Sieht man sich einen älteren Film an, so fragt man sich automatisch, ob dieses Werk auch heutigen Ansprüchen noch genügt. Kritisch hinterfragt man die Zeitlosigkeit seiner Aussage und die Art der Umsetzung seiner Intention.
Jüngere Filme dagegen profitieren noch lange von dem Hype, der einst um sie herum gemacht wurde - gerade so stark in das Bewußtsein geschleuderte Filme wie das 1999 entstandene "The Matrix", das noch zusätzlich von den paranoiden Wahnvorstellungen der Vor-Jahrtausendwende-Zeit profitierte, erleben kaum eine kritische Auseinandersetzung mit ihren Inhalten. Im Gegenteil - gerade die zwei anerkannt schwachen Fortsetzungen haben den ersten Teil im Nachhinein verklärt als herausragendes Werk, daß sich einer revolutionären neuen Optik verschrieb und einen neuartigen, dem anbrechenden Computerzeitalter angemessenen philosophischen Standpunkt aufzeigte.
Wie aktuell und mitreißend wirkt "The Matrix" heute, sieben Jahre nach seiner Entstehung ?
Mit ein wenig Abstand betrachtet fällt es heute schwer, noch nachzuvollziehen, wie es damals zu dem noch heute nachwirkenden hervorragenden Eindruck gekommen ist. Im Folgenden gehe ich gezwungenermaßen auf einige inhaltliche Details ein, deren Bekanntheit ich allgemein voraussetze. Sollte Jemand den Film noch nicht gesehen haben, empfehle ich, ab hier nicht mehr weiter zu lesen.
"The Matrix" bietet einen originellen Grundgedanken, der zu einem interessanten philosophischen Diskurs einlädt. Im Gegensatz zu anderen Filmen, die nur beim ersten Ansehen spannend sind, kann sich der Film leisten, diese Grundidee schon recht früh zu "verraten".
Während kriegerischer Auseinandersetzungen in der Vergangenheit ("Matrix" spielt in einer nicht klar definierten Zukunft), haben die Maschinen die Macht über uns Menschen übernommen (siehe auch unter "Terminator") und nutzen diese als Kraftspender, gefangengehalten in überdimensionalen "Legehennen"-Batterien. Damit das funktioniert, wird uns Menschen per Computerprogramm eine reale Welt vorgegaukelt, die unserer heutigen Gegenwart entspricht. Wir leben also normal weiter mit allen Höhen und Tiefen, privaten Erlebnissen usw., die aber in Wirklichkeit nicht existieren, sondern nur unsere einseitige Funktion tarnen sollen.
Hier visualisiert "The Matrix" einen alten Menschheits-Gedanken :
- Wie sehr sind wir Herr über uns selbst ? - Bestimmen wir selbst über unser Schicksal oder stehen wir unter einer starken Beeinflussung, die uns nicht einmal bewußt ist ?
- Und daraus folgernd - ist es denn überhaupt schlimm, wenn wir einer Scheinwelt erliegen, die uns aber dafür glücklich macht ? - Oder kann uns nur Wahrhaftigkeit wirklich glücklich machen und was ist Wahrhaftigkeit überhaupt ?
Jeder Drogen- oder Suchtfilm beschäftigt sich mit diesem Thema, schon Orwell's "1984" zeigt deutlich die Methoden der "Gedankenbeeinflussung" auf und die Bekämpfung möglicher Störenfriede durch die Machthaber. Der philosophische Ansatz ist also keineswegs neu, aber die Einbettung in eine zeitgenössische Optik mit Hilfe der Computertechnologie ist absolut eigenständig und durchaus gerechtfertigt.
Die Wachowski-Brüder zeigen dieses Szenario total plakativ. Während die Computerwelt schön und vertraut wirkt, ist das "reale Leben" eher karg. Die kleine Truppe unter der Führung von Morpheus (Laurence Fishburn) und Trinity (Carrie Ann Moss) lebt in einem Raumschiff ähnlichen Gebilde innerhalb einer riesigen Stein- und Betonlandschaft ohne Farben und Natur, ernährt sich von Schleim und kennt weder Freizeit noch Urlaub. Kein Wunder, daß man da in Versuchung geraten kann, Realität Realität sein zu lassen und in die schöne Computerwelt wieder zurückzukehren. Besonders wenn man in der sogenannten Realität auch ständig in Lebensgefahr ist, bedroht von feindlichen Computerprogrammen und metallenen Viren.
Aber selbstverständlich wollen die Wachowskis uns aus dieser Scheinwelt herausreißen, uns zu unseren wahren menschlichen Wurzeln zurückführen - nicht ohne Grund werden die Raumschiffinsassen zu wahren Helden hoch stilisiert.
Das gelingt zum Einen dadurch, daß tatsächlich in der Scheinwelt lebende Personen gar nicht gezeigt werden. Diese Hochglanzwelt bleibt immer nur ein äußeres Abziehbild und Bühne für die dort dargestellten Kämpfe zwischen den Revoluzzern und den Vertretern der Maschinen, überzeugend von Hugo Weaving in eine menschliche Optik umgesetzt. Das "wahre Leben" findet nur im Raumschiff statt, nur hier gibt es "lebendige Menschen", die lachen, Spaß haben und Engagement zeigen. Diese einseitige Darstellung kann aber nicht stimmen - wenn das Programm, daß die Maschinen für uns Menschen installiert haben, funktionieren soll, so muß es auch dort die gesamte Palette menschlicher Regungen geben.
Der Film behauptet das auch, aber er zeigt es uns nicht und beeinflußt uns Zuseher eindeutig in die Richtung, Partei für die kleine Gruppe um Morpheus zu ergreifen - Jeder ,der aus dieser Haltung ausbricht, kann nur ein egoistischer, oberflächlicher Typ sein...
Doch so ganz trauen die Wachowskis dieser Methode nicht, so daß sie uns noch Häppchen der Erleuchtung darbieten : die geheimnisvolle Stadt Zion, in der tief unter der Erde die Reste der "freien" Menschheit leben und der Erlöser, auf den alle warten - und hier kommt Neo (Keanu Reaves) ins Spiel.
Dadurch das die Wachowski-Brüder so klar ihre Meinung vertreten und filmisch umsetzen, unterminieren sie selbst den philosophischen Grundgedanken des Films zu Gunsten einer reinen optisch aufgewerteten Actionhandlung. Der Film verkommt zum klassischen Kampf der kleinen Gruppe gegen einen übermächtigen Feind - dem Zuseher bleibt keine Wahl, sich zu überlegen, auf welche Seite er sich schlägt - Diskussion beendet.
Neo wird als begnadeter Hacker gezeigt, der den Maschinen unangenehm aufgefallen ist, da er durch seine Tätigkeit schon mehrfach in deren komplexen Programme eingegriffen hat.
Dabei hatte er auch schon Kontakt zu Morpheus, ohne etwas über die tatsächlichen Hintergründe zu ahnen.
Zu Beginn ist Neo dann auch Genre gerecht ein eher linkischer, ängstlicher Typ, der den Machthabern in die Hände fällt und von Morpheus Truppe befreit werden muß. Eine der größten Schwächen des Films liegt in der Darstellung der Entwicklung vom "Computer-Sesselpupser" zum großen Befreier, eine notwendige Leistung, die die schauspielerischen Fähigkeiten von Keanu Reaves deutlich übersteigt.
Allerdings auch die der Wachowski-Brüder, denn so aufwendig die Optik gestaltet ist, so wenig gelingen persönliche Szenen. So ist die aufkeimende Liebe zwischen Trinity und Neo in keinster Weise nach zu empfinden. Und da gerade dieses Detail so wichtig ist, um uns die innere Überlegenheit der "wahren Menschen" gegenüber den technologisch dominierenden Maschinen zu zeigen, gleitet der Film hier ins Lächerliche und wirkt religiös verbrämt.
Fazit : überschätzter Film, der durch eine eigenwillige technologische Grafik mehr vortäuscht als er halten kann. So entstanden nach dem ersten Teil große Diskussion-Foren, die sich mit dem philosophischen Ansatz ernsthaft beschäftigten und einer Auflösung harrten.
Sieht man sich "The Matrix" genau an, erkennt man, daß schon hier dieser Diskurs zu Gunsten einer eindeutigen Sicht durch die Wachowski-Brüder erstickt wird. Entsprechend hohl und nichtssagend waren dann auch die beiden weiteren Teile, denn über eine religiös verbrämte mit Pseudo-Bedeutung untermauerte Actionhandlung kommt "Matrix" nie hinaus. Man kann aus heutiger Sicht auch klar sagen, daß die beiden Fortsetzungen auch Teil 1 geschadet haben, der als Einzelfilm angelegt war, denn sein offenes Ende ist noch eine seiner größten Qualitäten.
Was bleibt ? - Ein optisch gefälliger, 1999 sicherlich auch sehr moderner Actionfilm mit einigen sehr guten Kampfszenen, der größtenteils gut unterhält. Von einem überdurchschnittlichen Film ist "The Matrix" weit entfernt und hat schon nach sieben Jahren einen großen Teil seiner optischen Reputation verloren. Sicherlich wird er als Meilenstein von 1999 filmhistorisch überdauern, aber das ändert nichts daran ,daß seine inhaltliche Leere mit der Zeit immer deutlicher werden wird. Schon heute ist die gute Beurteilung z.B. hier im OFDb peinlich .
Auf Grund der heute noch überzeugenden Optik gebe ich mit absteigender Tendenz (5/10).