsächlich traf dies in den 1980ern auf die 1950er und ihren Rock’n’Roll zu. Dazu beitragender Teil war das Biopic „La Bamba“ aus dem Jahre 1987 über den mit nur 17 Jahren am „day the music died“ zusammen mit Buddy Holly und dem Big Bopper tödlich verunglückten Musiker Ritchie Valens. Dem Film folgten im selben Jahr der Dokumentarfilm „Hail! Hail! Rock'n' Roll“ über Chuck Berry und zwei Jahre später der Spielfilm „Great Balls of Fire“ über Jerry Lee Lewis. Valens hieß eigentlich Richard Steven Valenzuela und war zwar gebürtiger US-Amerikaner, aber mexikanischer Abstammung und Teil eben dieser Gemeinschaft innerhalb der USA. Dies trifft auch auf Regisseur und Drehbuchautor Luis Valdez („Zoot Suit“) zu, der daher vielleicht einen besonderen Zugang zu diesem Film hatte. In jedem Falle hat er ihn zu Valens‘ Familie, mit der er eng zusammenarbeiten konnte und die teilweise sogar kleinere Rollen übernahmen.

„All unsere Träume werden langsam wahr!“

(Drei Absätze lang fasse ich in erster Linie die Handlung zusammen. Wer dies umgehen will, sich aber trotzdem für mein Fazit interessiert, kann ab dem vorletzten Absatz weiterlesen.)
Valdez eröffnet seinen Film mit einem in Zeitlupe visualisierten Alptraum Ritchies (Lou Diamond Phillips, „Trespasses“), musikalisch mit der Surfnummer „Sleep Walk“ unterlegt. Die eigentliche Handlung beginnt im Sommer 1957, in dem Ritchies Bruder Bob (Esai Morales, „Der Prinzipal – Einer gegen alle“) aus dem Knast zurückkommt, auf einer Obstfarm – womit Ritchies familiäres Milieu sozial eingeordnet wird. Ritchie läuft sogar in der Schule mit seiner Klampfe herum und spielt bei den Silhouettes vor, deren Mitglied er daraufhin wird. Der erste Auftritt folgt schnell und gerät humoristisch, denn der Sänger der Band (nicht Ritchie) ist unheimlich mies. Bob wird gegenüber seiner Freundin Rosie (Elizabeth Peña, „Das Wunder in der 8. Straße“) gewalttätig, aber Ritchie ist das genaue Gegenteil seines rüpelhaften Bruders. Er hat noch keine Freundin, sich aber in Mitschülerin Donna (Danielle von Zerneck , „Summer Fantasy“) verknallt. Ritchies zweiter Auftritt erfolgt nur mit seinem Bruder als Drummer zusammen in einer Bar und wird ein überraschender Erfolg, doch der immer gleiche Alptraum verfolgt Ritchie wie ein böses Omen. Ritchies Mutter (Rosanna DeSoto, „Schakale der Nacht“) beginnt, die musikalische Karriere ihres Sprosses zu fördern, doch der Kopf der Silhouettes verspürt keine Lust auf ein von ihr arrangiertes Konzert. Ergo tritt Ritchie ohne ihn, dafür mit Unterstützung anderer Silhouettes-Mitglieder auf. Auch dieses Konzert wird ein voller Erfolg, wenngleich Bob eine Massenschlägerei anzettelt.

„Rock'n'Roll auf Spanisch? Du musst verrückt sein!“

Ritchie wird vom Label Delphi Records entdeckt, doch man will nur ihn – ohne seine Band. Nach anfänglichem Zögern lässt er sich darauf ein. Bob entdeckt derweil sein Zeichentalent, wird darin aber leider nicht von seiner Mutter unterstützt. Kurz darauf wird er Vater und Ritchie kommt mit Donna zusammen – eine Beziehung, die Donnas Vater (Sam Anderson, „Ein Grieche erobert Chicago“) nicht kommod ist. Es stellt sich heraus, dass Ritchies Alpträume von einem Freund handeln, der von abstürzenden Flugzeugteilen erschlagen worden war. Valdez zeigt Ritchie, der von seinem Künstlernamen nicht begeistert ist, bei Plattenaufnahmen. Er landet direkt einen Radiohit, woraufhin Bob ihn in einen mexikanischen Puff mitschleppt. Dort spielen Los Lobos das Volkslied „La Bamba“ in der Folkversion. In derselben Nacht bringt Rosie ihr Baby zur Welt. Obwohl – fun fact – Ritchie gar kein Spanisch sprach, adaptierte er später „La Bamba“ in einer Rock’n’Roll-Version und landete damit seinen größten Hit.

„Yo no soy marinero, soy capitán!”

Am nächsten Morgen gibt’s Schlange zum Frühstück und für die Zuschauerinnen und Zuschauer eine fiese Häutungsszene. Wir lernen: Seiner Herkunft und seinem größten Hit zum Trotz war Ritchie die mexikanische Kultur eher fremd. Trotz seiner Flugangst geht er auf Tour und überwindet diese, um nach Philadelphia zu gelangen. Für Donna schreibt er einen Song landet damit einen weiteren Treffer. Sein Bruder Bob hingegen hat sich so gar nicht im Griff, ist neidisch, eifersüchtig und hat ein Alkoholproblem entwickelt. Ritchie kauft von seinen Einnahmen seiner Familie ein Haus und fährt zum American Rock Festival, wo man auf Eddie Cochran (gespielt von „Stray Cats“-Neo-Rockabilly-Bandkopf Brian Setzer) und Jackie Wilson (Howard Huntsberry) trifft. Nach ihnen kommt Ritchie mit der „La Bamba“-Livepremiere auf die Bühne. Bei einem Kampf mit seinem Bruder verliert er seinen Talisman, den er einst gegen seine Flugangst geschenkt bekommen hatte… Die nächste Tour findet u.a. zusammen mit Buddy Holly (im Filme live zu sehen, gespielt von Marshall Crenshaw, „Peggy Sue hat geheiratet“) und The Big Bopper (Stephen Lee, „China Blue bei Tag und Nacht“) statt, doch als man einen Teil der Strecke im kalten Winter mit dem Flugzeug zurücklegen wollte, nimmt nicht nur die Tour, sondern auch das Leben drei junger, unheimlich talentierter Rock’n’Roller ein jähes Ende. Der Absturz wird nicht gezeigt und der Film schließt, wie er begann: mit „Sleep Walk“.

Vor allem aber endet er mit Gänsehaut und Traurigkeit meinerseits über diese tragische und zugleich so reale Geschichte, aber auch mit Freude aufgrund der Qualität dieses Films, der zwar sicherlich den einen oder anderen Dollar eingespielt, vor allem aber Ritchie Valens und seiner Musik ein unumstößliches Denkmal gesetzt hat. Lou Diamond Phillips spielt seine Rolle in jeder Hinsicht überzeugend (wenngleich der echte Ritchie wohl ein bisschen fülliger war), die Dramaturgie ist trotz des bekannten Ausgangs über jeden Zweifel erhaben und die Musik natürlich durch die Bank weg großartig, eine Aneinanderreihung von Evergreens. Valdez scheint sich relativ nah an der Realität orientiert, diese aber um das eine oder andere mystische Element ausgeschmückt zu haben. Das erinnert zuweilen ein wenig an die erst Jahre später gestartete „Final Destination“-Filmreihe, und an mindestens einer Stelle hat Valdez die Überlieferung umgeformt: Nicht Valens hatte sich im klapprigen Tourbus eine Grippe aufgesackt, sondern The Big Bopper. Wie Valdez immer wieder das Thema Fliegen mit Träumen, Ängsten und schicksalhaften Entscheidungen in Verbindung bringt, lässt einen immer wieder schlucken, während einem Ritchie immer mehr ans Herz wächst.

Der Film wurde ein Erfolg, ebenso sein Soundtrack, auf dem Los Lobos Valens’ Lieder nachspielen und den Film damit überdauerten: Ihre „La Bamba“-Version läuft bis heute regelmäßig im Radio – und ich erinnere mich noch, wie allgegenwärtig sie seinerzeit, 1987 und 1988, war. Welch Ironie, dass nicht etwa Fruchtsafthersteller VALENSina, sondern Konkurrent Granini einen Orangensaft „La Bamba“ genannt und den Fernsehwerbespot im Jahre 1987 mit eben jenem Lied (wenn auch in einer wiederum anderen Version) unterlegt hatte. Valdez‘ Film nimmt sein Publikum in die Pionierzeit des Rock’n’Rolls mit, dokumentiert, welch große Chancen er für musikbegeisterte Kids aus der Unterschicht bedeuten konnte und welche Leidenschaft er transportierte. Zudem ist er ein schönes Zeitgeistdokument des ‘50er-Revival-Trends in den ‘80ern.

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