VOM SCHEITERN MIT INBRUNST
Takeshi Kitano macht wieder Erzählkino. Nachdem er in den beiden Filmen Takeshis' und Glory to the Filmmaker! überdrehte Selbstreflexion auf Metaebene betrieben hat, stellt Achilles and the Tortoise (Akiresu to Kame) die einfühlsame Seite des Multitalentes in den Vordergrund - und dennoch handelt es sich keineswegs um eine 180°-Drehung.
Kitano erzählt uns den Lebensweg von Machisu: durch Texttafeln und die dreifache Besetzung der Hauptrolle eingeteilt. Dabei stimmt der Film eine feine Mischung aus Melancholie und Zuversicht an, während Machisu unbeirrbar malt und malt und um ihn herum die Menschen sterben, schicksalhaft, zufällig. Machisu sieht es und malt weiter.
Natürlich war es immer sein Traum, ein berühmter Maler zu werden. Schließlich gehört sie zum Künstlertum dazu, die Berühmtheit. Oder etwa nicht? Nun ist Berühmtheit eine Frage des Marketings, auch in der Kunst. Nicht erst heutzutage. Und so bemüht sich Machisu nach besten Kräften, seine Lücke zu finden, die seine Bilder unverwechselbar und erfolgreich macht. Er probiert alles aus, kein Bild ist eine Wiederholung des vorigen - abgesehen von dem einen Mal, als er Porträts einer ganzen Familie anfertigt, weil das erste von seinem Galeristen als ganz vielversprechend bezeichnet wurde. Aber auch diese Schaffensphase ist schnell vorüber und Machisu probiert etwas anderes. Er imitiert sämtliche Maler von Monet bis Hundertwasser, von Kandinsky bis Basquiat, er nutzt sämtliche Techniken, Farben und Materialien, vom Zeichenblock bis zum Rollladen und seinem eigenen Körper ist nichts vor ihm sicher. Weiß er, was er tut? Man weiß es nicht. Aber man wünscht ihm viel Glück dabei.
Und wenn er auch nie dorthin gelangt, wo er eigentlich gerne wäre, weiß man doch, dass sein Weg irgendwie der für ihn richtige ist. Er geht ihn zunächst im Alleingang. Selbst die gemeinsamen Aktionen mit anderen Kunststudenten zeigen ihn zwar mittendrin, doch immer anders als die anderen: auf einem Aktionsfoto, das seine Freunde in Unterwäsche posierend vor ihrem Gemeinschaftskunstwerk aus Schrott zeigt, steht er wie immer ohne Körperspannung und in Klamotten, die er nie auszuziehen scheint. Selbst als er die Frau seines Lebens gefunden hat, die nämlich, die ihn nicht hinterfragt, sondern ausschließlich unterstützt, die seine Kunstpartnerin wird, die seine Kunst erklärtermaßen versteht, die er Farbe verschütten und mit in Farbe getauchten Boxhandschuhen verprügeln lässt und die ihn im gemeinsamen Aktionismus beinahe ersäuft - selbst da noch ist er der Einzelgänger, der tun muss, was er tun muss. Die beiden haben zwar eine Tochter, der ist aber das künstlerisch-spinnerte Paar ausschließlich peinlich und sie verlässt ihre Eltern. Machisu ist Kind geblieben. Naiv dümpelt er in der Welt, die um ihn herum geschieht, und will nichts als malen.
Die Opfer für die Kunst sind von Anfang an groß und Machisu ist vom Tod umgeben: sein Vater, erfolgreicher Unternehmer und berühmter Kunstsammler, begeht Selbstmord, als der finanzielle Ruin unaufhaltbar ist; seine Stiefmutter bringt sich um (und er malt ihr blutverschmiertes Gesicht), nachdem sie ihren Sohn bei einem unmusischen Onkel untergebracht hat; ein Mitstudent stirbt bei einer Kunstaktion, als er mit einem Auto Farbeimer gegen eine Leinwand fährt; und selbst als seine eigene Tochter im Leichenschauhaus liegt, weiß Machisu nicht anders, als mit Lippenstift und Taschentuch einen farbigen Abdruck des Gesichts herzustellen. Dieser Künstler hat keinerlei Beziehung zur Welt außer durch seine Kunst. Das mag mitunter gefühllos wirken und wie Wahnsinn anmuten, ist aber dennoch vor Allem eines: konsequentes Leben der einen Aufgabe "Kunst".
Machisu ist wortkarg und introvertiert, aber ständig beobachtend, schon als Kind. Und nichts tut er lieber als malen. Er malt alles und jeden, mit jeder Technik und in jedem Stil. Er malt am Tag und in der Nacht und morgens, wenn der Wecker klingelt, steht er auf von seinem Zeichenbrett und geht zur Arbeit. Die gelingt ihm aber kaum, denn es passiert schon mal, dass er stehen bleibt, um angesichts eines Anblicks zu malen. Ob er sich dabei wirklich weiterentwickelt bleibt in Anbetracht seiner unschuldigen Naivität unklar, aber er ändert sein Schaffen ständig, er probiert stets Neues aus. Dabei ist ihm egal, ob das für ihn Neue nicht eigentlich schon etwas ausgesprochen Altes ist. Es geht um seine Biografie, um seinen Lebensweg, der ihn immer - und immer wieder - dorthin führt, wo er bereits war und von wo er neu beginnt: dem nächsten Bild.
Machisu scheint nicht zu verstehen. Er scheint ausschließlich zu sehen und zu reproduzieren. Er lebt seine Obsession stoisch und trotzt gleichermaßen unwissend den Widrigkeiten des Lebens. Konstant erlebt er Rückschläge, denn neben dem unbegreiflichen, sinnlosen Sterben um ihn herum, erfährt er nicht die Anerkennung, die seine Mühen eigentlich einfordern. Mehr noch: obwohl ihm gesagt wird, dass seine Bilder nichts taugen, dass sie nicht einzigartig genug sind, dass sie, egal was er anstellt, nicht gut genug sind, werden sie ohne sein Wissen verkauft. Oder vielmehr: ohne seine Anteilnahme. Er nimmt es hin, dass die Welt ihm ungünstig und ungewogen kommt und geht seinen Weg von Versuch und Irrtum unbeirrt weiter. Darin erinnert er stark an den gehörlosen Shigeru aus Scene at the Sea: der findet eines Tages ein Surfboard und macht sich ans Surfen. Nur kann er es nicht. Er tut es trotzdem. Und immerhin hat er dann einen kleinen Erfolg in Form eines Pokals. Doch wichtiger als das Ziel ist in Takeshi Kitanos Filmen die Haltung, mit der seine Figuren ihren Weg gehen. Große Gelassenheit, große Unbekümmertheit, große Zuversicht: das sind die Eigenschaften, die sowohl Shigaru als auch Machisu auszeichnen. Und das eigentlich völlig grundlos. Sie könnten viel eher verbittert und regungslos sein, angesichts der Bedingungen, die ihnen das Leben aufbürdet.
Takeshi Kitano malt selber. Naive Bilder. Witzige Bilder. Man kennt sie bereits aus Hana-bi. All die Bilder, die in Achilles and the Tortoise zu sehen sind, stammen von ihm (übrigens ebenso wie die Montage der Filmbilder). Er kennt das Malen und er kennt den Erfolg. Er kennt auch die Schicksalsschläge. Nach einem Motorradunfall im Jahre 1994 konnte er eine Körperhälfte nicht bewegen und die Spuren davon sieht man auch heute noch in seinem Gesicht. Das Multitalent war außer Gefecht, keine Filme, keine Fernsehshows. Er begann zu malen und zwei Jahre später entstand ein neuer Kinofilm: The Kid's Return. Danach Hana-bi, der internationale Erfolgsfilm, in dem er die Malerei als ein zentrales Motiv der Sinnsuche nach einem Selbstmordversuch ausgestaltete. So spiegelt sich auch die Geschichte des Regisseurs in diesem filmischen Wettlauf Achilles gegen die Schildkröte. Oder vielmehr: es werden die Fragen aufgeworfen, die sich Takeshi bezüglich seines eigenen Lebens stellen dürfte. Fragen nach dem Sinn des eigenen Handelns, Fragen nach einem Fortkommen, einem Weg, einem Ziel. Und vor allem die Frage danach, ob diese Fragen überhaupt wichtig, oder ob sie nicht sogar falsch gestellt sind.
Nun geht es also in Scene at the Sea nicht ums Surfen und es geht in Achilles and the Tortoise nicht eigentlich ums Malen, sondern um die Haltung dem gegenüber, was wir das Leben nennen. Was immer es in Takeshi Kitanos Kosmos bereithält: die Scheu vor dem Fehlschlag ist seinen Figuren von grundauf fremd. Sie scheitern lieber mit Inbrunst als dass sie auf ihr persönliches Wagnis verzichten wollen. Und so stehen sie, auf ihre ganz eigene Art und Weise, am Ende als Gewinner da: als Sieger über das Leben, das keine Macht über sie hat.