Staffel 2
Verloren im Wald
Wer hat sie denn nun umgebraucht? Das spielt in der zweiten Staffel von „Twin Peaks“ eine große, aber anderseits doch nicht mehr so wichtige Rolle. Satte zweiundzwanzig im Schnitt außergewöhnliche Episoden voller Eleganz, Mystery, Melodrama und Mord, voller Horror und Humor, voller Surrealismus und Schönheit, in denen wir den ungewöhnlichen und doch immer nachvollziehbaren, liebevollen bis bitterbösen Bewohnern der titelgebenden Gemeinde weiter näherkommen und ein wenig begründen, was zum alles in Gang tretenden Mord an der Schönheitskönigin führte. Und welche brachialen Wellen das verfrühte und gewalttätige Ableben der Laura Palmer schlägt…
„Dallas“ meets „Shining“
Die Folgenanzahl wurde fast verdreifacht, intern gab’s Querelen, Lynchs Einfluss wurde (leider) etwas runtergeschraubt, die Erwartungen nach der in allen Belangen phänomenalen ersten Staffel gingen durch die Decke, das Hauptmysterium um Palmers Mord hing noch in der Luft und die ganze Welt guckte (auf) „Twin Peaks“. Mehr Druck ging nicht, mehr Kontroverse wohl ebenso wenig. Und dennoch muss man rückblickend und mit mehr Umsicht sagen: wirklich nachhaltig und insgesamt geschadet hat das „Twin Peaks“ nicht. Klar, die verfrühte Mordaufklärung und der ein oder andere zu schleppend-melodramatische Subplot nehmen etwas Drive, Tempo und Interesse raus. Lynchs geniales Quäntchen gibt’s zu selten. Und doch kann es auch Staffel 2 mit dem Besten aufnehmen, was das internationale Fernsehen je hervorgebracht hat. Es gibt sogar ein paar der feinsten Momente, überraschendsten What-the-Fucks und heftigsten Themen in dieser (für lange Zeit) letzten Staffel dieses unbeschreiblichen Genremix.
Die Maske der Zivilisation… fällt
Ich habe schon die erste Staffel über den Klee gelobt. Und womit? Mit Recht natürlich. Und solche Superlative und diese ganz besondere, geniale Mischung der Stilrichtungen, diese thematische Vielfalt und atmosphärische Dualität aus Licht und Dunkel, Hoffnung und Horror, gilt natürlich auch für diese Fortsetzung der Geschichte. Dennoch versuche ich nun ein wenig mehr darauf einzugehen, was mich an dieser Staffel 2 besonders fasziniert, welche Figuren und Handlungen mich am meisten umgehauen haben und woran es vielleicht auch hier und da hakt, weswegen es von mir minimalen Punktabzug gibt. Das die Serie über zwanzig Jahre jedoch in diesem Zustand stehengelassen wurde, mit diesem Cliffhanger, ist und bleibt ein heftiges Ding. Zum Glück kam dann vor ein paar Jahren noch „The Return“. Das wäre sonst zu gemein, irgendwie aber auch genial gewesen. Staffel 2 behält seine undurchsichtige Stimmung und gerade die letzten Folgen gehören sogar zum Tollsten, was je aus „Twin Peaks“ kam. Dennoch fransen einige Figuren und Nebenhandlungen über die lange Laufzeit etwas aus, die Serie verliert ein wenig ihren Funken und ihre Konzentration. Doch die Grundfesten von „Twin Peaks“ sind auch in schwächeren Phasen einfach zu gut, um abzuschalten und nicht durchzuhalten. Man spürt nun auch ohne Filter den Einfluss auf Comics wie „Gideon Falls“ bis zu Serien wie „Lost“. Es ist schwer überhaupt irgendetwas zu finden, worin gar keine „Twin Peaks“-DNA zu finden ist. Und die Hauptstärke der ausgewalzten zweiten Staffel: es wird sich viel Zeit für Figuren und ihre Entwicklungen genommen. Von Coming-of-Age-Ängsten bis zu Vorstadtsatire, von Thrillerelementen zu Herzschmerz. Und das verleiht dem immer etwas weirden, andersartigen Kosmos „Twin Peaks“ mehr Bodenständigkeit und Glaubhaftigkeit denn je. „Twin Peaks“ bleibt „Twin Peaks“ - und ist trotz seines massiven Einfluss auf Popkultur und Fernsehen unvergleichbar. Das tiefe Rot, das Rückwärtsreden, das Böse unter dem Zucker. Ein Stroboskopalptraum unter dem Mikroskop. Gespenstig gut!
Kleinstädte und andere kosmische Tücken
Fazit: für immer und immer und immer und immer und immer… „Twin Peaks“! Auch eine zeitweise etwas mäandernde Dehnung und frühejakulative Auflösung schaden der Serie und der Exzellenz insgesamt nicht. Von BoB bis zur allumfassenden Holzvertäfelung - „Twin Peaks“ bleibt Peak Television! (9/10)